Die Essenz als Maßgabe

ENTWURF Das Museum für Gestaltung in Zürich zeigt Arbeiten des Schweizer Modeillustrators François Berthoud

Es gelte, „alles zu beseitigen, was nicht wirklich nötig ist – je mehr, desto besser“, so Berthoud

VON KATRIN KRUSE

Wenn Modeleute die Mode poetisieren wollen, dann greifen sie gern zu Begriffen wie „Allure“. Klarer macht das die Sache selten. Was ist Allure? Meist gibt es eine fahrige Antwort. Allure, das ist die Anmutung, die Bewegung, der Charakter eines Entwurfs, wenn er auf seine Trägerin trifft. Sie erschließt sich im Betrachten – was ihre Vermittlung so heikel macht. Dass der Modeillustrator François Berthoud genau diese ungreifbare Qualität der Mode sichtbar werden lässt, darin liegt wohl sein größtes Verdienst.

Wie Berthoud das macht, wird gleich zu Beginn der ersten musealen Einzelausstellung deutlich, die das Zürcher Museum für Gestaltung dem 49-jährigen Westschweizer derzeit widmet. Dort läuft man quasi direkt in seine Werkstatt hinein. Die filmische Dokumentation zeigt Berthoud beim Linoldruck – der Technik, mit der er in den frühen 80er Jahren in Mailand begann, mit der er international bekannt wurde und bis heute für Magazine wie Vogue, Numéro, Visionaire ebenso illustriert wie für große Modehäuser. Am Anfang, sieht man dort, steht ein kühner Akt der Reduktion. Es gilt, den richtigen Bildausschnitt zu finden. Also knickt François Berthoud dem Model in Givenchy Couture erst einmal den Kopf ab.

Die Kopflosigkeit kennzeichnet viele seiner Arbeiten. Zahlreiche Torsos sind zu sehen, oder eben die anderen Hälften: Beinpaare, mal stehend, mal liegend wie das rote „V“ auf grünem Grund für das Magazin Visionaire. In seiner Statik sticht es ein bisschen heraus, die meisten anderen Arbeiten haben Bewegungsqualität; es ist ein Schwung, ein Gestus darin. Das Übereinanderdrucken der Linolvorlage in den verschiedenen Farben funktioniert nie ganz perfekt, es gibt kleine Verschiebungen, ein leichtes Flirren in den Linien. „Das Bild beginnt zu atmen“, so fasst es Berthoud. Seine Beine für den italienischen Strumpfhersteller Calzedonia, für die der Illustrator seit 2002 die Verpackung entwirft, haben dieses Flirren.

Oder seine Illustrationen von Schuhen, die er bevorzugt in Dreiviertelansicht von hinten zeigt: pars pro toto einer Frau, die immer schon im Weggehen ist. Bei dem Linoldruck „Love me or love me not“ liegen ein paar zitronengelbe Blütenblätter verstreut, hinein hat sich ein schwarzer High Heel mit Knöchelriemchen gestellt. Das Bein – unwichtig, wie es weitergeht – endet an der Wade.

Es gelte, „alles zu beseitigen, was nicht wirklich nötig ist – je mehr, desto besser“, so Berthoud. Nicht die realistische Darstellung ist die Maßgabe des Illustrators, sondern die Konzentration auf die Essenz, was technisch zunächst heißt: auf den Ausschnitt. Dann wird über die Grundlinien entschieden. Die Farbe kommt später hinzu, Schattierungen, Licht, Textur, und damit die Entscheidung darüber, ob hier eine Lichtgestalt zu sehen ist oder Düsternis. Meist ist es Licht, ein Glanz, der aus dem Dunkeln strahlt, wie seine Laufstegillustrationen von Balenciaga, Viktor & Rolf oder Comme des Garçons. Es sind Erscheinungen – wie auf dem Catwalk auch. Die Ausstellung ist bestrebt, nicht nur einen Querschnitt von Berthouds Arbeiten inklusive neuer Fertigungstechniken zu zeigen, sondern eben auch den Entstehungsprozess.

So versammeln zwei kleine Räume als eine Art Werkstätte diese beiden zentralen Arbeitsschritte: zunächst die Zeichnungen sowie die Linolplatten, dann die Farbkarten und die diversen Abzüge. Und schließlich ist da der Film, der aufschlüsselt, wie ein Linoldruck entsteht, vor allem aber Berthouds Konzentration und den fortwährend prüfenden Blick einfängt. Keine Musik, kein erklärendes Parlando: Da ist nur das Rattern der Walze der großen Druckmaschine La Bodonia, das Rascheln des transparenten Kalkpapiers, mit dem die überschüssige Farbe von den Drucken genommen wird, das Kratzen des Spachtels und das Zurückschnappen des Linols. Man sieht Berthoud in seinem Zürcher Atelier Farbe mit dem Spachtel vermischen, Weiß und Dunkelrot, bis ein pudriger Beerenton entsteht, den er versuchsweise aufs Papier streicht. Es folgen zahllose Druckversuche, kurze Kontemplation, dann wieder Gemische und Gespachtel, Farbauftrag und erneuter Druck.

Der erste Probedruck, den Berthoud stets in Blau durchführt, ist der Moment, in dem er einen Entwurf erstmals nicht seitenverkehrt sieht; so ist es damals zum umgedrehten F gekommen, seinem Zeichen: ein Versehen. Berthoud arbeitet fast ausschließlich analog. Für die Linolplatte kommt der Computer zum Einsatz, die Zeichnung wird eingescannt und dann mit Lösungsmittel auf die Platte gebracht. Für das Einritzen in die Linolplatte gilt dann wieder: „Fehler sind nicht erlaubt.“

Was Berthoud in all seinen Techniken herzustellen sucht, nennt er selbst den „kalkulierten Unfall“

Nach dem Grafikdesignstudium in Lausanne war François Berthoud zunächst Comiczeichner. Zur Modeillustration kam er in den frühen 80ern und wurde Art Director bei Condé Nast. Mit dem Verfahren des Dripping kehrt er zur comicartigen Illustration zurück. Hier, wo er dickflüssige Farbe auf ein Stück Acetat tropfen lässt und dann die darunterliegende Vorlage nachmalt, zählt plötzlich das Porträt. Die Modemacherin Sonia Rykiel ist hier im Profil zu sehen: das rote, ikonische Haar ein spinstiges Geflecht.

Bei den Dias hingegen, seiner jüngsten Technik, bringt Berthoud die Räumlichkeit in die Illustration. Weiße Gouachefarbe wird in diversen Schichten mit unterschiedlich starkem Farbauftrag auf transparente Bildträger gebraucht. Was zunächst als weißer Fleck erscheint, wird unter dem Durchlichtscanner als Bild sichtbar.

Was François Berthoud in all seinen Techniken herzustellen sucht, nennt er selbst den „kalkulierten Unfall“: „Was mit Papier, Druck und Farbe geschieht, lässt sich nicht mit Computer erreichen. Denn was der Computer nicht leisten kann, ist der Unfall – das Wohlkalkulierte, aber Ungeplante. Das passiert nur bei richtiger Handarbeit, die gute wie schlechte Überraschungen bereithält“, sagt François Berthoud im Interview mit dem Kurator Christian Brändle, das den Ausstellungskatalog beschließt. Beim Linoldruck wird für jede neue Farbe ein neuer Durchgang gedruckt, wobei mit der Farbkomplexität auch die Wahrscheinlichkeit des Ruinierens zunimmt. Ob Berthoud die Farbe mit der Rolle aufträgt oder mit dem Wattestäbchen aufs Linol tupft, eines gilt immer: „Wenn die Druckwalze über das Blatt gerollt ist, dann ist es vorbei“. Korrekturen gibt es keine.

■ Museum für Gestaltung Zürich, bis 9. Oktober 2011. Katalog bei Hatje Cantz, 35 Euro