Kritik der Unternehmerisierung

KUNST Ein Kunstprojekt im Westgermany stellt alte Utopien den Versprechungen von Management und Marketing gegenüber

Das Westgermany am Kottbusser Tor ist ein unheimlicher Ort. Wenn man dort auf der Terrasse steht und über die gelbe Mauerbrüstung schaut, sieht man allein die Spitzen der grauen 70er-Jahre-Bauten. Man fühlt sich aus der Zeit gehoben, fällt gleichsam heraus aus dem Regime, das zehn Meter darunter das Leben taktet. Gerade deshalb wirken Fetzen von Parolen der stetigen Leistungssteigerung einer Managerrhetorik, die auf die Terrasse gelangen, umso absurder.

Die Künstlerinnen Katja Czellnik und Nicole Timm lassen das „Unternehmen Angst“ für vier Tage in den Räumen des Kunstraums arbeiten. In der Installation des fiktiven Unternehmens in den Räumen der ehemaligen Arztpraxis findet man stilisierte Möbel und Einrichtungsgegenstände aus Pappe und Rigips, die das Ambiente einer Führungsetage nachahmen. Nur zögerlich lässt man sich auf den Sitzmöglichkeiten nieder, um die Videos von Katja Czellnik anzuschauen. Man hat Angst, sie könnten unter der Last zusammenbrachen.

Was man in den Videos zu sehen bekommt ist eine paranoide Collage, in der groteske Rezitationen von Managerreden auf Filmbilder aus dem Archiv der großen Gesellschaftsutopien treffen. Während letztere schon länger Vergangenheit sind, wirken die Parolen der Unternehmensführer – selbst nach der jüngsten Weltwirtschaftskrise – in ihrem Zukunftsoptimismus nicht mal angeschlagen. Wenn es heute noch Utopien gibt, sind es jene durchweg unternehmerischen, die von einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz phantasieren. Oder von dessen grüner Variante. „You’re showing America our future“, wird Barack Obama von dem Manager eines amerikanischen Konzerns zitiert. Man hört: „Wenn die Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum gelingt, dann ist das der Schlüssel zu Nachhaltigkeit und zur Verbesserung der Lebensqualität.“

Leistungssteigerung bei maximaler Risikominimierung ist der Leitgedanke, der längst nicht mehr nur Großkonzernen organisiert. Besonders interessant sind deshalb die Videos Czellniks, in der sie sich mit Material aus anderen Kontexten, aber mit den selben unternehmerischen Phrasenqualitäten beschäftigt. Da geht es etwa um die Risikominimierungsstategien des Unternehmens Liebe, wofür diverse Partnerbörsen ihren Kunden zur Seite stehen: „parship.de – Liebe ist, wenn es passt!“ Aber auch die marketingtechnische Präsentation des Stadteilentwicklungskonzepts „Soziale Stadt“ des Aktionsraums Kreuzberg, das die besondere „Kreuzberger Mischung“ anpreist, die es zu erhalten gilt, findet die Aufmerksamkeit der Künstlerin.

Die Kritik der Unternehmerisierung gehört längst zum Standardrepertoire der informierten Gegenwartsdiagnose, wie zuletzt beim französischen Autorenkollektiv Das unsichtbare Komitee. Die Gruppe steht den Künstlerinnen in ihrer Arbeit denn auch Pate und wird in ihrem sozialromantischen Konzept ausgiebig zitiert, wo es etwa um die städtischen Elendsviertel als angeblich letzte Bastion des unkorrumpierten sozialen Zusammenhalts geht. Beispielhaft für Czellnik und Timm steht dafür der Gebäudekomplex am Kottbusser Tor, dessen utopische Ressourcen nur scheinbar verbraucht sind, aber mit der Rückeroberung des Gebäudes durch dieses unheimliche Westgermany neu angezapft werden. PHILIPP GOLL

■ „Der ausbleibende Aufstand oder Unternehmen Angst“. Samstag, 18–22 Uhr. Sonntag, ab 15 Uhr mit Filmen und einer psychoanalytisch-marxistischen Analyse von Siarhei Biareishyk. Westgermany, Skalitzer Str. 133