Österreicher sollen schon mit 16 an die Urne

Parlament stimmt über Wahlrechtsreform ab. Künftig soll Briefwahl möglich sein, die Legislaturperiode wird länger

WIEN taz ■ Wählen ab 16, Briefwahl im Inland und die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre – das sind die Kernstücke einer Wahlrechtsreform. Etikettiert als „Demokratiepaket“ will sie die Koalition von SPÖ und ÖVP heute und morgen durch das Parlament peitschen. Während Verfassungsjuristen vor allem gegen die Briefwahl Bedenken anmelden, weil sie das Wahlgeheimnis gefährdet sehen, machen Bürgerplattformen gegen die Verlängerung der Gesetzgebungsperiode mobil.

Die Briefwahl ist seit langem ein Anliegen der ÖVP, denn ihre Klientel ist am Wahlsonntag oft außer Landes und kann daher nicht abstimmen. Die SPÖ macht sich seit Jahren für eine Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahren stark, obwohl die solideste Wählergruppe unter den Rentnern zu finden ist. Da das Wahlgesetz Verfassungsrang genießt, kann es nur mit Zweidrittelmehrheit abgeändert werden.

Was beschlossen werden soll, ist das Ergebnis eines politischen Kuhhandels. Unerwartet tauchte aber im Regierungsübereinkommen im Januar das Vorhaben auf, die eigene Amtszeit zu verlängern. Weder SPÖ noch ÖVP hatten mit dieser Forderung Wahlkampf gemacht. Eine Debatte lief auch in den Medien nur zögerlich an. Man werde mehr für die Bevölkerung arbeiten können und teure Wahlkämpfe einsparen, flöteten die Politiker. Selbst in der Opposition waren die Proteste zunächst lau.

Die Grünen würden von der Reform wohl am meisten profitieren. Sie können sich eine Zustimmung zum umstrittensten Punkt vorstellen, wenn gleichzeitig die Minderheitenrechte gestärkt werden. So sollen parlamentarische Untersuchungsausschüsse von einer qualifizierten Minderheit und nicht von der Mehrheit eingesetzt werden können. Bei der jetzigen Regelung kommen solche immer erst zustande, wenn eine Regierung abgewählt wird.

Den Ökos pflichtet auch Jörg Haiders BZÖ bei, mit sieben Abgeordneten kleinste Partei im Nationalrat. Die SPÖ wäre zu einem solchen Zugeständnis bereit, beißt aber beim Koalitionspartner auf Granit. Die ÖVP ist schon über die amtierenden U-Ausschüsse unglücklich und will sich Ähnliches künftig ersparen.

Im Mai hat sich eine Protestbewegung unter dem Namen 4JahreSindGenug formiert, die von Intellektuellen, Journalisten, Politikern und Organisationen unterstützt wird. Sie empört sich darüber, dass das Wahlvolk in seinen Rechten beschnitten werden soll, ohne mitreden zu können. Was die Verlängerung bringt, ist zumindest für Politologen fraglich, die darauf hinweisen, dass in der Nachkriegszeit eine Regierung durchschnittlich dreieinhalb Jahre gehalten hat.

RALF LEONHARD