Behörde ignoriert Bleiberecht

Trotz Aussicht auf einen Job sollte Yilmaz Sam abgeschoben werden. Jetzt liegt der kurdischstämmige Türke im Krankenhaus – der psychische Druck war zu groß. Die Abschiebung droht ihm weiterhin

VON NANA GERRITZEN

Eigentlich sollte Yilmaz Sam längst wieder in der Türkei sein. Wobei „wieder“ etwas irreführend ist: Der kurdischstämmige Türke lebt seit mehr als elf Jahren in Berlin. Nach einem langen Kampf um eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung sollte der heute 21-Jährige am Dienstag „freiwillig“ ausreisen. Doch Anfang der Woche brach er zusammen. „Sam ist psychisch am Ende und wird vorerst im Krankenhaus behandelt“, sagt Walid Chahrour von der Berliner Beratungsstelle für junge Flüchtlinge (BBZ). Die Sorgen um seinen Verbleib haben ihm wohl den Rest gegeben.

Laut Berliner Flüchtlingsrat erfüllt Sam sowohl die formalen Kriterien des Bleiberechtsbeschlusses der Innenministerkonferenz von 2006 als auch der künftigen gesetzlichen bundeseinheitlichen Regelung. Er habe einen Schulabschluss, sei nicht strafrechtlich verurteilt und habe ein aktuelles Arbeitsangebot vorgelegt, erklärte Flüchtlingsratsprecher Jens-Uwe Thomas gestern. Seit seiner Flucht aus der Türkei 1996 als unbegleiteter Minderjähriger sei er nicht mehr dort gewesen. Ihm fehle jeglicher Bezug zu diesem Land. Als Zehnjähriger ist Sam aus der Türkei geflohen. Seine Eltern wurden dort verfolgt und verhaftet. In Berlin wohnte er in Heimen und später in einer betreuten Jugendwohngemeinschaft.

Ortwin Rau, Mitarbeiter der Jugendbetreuung und Vorstand des multikulturellen Projekts YAAM (young african art market) in Friedrichshain, kennt den jungen Mann seit Jahren und beschreibt ihn als voll integriert. „Obwohl er in der Türkei keine Schule besuchen konnte, hat er sich bemüht und den Hauptschulabschluss geschafft“, sagt er anerkennend. Einziger Rückschlag sei eine abgebrochene Ausbildung zum Metallbauer gewesen. „Er war von den Anforderungen an der Berufsschule einfach überfordert“, so Rau.

Da er keine Arbeitsgenehmigung hatte, engagierte sich Sam fortan ehrenamtlich bei Yaam. „Wenn er dürfte, könnte er auch längst selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen“, so Rau. „Wir haben der Ausländerbehörde mehrfalls schriftlich mitgeteilt, dass er unbefristet hier eingestellt werden kann.“

Aber das Recht, in Deutschland zu leben und zu arbeiten, wird ihm verwehrt. Schon seit Jahren ist Sam nur geduldet. In halbjährlichen, später vierteljährlichen und schließlich nur noch sechswöchigen Abständen musste er seine Aufenthaltsgenehmigungen erneuern lassen. „Der Druck der Behörde wurde immer stärker“, so Rau.

Vor zwei Jahren heiratete er seine deutsche Freundin. Als die Beziehung nach wenigen Monaten auseinanderging, versäumte er es, der Ausländerbehörde rechtzeitig Bescheid zu sagen. „Er hoffte, die Ehe könne gerettet werden“, erklärt Chahrour. Schließlich habe für ihn nicht nur die Beziehung, sondern auch sein weiterer Verbleib in Deutschland auf dem Spiel gestanden. Als die Ausländerbehörde von der gescheiterten Ehe erfuhr, wurde er der Scheinehe bezichtigt. Das Strafverfahren wurde aber eingestellt, Sam musste ein Bußgeld von 350 Euro zahlen. Seit vergangenem Jahr ist er nun ausreisepflichtig.

„Ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen, die faktisch wirtschaftlich und sozial integriert sind, soll ein Bleiberecht gewährt werden“, heißt es aber im Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz. Für Sam scheint das allerdings nicht zu gelten. Ein Antrag auf Bleiberecht wurde im März abgelehnt. „Begründet wird die Ablehnung mit der angeblichen Scheinehe“, so Chahrour. Als Anfang Mai das Ende der letzten Duldung nahte, stellte Sams Anwältin Berenice Böhlo einen erneuten Antrag auf Bleiberecht. Das Ergebnis steht noch aus.

Statt für den Bearbeitungszeitraum eine überbrückende Duldung auszustellen, veranlasste die Ausländerbehörde, Sam am 10. Mai unangekündigt in seiner Wohnung festzunehmen und zur Abschiebung zum Flughafen zu begleiten. „Das ist absolut unüblich, eine Abschiebung nicht anzukündigen“, kritisiert Böhlo. „Es bestand schließlich keine Fluchtgefahr.“ Nur durch eine Petition konnte Sams Flug in die Türkei verhindert werden.

Bis sein Gesundheitszustand sich stabilisiert hat, darf er – im Krankenhaus – in Deutschland bleiben. Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.