Müssen wir die Polizei stärker kontrollieren?
JA

ÜBERWACHUNG In Dresden spähten Beamte mehr als eine Million Handydaten aus. Das ging vielen zu weit

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taz.de/sonntazstreit

Caren Lay, 38, für die Linke im Bundestag, hat in Dresden demonstriert

Das skandalöse Vorgehen der Dresdener Polizei gegen Menschen, die sich am 19. Februar 2011 an Anti-Nazi-Aktivitäten beteiligten, ist der beste Beweis dafür, dass mehr Kontrolle nötig ist. Das war ein Eingriff in die Privatsphäre. Zudem kam es zu Übergriffen auf friedliche Demonstranten, wie die unabhängige AG Polizeiüberwachung dokumentiert hat. Bisher führen Straftaten der Polizei in Deutschland kaum zu Verurteilungen. Polizisten sind Straftaten oft schwer nachzuweisen. Sie sollten deshalb Name oder Nummer an der Kleidung tragen müssen. In Ländern wie den USA und Spanien ist das gängige Praxis. Außerdem sollte es eine unabhängige Beschwerdestelle für Bürgerinnen und Bürger geben. Dazu müssen parlamentarische Kontrollgremien gestärkt werden.

Martin Herrnkind, 48, Kriminologe, recherchiert für Amnesty zu Straftaten der Polizei

Die Kontrolle der Polizei ist perfekt geregelt – auf dem Papier. Dass die Realität anders aussieht, kann man in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nachlesen. Wiederholt forderte er, dass Polizeiübergriffe unverzüglich, unabhängig und umfassend ermittelt werden. Amnesty International untersuchte in den letzten sechs Jahren die deutsche Ermittlungspraxis – und stieß auf Fälle, in denen die Grundsätze des Gerichtshofes missachtet wurden. Schlugen Polizisten zu – im Schutze der Anonymität ihrer Einheiten, nicht identifizierbar, weil sie Helme trugen –, verzichteten Kollegen auf Vernehmungen der Verdächtigen und stellten keine weiteren Ermittlungen an. Beweise wurde nicht gesichert. Oder Kollegen derselben Behörde ermittelten. In einem Fall aus Lübeck ermittelte sogar der beschuldigte Bundespolizist in eigener Sache! Deshalb brauchen wir unabhängige Untersuchungsgremien, eine Kennzeichnungspflicht für uniformierte Polizisten und eine Videodokumentation in den Zellen.

Constanze Kurz, 37, ist Informatikerin und Datenschutzexpertin für den Bundestag

Ein besorgniserregender Trend zieht sich durch die jüngere deutsche Polizeipolitik: Die Auswertung enormer Datenmengen soll den Personalmangel kompensieren. Richtervorbehalt und parlamentarische Kontrollgremien, deren Mitglieder ohnehin zum Stillschweigen verpflichtet sind, bieten seit jeher keine wirksame Kontrolle der Ermittler und Dienste. Helfen kann nur die Pflicht zur radikalen Transparenz: Alle umfangreichen Datenerhebungen und -auswertungen müssen veröffentlicht, die Betroffenen allesamt benachrichtigt werden. Die Transparenz, die der Sicherheitsapparat den Bürgern aufzwingt, muss für ihn selbst umso mehr gelten. Anders wird kein Vertrauen in die Polizei zurückzuholen sein.

Konstantin Wecker, 64, ist Musiker, Komponist, Schauspieler und Autor

Während sich die Menschen zunehmend empören und sich nicht einfach schlichten, spalten oder aussitzen lassen, wird statlicherseits nicht mit Diskurs geantwortet – sondern mit Repression. Es geht um Sachsens Datensammler. Es geht auch um Polizeiübergriffe in Stuttgart, um eine gigantische Klagewelle im Wendland. Um tote Flüchtlinge in Abschiebehaft. Um die rassistische Rasterung der Bevölkerung bei Personalkontrollen. Wir müssen die Polizei wieder in den demokratischen Griff kriegen. Aber: Hierarchische Strukturen neigen immer zu Machtmissbrauch. Deshalb müssen wir selbst der Kontrollmechanismus sein – eine agile, aktive, renitente, selbstbewusste Bevölkerung, die sich nichts mehr bieten lässt, die sich empört und ihre Demokratie selber macht.

NEIN

Rainer Wendt, 54, ist Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft

Keine staatliche Verwaltung ist mit einer solchen Fülle von Vorschriften und Kontrollen konfrontiert wie die Polizei: Richtervorbehalte, ermächtigungsbegrenzende Gesetze, gerichtliche Nachprüfung von Entscheidungen und ständige öffentliche Beobachtung begleiten Ermittler und Einsatzkräfte. Trotzdem gibt es wohl immer Leute, die noch mehr Kommissionen, Beauftragte oder Kontrolleure wollen, wobei sie sich selbst oft zum Maßstab für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie erklären. Am Ende stehen mehr Bürokratie, geringere Effektivität der Polizeiarbeit und skurriler Unfug wie Namensschilder oder Nummern auf Polizeiuniformen. Hinter der Forderung nach mehr Kontrolle der Polizei steckt ein tiefsitzendes Misstrauen gegen den Staat und unsere demokratische Ordnung. Die Polizei in Deutschland ist getragen vom überwältigendem Vertrauen der Bevölkerung. Sie hat auch über Deutschland hinaus hohe Anerkennung und Ansehen. Das sollten die Möchtegern-Kontrolleure erst einmal erreichen.

Freya Klier, 61, Autorin und Regisseurin, kämpfte in der DDR für Bürgerrechte

Die Arbeit der Polizisten ist im Prinzip in Ordnung und muss nicht noch strenger kontrolliert werden. Ich bin froh, dass wir überhaupt demonstrieren dürfen. So selbstverständlich ist das nicht. Ich komme aus einem Land, in dem das verboten war, nämlich der DDR. Als Demonstrantin traf ich oft auf Polizisten, wie in Gorleben. Die haben mir eher leidgetan. Sie mussten viele schwere Menschen wegtragen – dabei waren sie oft selbst gegen Atomkraft. Genervt haben eher die Randalierer, denen es nicht um die Sache ging. Wenn die Polizei aber ihre Grenzen überschreitet, wie gerade in Dresden, braucht es dringend einen Untersuchungsausschuss, der sich mit diesem Machtmissbrauch befasst! Allerdings bin ich dagegen, „die Polizei“ stärker zu kontrollieren – dann ist man ja auf dem gleichen Kontrollwahn-Niveau wie die sächsische Polizei.

Tobias Hilbert, 39, aus Großdubrau, hat die Frage auf taz.de kommentiert

Offensichtlich funktioniert die Kontrolle der Polizei, sonst wäre die Datenaktion der Dresdner nie ans Tageslicht gekommen. Viele werden sich in Internetforen wieder über Stasi-Methoden aufregen oder in was für einem undemokratischen Land wir doch leben. Wenn das stimmt, wäre doch alles unter den Deckel gekehrt worden, und man hätte alle mundtot gemacht, die darüber sprechen. Kein Land kann ausschließen, dass staatliche Behörden Mist bauen – mag es noch so basisdemokratisch sein. Aber dass solche Dinge zur Sprache gebracht werden und dass man die richtigen Konsequenzen daraus zieht, zeigt doch: Es funktioniert noch.

Günther Beckstein, 67, war in Bayern Ministerpräsident und Innenminister

Die Polizeiarbeit wird in Deutschland bereits umfassend und ausreichend kontrolliert. Wir haben eine sehr gute interne Kontrolle der Polizei, die bei den höheren Dienststellen angesiedelt ist. Bei Eingriffen in die Grundrechte gibt es eine strenge richterliche Kontrolle – wenn es zum Beispiel um Wohnungsdurchsuchungen oder um die Abfrage von Verbindungsdaten geht. Dazu kommt noch eine externe Kontrolle, die bei uns viel umfassender ist als in anderen Ländern: Die Polizei untersteht der Dienstaufsicht des jeweiligen Innenministeriums und damit gleichzeitig der parlamentarischen Kontrolle und der Beobachtung durch die Medien. Nicht mehr Kontrollinstrumente brauchen wir also, sondern eine ordentliche Anwendung der bestehenden, die sich bewährt haben.