Paria auf der Anklagebank

Liberias Expräsident Charles Taylor kommt für Westafrikas blutige Kriege vor Gericht. Viele Mittäter bleiben unbehelligt

VON DOMINIC JOHNSON

In den Räumen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag wird ab heute Geschichte geschrieben. Auf der Anklagebank sitzt Charles Taylor, 1997 bis 2003 gewählter Präsident von Liberia und davor sieben Jahre lang Führer einer transnationalen Rebellenkoalition. Den Prozess macht ihm das UN-Sondertribunal für Sierra Leone, das die Verbrechen des dortigen Bürgerkrieges untersucht. Taylor hatte in Sierra Leone, das an Liberia angrenzt, die berüchtigte Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) mit aufgebaut.

Das breite Echo, das der Prozess gegen Taylor findet, ist auf die außerordentliche Brutalität der Konflikte zurückzuführen, die von Liberia ausgehend ab 1990 Teile Westafrikas heimsuchten und über 200.000 Menschen das Leben kosteten. Taylor war Ende 1989 an der Spitze der von ihm gegründeten Rebellenbewegung NPFL (Nationale Patriotische Front Liberias) von der Elfenbeinküste aus in Liberia einmarschiert, unterstützt von Burkina Faso und Libyen. Er eroberte binnen weniger Monate fast das ganze Land außer der Hauptstadt Monrovia. Ab 1991 unterhielt Taylor einen informellen Buschstaat aus dem nordliberianischen Gbarnga, der bis in Grenzregionen Guineas und Sierra Leones hinein ausstrahlte und international als im Vergleich gar nicht so schlecht gewertet wurde. 1997 wurde er zum Präsidenten Liberias gewählt und regierte sechs Jahre lang.

Zwillingsschwester der NPFL wurde im benachbarten Sierra Leone die RUF, deren Führer Foday Sankoh allerdings nicht über Taylors politisches Geschick verfügte. Er behinderte freie Wahlen durch brutale Verstümmelungen von Zivilisten, während Taylor die Gelegenheit der ersten freien Wahlen in Liberia 1997 beim Schopf ergriff und siegte. Taylor suchte die Legitimität der Macht, Sankoh setzte zum totalen Krieg gegen die Gesellschaft in Sierra Leone an. Britische und nigerianische Truppen zerschlugen die RUF schließlich – unter dem Beifall der Bevölkerung.

Dass Taylor sich nicht rechtzeitig von der RUF löste, wurde ihm zum Verhängnis. Ganz Westafrika behandelte ihn als Paria. 2003 wurde er von Rebellen aus dem Amt gejagt. Ein Friedensvertrag gewährte ihm Exil in Nigeria. Die 2005 gewählte neue Präsidentin Liberias, Ellen Johnson-Sirleaf, erwirkte im März 2006 die Auslieferung Taylors an das Sondertribunal in Sierra Leone. Von dort wurde er später nach Den Haag überstellt.

Die elf Anklagepunkte gegen Taylor umfassen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als gesonderten Punkt die Rekrutierung von Kindersoldaten. Da das Tribunal ausschließlich Sierra Leone behandelt, wo Taylor gar nicht regiert hat, muss die Anklage beweisen, dass Taylor Befehlsgewalt über die RUF hatte.

In der offiziellen Wahrnehmung Westafrikas wird Taylor heute zumeist als Brandstifter dargestellt oder als eine Art Krebserreger, der Gewalt, Brutalität und Rohstoffschmuggel in friedliche Länder einschleppte und verbreitete. Aber Gewalt und Schmuggel sind aus Westafrikas Politik nicht wegzudenken, und als NPFL und RUF entstanden, geschah dies im Kontext bereits komplett gescheiterter Staaten. Die Rebellen erlebten binnen kürzester Zeit einen viel größeren Zulauf, als ihr desorganisierter Führungsapparat bewältigen konnte. Das Resultat: viele unabhängige, aber auf derselben Seite kämpfende Terrormilizen, die keine Regeln respektierten. Für keines der ihm zur Last gelegten Verbrechen hat Taylor ein Monopol, und manche Krieger der Region sitzen heute in den Parlamenten ihrer Länder.

Ein wichtiges Glied in der Beweiskette des Tribunals ist die finanzielle Abhängigkeit der RUF von Taylors Liberia. Die sierraleonischen Rebellen finanzierten sich mit dem Export der Edelsteine über das Nachbarland. Liberias Diamantenhandel wurde deswegen 2001 vom UN-Sicherheitsrat verboten, und das Embargo wurde erst Ende April probeweise für sechs Monate aufgehoben, um zu sehen, ob neue staatliche Kontrollstrukturen greifen. Taylor mag in einer Zelle sitzen – die Strukturen, die die ihm zur Last gelegten Verbrechen ermöglichten, sind noch da.