Reichstag statt Schweriner Schloss

Karlsruhe vertagt das Urteil über das umstrittene Verbot der NPD-Demo in Schwerin. Rund 2.000 Polizisten bewachen eine menschenleere Stadt. Und die Neonazis? Sie suchen sich andere Plätze, um als G-8-Gegner in die Nachrichten zu kommen

AUS SCHWERIN UND LÜNEBURG A. GEISLER
UND A. SPEIT

Die Landtagspräsidentin geht vor der leeren Hüpfburg auf und ab. Es ist 10 Uhr, eigentlich hätten die Neonazis in diesen Minuten zu ihrem Aufmarsch gegen den Gipfel anrücken sollen. Doch bisher sind nur ein „Bürgerfest“ und eine SPD-Demo erlaubt – und die Schweriner sind zu Hause geblieben, aus Angst vor Krawallen. Ein Posaunenchor spielt gegen das Knattern von Polizeihubschraubern an, Schwerin wartet auf das Urteil aus Karlsruhe: Dürfen 2.000 Rechtsextreme durch die Stadt ziehen?

Was weder Mecklenburg-Vorpommerns Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider weiß noch der Vorsitzende des Innenausschusses, Norbert Nieszery: Karlsruhe hat schon über das Versammlungsverbot für Rechtsextreme und Antifas in Schwerin befunden – auf eine seltene Art. Die Verfassungsrichter wollen sich am Wochenende mit den Eilanträgen nicht mehr befassen, sondern ihr Votum später bekanntgegeben. Dann, wenn es zu spät ist. Aus zeitlichen Gründen sehe sich die Kammer außerstande, noch rechtzeitig eine verantwortungsvolle Entscheidung über die Versammlungsverbote zu treffen, sagt die Karlsruher Sprecherin. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht erst Stunden zuvor in der Nacht zum Samstag sein Urteil verkündet. Das heißt: Die NPD-Demo bleibt wie die der Antifa verboten,. Wegen eines „polizeilichen Notstandes“.

„Arbeitsverweigerung der Verfassungsrichter“ sei das, poltert NPD-Multifunktionär Peter Marx, eine „Abdankung des Rechtsstaats“. Doch die Irritation bei den Organisatoren der NPD-Demo währt nur kurz, dann gibt die Partei die Parole aus: „Auf die Straßen!“ Schließlich touren längst rund 1.700 Kameraden in Bussen durchs Land. Sie sollen nun alternative Ziele ansteuern. Hauptsache Aufmerksamkeit.

Wenig später ziehen an die 150 Kameraden, angeführt von NPD-Chef Udo Voigt, gleich mehrmals durchs Brandenburger Tor. Die überraschten Berliner Polizisten drängen sie einfach weg und stellen sich schließlich zum Erinnerungsfoto auf. Die Polizei muss erst Verstärkung rufen, 13 Personen werden vorübergehend festgenommen. Kurz darauf hält der sächsische NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel auf den Stufen des Reichstags mit Kameraden Transparente für eine „Welt der freien Völker“ hoch.

Etwa zeitgleich überraschen 350 Rechtsextreme mit der größten Protestaktion gegen den G-8-Gipfel in Lüneburg. Die herbeigeeilte Polizei hält Passanten an, damit sie die Neonazis nicht durch Rufe oder Pfiffe „provozieren“ – während diese verfassungsfeindliche Parolen skandieren. Nach Angaben der Polizei werden drei Beamte angegriffen und verletzt, 130 Rechte kommen in Polizeigewahrsam.

300 Rechtsextreme ziehen durch Lauenburg, rund 250 durch Güstrow, auch in Wittenberge, Potsdam und Oranienburg versammeln sich Neonazis. In Osterburg bei Stendal tauchen sie beim Sachsen-Anhalt-Tag auf.

Am Ende des Tages sind die Rechtsextremen in Feierlaune. Ihre „Kampagnefähigkeit“ habe eine „neue Qualität“ erreicht, jubelt die NPD-Spitze. Dass die Kameraden erst gar nicht mit linken G-8-Gegnern in Kontakt kamen, passte den Strategen bestens ins Konzept. „Nun ist vor aller Welt gezeigt worden, wo die Gewalttäter und ihre Unterstützer sitzen“, verkündet NPD-Mann Udo Pastörs. „Hochzufrieden“ gibt sich auch der NPD-Sprecher: „Letztlich hat uns das Verfassungsgericht wohl einen Gefallen getan.“

Mit rund 2.000 Beamten, gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern war die Polizei in Schwerin im Einsatz. Schließlich waren außer den Rechtsextremen auch bis zu 10.000 Gegendemonstranten erwartet worden – darunter zahlreiche gewaltbereite Antifas. Erstmals in der Geschichte des Landes hatte die Landtagspräsidentin sogar das Parlament abgeriegelt und den Abgeordneten Hausverbot erteilt. Nur aus Angst, die Extremisten könnten das Schloss als Kulisse für ihre Aktionen missbrauchen.

Doch weder Rechtsextreme noch Antifas kommen am Samstag. Für rund 200 linke Gegendemonstranten endet der Ausflug im Polizeikessel auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Polizei nimmt die Reisegruppe in Gewahrsam und drei Linke vorübergehend fest. Die meisten Polizisten haben nichts zu tun.

Schließlich ist auch die SPD-Demo vor dem Schloss mangels Teilnehmern kaum zu finden. Landtagsdirektor Armin Tebben sitzt im Freizeitlook am Biertisch. „Wenn ich die NPD nicht seit Monaten im Alltag erlebt hätte“, sagt er, „dann würde ich bestimmt einiges in Frage stellen.“ So aber sei er zufrieden, dass den Rechtsextremen die Kulisse am Schweriner Schloss verwehrt worden sei.

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