„Gute Geschäfte sind sozial“

Muhammad Yunus

„Umweltschutz, Armutsbekämpfung und Gleichberechtigung von Frauen sind Unternehmenszwecke“

Seit dreißig Jahren setzt sich der Wirtschaftswissenschaftler in Bangladesch mit der Grameen-Bank für Mikrokredite an Arme ein. 2006 erhielt er für sein Engagement den Friedensnobelpreis. Im taz-Interview spricht der 66-Jährige über Wege, wie auch Entwicklungsländer von der Globalisierung profitieren können, und seine Auffassung von guten Geschäften

INTERVIEW ANETT KELLER

taz: Herr Yunus, nachdem Sie im letzten Jahr mit Ihrer Grameen-Bank den Friedensnobelpreis erhielten, wollten Sie eine Partei gründen. Jetzt haben Sie einen Rückzieher gemacht. Warum?

Muhammad Yunus: Lassen Sie uns nicht über Politik in Bangladesch reden. Ich werde dazu nichts sagen …

Es heißt, es habe an Unterstützung für Ihr politisches Projekt gemangelt. Das ist erstaunlich. Die Grameen-Bank ist doch so renommiert?

Ich will darüber nicht reden. Ich bin furchtbar heruntergemacht worden in den Medien in Bangladesch …

Aber dieses Interview wird in Deutschland veröffentlicht.

Die greifen alles auf, was ich sage. Ich bleibe dabei. Kein Wort zur Politik in Bangladesch.

Dann lassen Sie uns über den Friedensnobelpreis reden. Wie hat die damit einhergehende Popularität Ihr Leben verändert?

Meine Arbeit ist leichter geworden, da unsere Art von Armutsbekämpfung seither eine größere Öffentlichkeit hat. Es haben sich viele Türen geöffnet zu Entscheidern, mit denen ich über nötige institutionelle und politische Veränderungen sprechen kann.

Werden Sie wie andere Prominente, Bono oder Bill Gates, nun eine besondere Initiative starten?

Ich tue, was ich die letzten Jahrzehnte getan habe. Ich versuche, Banken zu überzeugen, dass wir ein inklusives System der Kreditvergabe brauchen. Warum sollen nur wenige Auserwählte kreditwürdig sein? Wir haben es mit Grameen bewiesen: Man kann den Armen Geld leihen – ohne als Bank pleitezugehen.

Kritiker sagen, Sie machen ein Geschäft mit der Armut. Zinsen von 20 Prozent für einen Mikrokredit seien viel zu hoch.

Das wird immer sehr einseitig dargestellt. Erstens müssen Sie das im Kontext der Realität in Bangladesch sehen. Die Zinsen dort sind nun mal höher als bei Ihnen in Deutschland. Wir zahlen ja denen, die bei uns Geld anlegen, schon zwölf Prozent Zinsen. Außerdem gehört den Kreditnehmern die Bank. Macht sie Gewinne, fließen die nicht in die Taschen eines Einzelnen, sondern kommen den 7,2 Millionen Besitzern zugute.

Es gibt also einen Weg, wie auch in Zeiten der Globalisierung die Armut weltweit verringert werden kann?

Globalisierung ist wie ein Verkehrsstrom, der auf vielen Autobahnen um die Welt unterwegs ist. Nur die reichen Länder und die größten Firmen haben etwas von diesem Wettrennen, weil es überhaupt keine Verkehrsregeln gibt. Auf dieser Straße gibt es aber nicht nur Rennwagen, sondern auch alle Arten von fahrbaren Untersätzen, bis zur Fahrradrikscha, wie sie in Bangladesch so beliebt ist. Damit alle diese Straße nutzen können, braucht es Regeln. Und eine Verkehrspolizei. Solange wir keine globale Regulierungsbehörde haben, die wirksame Sanktionen verhängen kann, besteht Kolonialismus fort. Die Starken schlucken die Schwachen.

Wie sollten denn solche Verkehrsregeln aussehen?

Man muss generell die Frage stellen, was unsere Auffassung von guten Geschäften ist. Geht es nur um Profitmaximierung? Sollen wir Menschen nur als Geldautomaten betrachten, wie wir es im Moment tun? Alle Börsen dieser Welt, alle Investitionsentscheidungen sind von diesem eindimensionalen Bild geleitet. Wir müssen doch in Menschen auch Wesen sehen, die Anteilnahme zeigen, die einander helfen wollen, ihr Leben zu verbessern. Daraus ergibt sich ein soziales Wirtschaftskonzept.

Um den Preis des Gewinns?

Nicht gewinnorientiert zu sein, heißt ja nicht, dass man Verluste macht. Wir brauchen viel mehr Unternehmen, die sich an Stelle der reinen monetären Gewinnmaximierung die Frage stellen, wie sie der Welt helfen können. Wir werden die globalen Probleme nicht lösen, solange die Zahl der Geschäftsleute nicht steigt, die etwas anderes zum Unternehmenszweck erklären: Umweltschutz, Armutsbekämpfung, Gleichberechtigung der Frauen oder Gesundheitsversorgung. Solange wir Geschäftemachen nur finanziell definieren, unterdrücken wir die menschliche Seite des Lebens.

Ist der G-8-Gipfel eine Chance, diese Problematik ganz oben auf die Agenda zu stellen?

Bessere Marktzugänge für die armen Länder sollten ganz oben stehen. Die Europäer haben Bangladesch gegenüber die Zollschranken bereits abgebaut. Doch die USA tun das nicht. Im letzten Jahr exportierte Bangladesch Waren im Wert von 3,3 Milliarden Dollar in die USA. Dafür mussten wir eine halbe Milliarde Dollar Zoll bezahlen. Eines der ärmsten Länder der Welt wird von den USA mit den vergleichsweise höchsten Einfuhrzöllen belegt. Großbritannien beispielsweise exportierte 54 Milliarden. Und sie haben auch nur eine halbe Milliarde Zoll bezahlt. Diese Ungerechtigkeit muss aufhören.

Beim Thema Klimaschutz ist der Gipfel bereits an den USA gescheitert. Vertrauen Sie trotzdem auf die Politik?

Ich komme aus einem Land, das mit am stärksten unter den Folgen der globalen Erderwärmung leidet. Durch den ansteigenden Meeresspiegel sind in Bangladesch Millionen von Menschen Opfer des Klimawandels. Sie brauchen schnelle Lösungen, um zu überleben. Trotzdem sind die Staaten mit dem höchsten Energieverbrauch wie die USA immer noch nicht bereit, das Kioto-Protokoll zu unterschreiben. Dabei sollte allein die immens hohe Zahl der zu erwartenden Klimaflüchtlinge die Politik zwingen, sich des Themas schnell und verbindlich anzunehmen. Im Kampf gegen den Klimawandel ist aber auch jeder Einzelne gefragt.

Sie appellieren an verantwortungsbewusste Konsumenten?

Die Bewohner der reichen Länder dürfen vor der Lebensstil-Frage nicht länger die Augen verschließen. Es heißt nicht zwingend eine schlechtere Lebensqualität, wenn man versucht, ein bisschen verantwortungsvoller im Verbrauch von Ressourcen zu sein. Wir müssen uns immer die Frage stellen, ob wir mit dem, was wir tun, anderen schaden. Unverantwortlicher Energieverbrauch schadet Millionen von Menschen auf der Welt. Es darf einfach nicht sein, dass über globale Ressourcen nur die verfügen dürfen, die sie bezahlen können.

Bald wird China der größte CO 2 -Emittent sein, und wie Indien verweist es gerne darauf, dass die Industrieländer den längeren Vorlauf in puncto Umweltverschmutzung haben und nun auch als Erste handeln müssen. Eine akzeptable Argumentation?

Es leuchtet ein, wenn Länder wie China oder Indien sagen: Wir lassen uns doch nichts diktieren von jenen, die seit einer Ewigkeit die schlimmsten Umweltverschmutzer sind und selbst nichts unternehmen. Das heißt, dass die Industrieländer natürlich mit gutem Beispiel vorangehen müssen. Das heißt jedoch nicht, dass die aufstrebenden Schwellenländer sich nicht beschränken müssen. Da stehen schließlich noch eine Menge armer Länder Schlange, die auch gerne wachsen möchten.

Kann es sich positiv auswirken, dass diese Schwellenländer mehr und mehr bestimmen, wie Globalisierung gestaltet wird?

Wenn sie globale Probleme wie den Klimawandel ernst nehmen, kann es eine Chance sein. Es sind schließlich Länder, die davon auch stark betroffen sein werden. Und es sind Länder, deren Einfluss auf die entwickelte Welt stark wächst. Wenn sie also ihre wachsende ökonomische Macht nutzen, um sich gemeinsam mit den Industriestaaten auf verbindliche Regeln zu verständigen, kann das allen helfen. Es wäre jedoch sehr traurig, wenn sie nur an ihre eigenen Interessen denken.

Gerade China wird das im Moment vor dem Hintergrund seiner Rohstoffpolitik in Afrika doch vorgeworfen.

Die Geschichte hat uns furchtbare Beispiele für einen räuberischen Kapitalismus in Afrika gelehrt. Es wäre verheerend, wenn China die gleichen Fehler noch einmal macht. Wir leben im 21. Jahrhundert und sollten gelernt haben, dass erfolgreiche Unternehmungen beiden Seiten nützen sollten.

Sie setzen sich für die Armutsbekämpfung in Afrika ein, sind aber gegen Entschuldung. Warum?

Ein Entschuldungsprogramm ist kein Garant für die Verminderung von Armut. Um für die Armen etwas zu tun, bedarf es mehr. Besser ist es, den Rückzahlungsmodus zu ändern. Man sollte mehr Fonds gründen, in die die Raten in der lokalen Währung eingezahlt werden. Dieses Geld sollte für Armutsbekämpfung aufgewendet werden. So kann man Regierungen dazu bringen, in Bildung oder Gesundheit zu investieren – was sie sonst nicht tun würden. Entschuldung sorgt nur dafür, dass das gesparte Geld durch Korruption versickert oder in Rüstungsgüter investiert wird.

Über Armutsbekämpfung sprechen Sie auch beim gerade stattfindenden Deutschen Kirchentag in Köln. Welche Rolle sollten die religiösen Institutionen dabei spielen?

Sie sollten die Interessen der Armen schützen. Ich geben Ihnen ein Beispiel: Wenn eine große europäische Lebensmittelkette nach Bangladesch kommt, treibt sie viele kleine lokale Gemüsehändler in den Ruin, weil die keinen vergleichbar großen Absatzmarkt haben. Die Kirche hier sollte also deutsche Unternehmen auffordern, dass sie bei einem Engagement in einem Entwicklungsland die lokalen Händler als Lieferanten einbindet. Gerade religiöse Institutionen sollten viel mehr darauf dringen, dass in der Wirtschaftswelt wieder mehr über die Frage des Einanderhelfens nachgedacht wird.

Was bedeutet Ihnen Religion?

Formell betrachtet bin ich kein streng gläubiger Mensch. Ich versuche, mit meiner Arbeit Menschen etwas Gutes zu tun. Das ist meine Art, Religion zu leben.