Eine neue Todesroute für Flüchtlinge

TÜRKEI Erstmals sinkt ein Boot mit Flüchtlingen vor Istanbul. Sie wollten nach Rumänien

Die Strecke durch das Schwarze Meer in die EU ist mit Abstand die längste

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Erstmals ist ein Boot mit Flüchtlingen auf dem Weg von Istanbul durch das Schwarze Meer nach Europa gekentert. Dabei sind mindestens 24 Menschen ertrunken.

Nach Angaben der türkischen Küstenwache wurden am frühen Montagmorgen 24 Leichen vor der Mündung des Bosporus im Schwarzen Meer geborgen. Nachdem die Küstenwache ein Notsignal empfangen hatte, wurde eine große Rettungsaktion eingeleitet. Mit Hubschraubern und sieben Schiffen wurde das Mündungsgebiet des Bosporus abgesucht. Sieben Menschen konnten lebend geborgen werden, vermutlich zehn weitere werden noch vermisst. Ein Fischer, der an der Rettungsaktion beteiligt war, sagte gegenüber der Zeitung Hürriyet: „Überall waren Leichen, darunter viele Kinder, es war furchtbar.“

Wie der Fernsehsender NTV berichtete, geht die Küstenwache davon aus, dass das Boot mit den Flüchtlingen von Istanbul aus über das Schwarze Meer nach Rumänien wollte. Bei den Insassen soll es sich um Menschen aus Syrien und Afghanistan gehandelt haben. Warum das Boot gesunken ist, blieb zunächst unklar. Vermutlich war es wie so viele andere Flüchtlingsboote überladen und für die Strecke vermutlich auch nicht seetüchtig genug.

Der nördliche Bosporus hat eine tückische Strömung und das Schwarze Meer ist für seinen rauen Wellengang im Bereich der türkischen Küste bekannt. Deshalb haben Schlepper bislang andere Routen gewählt, um Flüchtlinge in die EU zu bringen. Der bis vor zwei Jahren gebräuchliche Weg führte über den türkisch-griechischen Grenzfluss. An einer zehn Kilometer langen Stelle zweigt der Fluss so weit auf türkisches Gebiet ab, dass man ihn dort über eine Brücke überqueren und ohne Hindernis auf die griechische Seite wechseln konnte.

Mit Hilfe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hat Griechenland diese Lücke geschlossen und Hindernisse gebaut, die schwer zu überwinden sind. Als die Schmuggler daraufhin vermehrt Leute nach Bulgarien brachten, zog die Regierung in Sofia nach und schottete ebenfalls die Grenze zur Türkei ab. Seitdem versuchten Flüchtlinge wieder, von der türkischen Ägäisküste auf eine der vorgelagerten griechischen Inseln zu gelangen, was aber durch vermehrte Frontex-Einsätze stark erschwert wurde.

Für Experten war klar, dass Fluchthelfer deshalb demnächst versuchen würden, Flüchtlinge über das Schwarze Meer nach Europa zu bringen. Diese Strecke ist aber mit Abstand die längste und insbesondere jetzt, bei den einsetzenden Herbststürmen, auch die gefährlichste Route. Sie wurde deshalb bislang kaum benutzt.

Die ertrunkenen Flüchtlinge im Schwarzen Meer bestätigen erneut, was man bereits an anderen Stellen der „Festung Europa“ gesehen hat. Flüchtlinge lassen sich durch eine Aufrüstung des Grenzschutzes nicht vom Versuch abhalten, nach Europa zu kommen. Sie und ihre Schlepper suchen sich andere Wege, die in der Regel gefährlicher sind als die, die zuvor verbaut wurden. Das Ergebnis ist, dass immer mehr Flüchtlinge bei dem Versuch sterben, das rettende europäische Ufer zu erreichen.