AMERICAN PIE
: Gegen jede Wahrscheinlichkeit

FOOTBALL Zum Karriereende hin schafft Ben Roethlisberger, der Quarterback der Pittsburgh Steelers, einen Rekord für die Ewigkeit. Dabei zählte der 32-jährige Spielmacher bislang nicht zu den ganz Großen der NFL

Als die historische Tat vollbracht war, saß Ben Roethlisberger auf dem Podium und versuchte, den Ball flach zu halten. Nur selten huschte ein Lächeln über das Gesicht des Quarterbacks der Pittsburgh Steelers. Er sprach davon, wie wichtig der Sieg gegen die Baltimore Ravens ist, er sprach von Teamwork und Mannschaftsgeist, und er sprach davon, wie sehr er sich freut für seine Mitspieler. Er sprach ausdrücklich nicht davon, dass er sich gerade in den Rekordbüchern der NFL verewigt hatte, indem er innerhalb von Wochenfrist zum zweiten Mal sechs Touchdowns geworfen hatte. „Es macht Spaß“, sagte Roethlisberger nur und versuchte dabei besonders ernst zu schauen.

Zwei NFL-Spiele hintereinander mit jeweils sechs Pässen, die direkt zu einem Touchdown führen. Das ist nicht nur noch niemals vorgekommen, sondern wird aller Wahrscheinlichkeit auch nie wieder vorkommen. Wie unwahrscheinlich es ist, was Roethlisberger an den beiden vergangenen Wochenenden gelang, zeigt eine Zahl: Bislang gab es erst einen einzigen Quarterback, dem wenigstens zwei Spiele mit sechs Touchdown-Pässen in einer Saison gelangen. Das war im Jahr 1962, und Y. A. Tittle ist längst aufgenommen worden in die „Hall of Fame“.

Roethlisberger aber ist ein Platz in der Ruhmeshalle der NFL in Canton, Ohio, noch lange nicht sicher. Denn der 32-Jährige mit Schweizer Wurzeln spielt zwar schon seit 2004 erfolgreich in der NFL und hat mit den Steelers alles gewonnen. Aber er hat auch allzu oft katastrophale Spiele abgeliefert. In einer Ära, die bestimmt wird von Peyton Manning und Tom Brady, die mit dem legendären Joe Montana um den Titel des besten Quarterbacks aller Zeiten konkurrieren, galt Roethlisberger stets als ganz brauchbarer, aber selten überragender Spielmacher.

Vor allem in den wichtigsten Spielen konnte Roethlisberger nur selten überzeugen. Zweimal gewann er mit den Steelers den NFL-Titel, aber das lag nicht an ihm. Im Februar 2006 wurde er zwar der jüngste Quarterback, der je in einer Super Bowl siegreich war, aber mit einer Passquote von 43 Prozent und keinem einzigen Touchdown-Pass auch der schlechteste Quarterback, der je in einer Super Bowl siegreich war. Drei Jahre später, beim zweiten Erfolg, war er zwar besser – aber immer noch weit von seinen Ansprüchen entfernt. Nach dem Endspiel 2011 schließlich, seiner ersten Super-Bowl-Niederlage, gab er zu Protokoll, „es ist kein gutes Gefühl, die Stadt Pittsburgh, meine Trainer und meine Mannschaftskollegen im Stich gelassen zu haben“.

Nun, auf seine alten Tage scheint sich Roethlisberger noch einmal neu zu erfinden. Zu Beginn seiner Karriere war er mit Skandalen auffällig geworden. Er fuhr Motorräder zu Schrott und verletzte sich schwer, weil er nicht einmal einen Helm trug. Er geriet in Kneipenschlägereien, und zweimal wurde gegen ihn – wenn es auch schlussendlich zu keiner Anklage kam – wegen sexueller Nötigung ermittelt.

Nun ist er verheiratet, hat zwei Kinder und ein professionelleres Verhältnis zu seinem Beruf gefunden. Roethlisberger sieht – wie früher – nicht vollkommen durchtrainiert aus, aber er hat gelernt, seinen schon immer beachtlichen Wurfarm nicht mehr so unüberlegt einzusetzen. Aus einem Quarterback mit Hang zu Improvisation und Größenwahn ist einer geworden, der in der Lage ist, die Fehler der gegnerischen Verteidigung zu erkennen und auszunutzen. Und nicht zuletzt hat Ben Roethlisberger gelernt, seine Leistung in den Dienst der Mannschaft zu stellen: „Solange wir gewinnen, ist alles gut“, sagte er und gönnte sich ein Lächeln. Man konnte nur erahnen, dass er gerade an seine sechs Touchdown-Pässe dachte.

THOMAS WINKLER