„Etwas historisch Neues“

Die Entschädigung der Zwangsarbeiter ist, trotz aller Kritik, ein Erfolg, so der Historiker Ulrich Herbert

ULRICH HERBERT ist Professor für Geschichte an der Uni Freiburg. Er forscht seit Jahren über Zwangsarbeiter.

taz: Herr Herbert, heute werden Köhler und Merkel das Ende der Zwangarbeiterentschädigung feiern. Zu Recht?

Ulrich Herbert: Ja. Das Unrechtsbewusstsein hat lange auf sich warten lassen. Noch Mitte der 80er-Jahre war zu hören, dass Zwangsarbeiter ganz normale Gastarbeiter gewesen waren. Dass alle großen Firmen bis 1945 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge beschäftigt hatten, wurde geleugnet. Insofern sind die 5 Milliarden Euro Entschädigung ein Erfolg.

Und wer darf diesen Erfolg für sich verbuchen? Rot-Grün? Die Öffentlichkeit? Oder war es der Druck der Klagen in den USA gegen deutsche Firmen?

Alles drei in gleichem Maße. In der Öffentlichkeit wurde das Thema schon in den 80ern diskutiert. Die Klagen haben die Firmen unter Druck gesetzt, Rot-Grün hat die Entschädigung durchgesetzt. Übersehen wurde aber oft, dass es bei den Sammelklagen in den USA nur um Juden ging – doch 95 Prozent der Zwangsarbeiter waren keine Juden. Rot-Grün wollte anfangs, mangels historischer Kenntnis, auch nur jüdische Zwangsarbeiter entschädigen. Es war ein Verdienst der viel geschmähten Anwälte, vor allem von Michael Hausfeld, auch nichtjüdische Zwangsarbeiter zu vertreten. Das war der Durchbruch für die Entschädigung osteuropäischer Opfer.

Haben die Deutschen genug gezahlt. Oder zu wenig?

Die Frage kann man bei Entschädigung nie beantworten. Einerseits sind 5 Milliarden Euro wenig – im Vergleich etwa zu den 50 Milliarden Euro, die damals die UMTS-Lizenz kostete. Andererseits ist die Bereitschaft der deutschen Gesellschaft, Entschädigungen zu zahlen, etwas historisch Neues – wobei dies die Einmaligkeit der Verbrechen spiegelt.

Die Stiftung „Erinnerung und Zukunft“ verfügt über 425 Millionen Euro. Wären die nicht besser auch Zwangarbeiter zugute gekommen?

Es bestand von vornherein auch international Übereinstimmung, etwa zehn Prozent der Summe für Zukunftsprojekte auszugeben: für Jugendaustausch, Forschung und die Pflege von Gedenkstätte. Das halte ich nach wie vor für sinnvoll. Problematisch scheint es mir aber, die Stiftung nun als deutsche laufen zu lassen. Nicht weil dies illegitim, sondern weil es ungeschickt ist. Nach der guten Zusammenarbeit mit den Dependancen der Stiftung in vielen Ländern Europas wäre das ein Rückschritt.

Die Stiftung plant eine große Ausstellung über Zwangsarbeit. Ist das wirklich nötig?

Ja. Wenn es in der „Tagesschau“ um Zwangsarbeit geht, wird das stets mit einem KZ-Häftling bebildert. Zwangsarbeit wird in Deutschland mit Auschwitz und Holocaust assoziiert, nicht mit Ausländerlagern in Duisburg, Karlsruhe oder dem Bayerischen Wald. Dass es 10 Millionen Zwangsarbeiter in Deutschland gab, ist kaum bewusst. Ebenso wenig wie fließend die Grenzen waren – von Kindermädchen in deutschen Familien bis zum KZ-Häftling in Dora.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE