„Die Kirchen wissen, dass das Böse existiert“

Der Weltwirtschaftsgipfel ist ein undemokratisches Treffen neoliberaler Regierungschefs, sagt Attac-Mitgründerin Susan George. Beim Anti-G8-Protest setzt sie auch auf die Kirchen. Die bräuchten zwar lange, um eine Idee zu verstehen, dann aber seien sie hartnäckig

Die Attac-Mitgründerin Susan George diskutiert heute um 11 Uhr über die „Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert – Lebendige Kraft unter verschärften Bedingungen“ (Messegelände, Halle 4.2). Mit dabei sind unter anderem Walden Bello, Direktor der Focus on the Global South aus Bangkok, Chia S. Kiang vom Environment Fund in Peking.

Der Kirchentag debattiert heute über die „Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert“. Mit auf dem Podim sitzt Susan George, Präsidentin des „Transnational Institute“ in Amsterdam. Die Mitgründerin von Attac hat mehr als ein Dutzend globalisierungskritische Bücher veröffentlicht. Auf Deutsch ist zuletzt „Change it! Anleitung zum politischen Ungehorsam“ erschienen. Die 1934 in den USA geborene Politikwissenschaftlerin lebt seit Jahrzehnten in Frankreich

Interview Dorothea Hahn

taz: Frau George, zehntausende Menschen protestieren gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Was ist das Hauptziel dieser Demonstrationen?

Susan George: Sie sollen daran erinnern, dass diese Leute nur gewählt worden sind, um ihr eigenes Land zu regieren. Und dass sie nicht das Recht haben, die Welt zu führen. Der G8-Gipfel hat nichts Demokratisches. Die G8 ist eine Connexion von Neoliberalen – mit Ausnahme vielleicht von Putin. Sie versuchen, der Welt ihre Macht und die Macht des freien Marktes aufzuzwingen. Sie wollen mit Pracht beeindrucken. Das hat etwas Lächerliches. Und es kommt nie etwas Gutes dabei heraus. Seit mehr als zehn Jahren sprechen wir von den Schulden. Aber die Schulden sind immer noch nicht gestrichen. Der G-8-Gipfel ist eine Maschine für den Minimalkonsens. Er berücksichtigt nicht im geringsten die Bedürfnisse der Menschheit. Das ist wie ein Potlach.

Potlach?

Ein Ritual von Indianern in Kanada und im Nordwesten der USA. Wenn sie einen anderen Stamm empfangen, verbrennen die Gastgeber Decken und wertvolle Tauschgegenstände, um zu zeigen, dass sie extrem reich sind. Im folgenden Jahr ist ein anderer Stamm dran, es noch besser zu machen.

Sie werden heute auf dem Kirchentag in Köln empfangen. Welche Rolle spielen die Kirchen bei der Kritik der Globalisierung?

Ich bin nicht sehr nah an den Kirchen. Aber der deutsche Protestantismus und auch der Katholizismus sind – wegen der Struktur des Staates und wegen der Mittel und der Macht, die diese Gruppen haben – wichtige soziale Kräfte. Die Kirchen brauchen manchmal lange, um eine Idee zu verstehen. Aber wenn es einmal so weit ist, sind sie hartnäckig. Mir ist es wichtig, mit den Kirchen zu arbeiten und Dinge zu erklären. Die Kirchen glauben an das Gute. Sie wissen, dass das Böse in der Welt existiert. Aber sie zögern, an schlechte Absichten zu glauben.

Die Geschichte ist gespickt von Allianzen zwischen der Kirche und dem Bösen.

Mir scheint, dass das im Augenblick nicht der Fall ist. Außer vielleicht im Vatikan. Wenn Kirchenleute die todbringende Politik des Weltwährungsfonds verstanden haben, sind sie ein sehr wichtiger Partner.

Und wo sehen Sie weitere Partner?

Ich war in den letzten Tagen in Spanien und in Süditalien bei Demonstrationen für dauerhafte Entwicklung. Überall in Europa fanden Demonstrationen vor dem Gipfel von Heiligendamm statt. Bei Attac bemühen wir uns das ganze Jahr über um die Volkserziehung. Wir stemmen uns gegen OGM (französisches Kürzel für genmanipulierte Organismen, die Red.) und gegen den Vormarsch der Welthandelsorganisation WHO.

Welche Reaktion beobachten Sie auf Seiten der Regierenden auf die Großdemonstrationen?

Das ritualisiert sich auf beiden Seiten. Die G8 machen nicht das, was das Volk will. Und das Volk tut nicht, was die G8 will.

In welchem Fall würden Sie von einem Sieg der Bewegung gegen die G8 sprechen?

Den einen Sieg wird es nicht geben. Wir sind nicht im Jahr 1917. Wir werden nicht den Winterpalast in Sankt-Petersburg stürmen. Das ist ein sehr langer Prozess. Im Rahmen dieses Prozesses müssen wir die Demokratie auf der europäischen und der internationalen Ebene suchen. Wir demonstrieren auch, damit die Völker von den Regierenden gehört werden.

Welche kleinen Erfolge sehen Sie?

Ich glaube, dass die Bewegung in der Frage der Umwelt erfolgreich ist. In der Schuldenfrage haben wir immerhin die G8 verpflichtet, davon zu reden. Auf europäischer Ebene versuchen wir, den EU-Handelskommissar Peter Mandelsohn bei seinen Verhandlungen mit den Ländern des Süden zu bremsen. Aber die Kräfte, die sich gegenüberstehen, sind völlig ungleich. Wir haben die geballte Kraft des Staates gegen uns. Trotzdem haben wir mit dem „Non“ gegen die EU-Verfassung in Frankreich einen großen Sieg davon getragen.

Aber das „Non“ hat keine Kehrtwende in der EU-Politik ausgelöst.

Aber es war ein bestimmendes Ereignis. Die EU-Kommission, die komplett antidemokratisch ist, hat damals gedacht, dass alles in ihrem Sinne ablaufen würde.

Sogar die abgelehnte EU-Verfassung ist heute – in einer Schrumpfversion – wieder auf der Tagesordnung. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Die Demokratie macht an den nationalen Grenzen halt. Wir können absolut nicht mit den gleichen Waffen kämpfen. Und wir haben nicht die Instrumente, um Proteste zu organisieren, die zu Abstimmungen führen. Alles, was wir machen, ist sehr, sehr langfristig. Nach jedem Sieg müssen wir wieder von vorne anfangen. Denn es gibt nichts, das unsere Siege auf Dauer festschreibt. Die EU-Komission tut, was sie will. Sie arbeitet vor allem für die transnationalen Unternehmen. Die Bürger, die öffentlichen Dienste, der Erhalt des europäischen Modells – die Gesundheit, die Bildung, die Gewerkschaften – all das ist nicht ihre Sorge. Im Gegenteil: Die Kommision will es schleifen. Genau das hat sie mit dieser Verfassung versucht. Und gerade deswegen, war es ein Sieg, „Non“ zu sagen.

In Frankreich ist Attac entstanden und es gibt immer wieder große soziale Bewegungen. Aber bei den Präsidentschaftswahlen hat der Kandidat der Globalisierungskritiker nicht einmal eine halbe Million Stimmen bekommen. Warum?

Man kann Leute dahin bringen, gegen ihr Interesse zu stimmen. Nicolas Sarkozy hat eine brilliante Kampagne gemacht. Die Franzosen waren überzeugt, dass er eine Wende bringen würde. Vielen geht es schlecht. Die Löhne sind niedrig. Aber viele aus der Arbeiterklasse, die für Sarkozy gestimmt haben, werden das bereuen.

Sind die Wähler doof?

Nein. Die Leute sind nicht doof. Ich bin eine Demokratin. Wahlen sind für mich heilig. 85 Prozent der Leute haben gewählt. Und das beweist ein großes Interesse. Aber Frankreich ist zutiefst traditionell. Und ein sehr altes Land. Die Leute werden sehr alt. Die Rentner haben massiv Sarkozy gewählt.

Und welche Verantwortung hat die Linke für den Wahlausgang?

Eine sehr große. Aber nicht die einzelnen Bürger, sondern die Apparate der Parteien. Bei der Kampagne gegen die EU-Verfassung im Frühling 2005 waren die kleinen linken Parteien in Kollektiven vereint: Von den Kommunisten bis zu den Trotzkisten. Aber im Präsidentschaftswahlkampf hat als erstes Olivier Besancenot …

von der trotzkistischen LCR …

… angekündigt, dass er getrennt kandidieren würde. Dann Marie-George Buffet von der Kommunistischen Partei. Außerdem hat José Bové …

der globalisierungskritische Kandidat …

… keine gute Kampagne gemacht. Zu unentschieden. Zu kurz.

Die Linke steht nicht nur in Frankreich mit dem Rücken zur Wand, sondern europaweit.

Wir säen. Wir versuchen, den Geist zu ändern. Wir versuchen, zu erklären, was Globalisierung bedeutet. Aber wir sind im Moment nicht bei der Ernte. Abgesehen vielleicht vom Umweltschutz. Da sind heute ungefähr alle überzeugt, dass das nötig und wichtig und vital ist. Das ist ein Erfolg der Linken. Und es hat sehr lange gedauert.

Kommen die neuen linken Initiativen aus Lateinamerika?

Dort passieren sehr interessante Dinge – angetrieben von Hugo Chávez, Evo Morales und anderen. Chávez Anstrengungen, den Weltwährungsfonds IWF zu schwächen, sind eine sehr gute Sache. Es zeigt, wie wichtig es ist, Staaten zu erobern. Weil die Linke es in Lateinamerika in verschiedenen Staaten geschafft hat, an die Spitze zu kommen, kann sie Dinge vorantreiben. Zugleich gibt es sehr starke Bewegungen in Lateinamerika, wie die landlosen Arbeiter in Brasilien, die echte Veränderungen erreicht und die Regierung zu einer Reihe von Aktionen gezwungen haben.

Das Dreieck Paris, Berlin, Washington ist jetzt fest in den Händen von Rechten. Ändert das Ihren Blick auf die Zukunft der Welt?

Sarkozy kann sich nicht erlauben, ein enger Freund von Bush zu sein. Das würden die Franzosen nicht akzeptieren. Es gibt auch andere Fakten: Die USA sind geschwächt. China steigt auf. Der Westen wird immer schwächer. Die USA können noch in diesem Jahr in eine schwere finanzielle Krise stürzen

Wie das?

Wegen der Schulden. Seit Monaten wird in den USA weniger gebaut. Das Angebot auf dem Immobilienmarkt ist größer, als die Nachfrage. Bislang blieben solche Krisen immer unter Kontrolle. Aber mit den Finanzmärkten leben wir permanent am Rand eines Vulkans. Heute sind die großen Sparvolumen in China und in Asien. Nicht bei Leuten mit Dollars und Euros.