Klicken und kassieren

Das Spiel: Counter Strike ist ein Computerspiel aus dem Genre der Online-Taktik-Shooter. Die erste Version erschien 1999. Es ist ein Kampf zwischen zwei Gruppen, den Terroristen (T) und der Antiterroreinheit, den Counter-Terroristen (CT). Jede Gruppe hat die Aufgabe, das jeweils andere Team an der Erfüllung des erteilten Auftrags zu hindern. Durch Eliminierung der Gegner oder Erfüllung von Missionszielen erhält der Spieler Punkte sowie virtuelles Geld. Die Ziele sind für CTs das Befreien von Geiseln, für die Ts das Legen einer Bombe. Für Abschüsse eigener Teammitglieder oder Geiseln werden dem jeweiligen Spieler Geld und Punkte abgezogen. Die Teammitglieder stehen während des Spiels über Headsets in Kontakt.

Die Liga: In der deutschen Electronic Sports League (ESL) spielen 650.000 Mitglieder. Die besten treten in der Pro Series, vergleichbar der Bundesliga, gegeneinander an. Die Saison dauert sechs Monate, an den 15 Spieltagen, den Intel Friday Night Games, sind Zuschauer dabei.

Das Finale: Am Freitag beginnen in Köln die Finalkämpfe. Bis zum Sonntag werden Warcraft 3, Counter Strike und Live for Speed gespielt. Das Preisgeld beträgt 165.000 Euro. KAT

AUS STUTTGART KATHARINA SCHÖNWITZ

Ein verwinkeltes leerstehendes Industriegelände, irgendwo im Halbdunkel müssen sie stecken, die Terroristen. Sie haben gedroht, eine Bombe zu zünden, es muss jetzt wirklich schnell gehen. Aber Güterwaggons und Kisten behindern die Sicht. Da laufen sie ins Schussfeld. Feuer!

Alltag für Sabrina Burkhardt. Virtueller Alltag. Die Abiturientin ist semiprofessionelle Counter-Strike-Source-Spielerin und Stress gewöhnt. Doch jetzt ist selbst sie nervös. Es ist kurz vor 20 Uhr, in den Katakomben des Stuttgarter Kongresszentrums ist es heiß und stickig. In der Künstlergarderobe brummen fünf Computer vor sich hin, draußen warten 1.300 Zuschauer. Sabrina Burkhardt und ihre Mannschaftskollegen vom Team Triad treten heute Abend gegen das Team n!faculty an. Sie tragen miteinander verbundene Headsets für ihr Spiel, Counter-Strike-Source. Es geht um sehr viel: den Einzug ins Finale der ESL Pro Series, der Bundesliga der Counter-Strike-Spieler. Da ist volle Konzentration gefragt.

Counter Strike ist ein Ego-Shooter, gerne auch Killerspiel genannt. Der Gamer sieht auf dem Bildschirm nur seine Hände, in denen er entweder ein Maschinengewehr hält, einen Zünder oder ein Messer. Waffen, um den Gegner zu töten.

Lauf oder stirb!

Ein Stockwerk höher füllt sich gerade der Hegelsaal. Es dauert ein bisschen, denn am Eingang herrscht strenge Ausweiskontrolle. Wer unter 16 ist, bleibt draußen. Zwei Euro kostet der Eintritt. Frauen müssen nichts bezahlen, von ihnen sind aber auch nur wenige gekommen. Einige der jungen Besucher tragen T-Shirts, auf denen steht „Lauf oder stirb“.

An anderen Tagen wird der Saal von Musikern wegen seiner guten Akustik geschätzt, aber um so was geht es heute nicht. Es geht ums Schauen, ums Abschauen, wie die Könige der Counter-Strike-Szene spielen. Auf der Bühne sind zwölf Großbildschirme aufgebaut, auf die die Screens der Counter-Strike-Spieler übertragen werden. So können die Zuschauer das Spielgeschehen verfolgen.

Wie immer ist Giga-TV live dabei. Der Fernsehsender beschäftigt sich ausschließlich mit Computerspielen und ist fester Vermarktungspartner der ESL Pro Series. Bis die Übertragung beginnt, unterhalten zwei Moderatoren das Saal- und Fernsehpublikum. Nick erzählt schon mal, worauf sich alle heute Abend freuen dürfen, während Anna, die ehemalige „Big Brother“-Bewohnerin, im zu kurzen Kleid hübsch neben ihm steht.

Mit wenigen Minuten Verspätung geht es los. Doch für das Team von ginGa – das ist der Nickname von Sabrina Burkhardt – läuft es schlecht. „Geht in Deckung! Geht in Deckung!“, schallt es blechern aus den Lautsprechern im Saal. Trotzdem, die Triads sind schwer getroffen, überall liegen ihre Leichen herum. Die fünf im Keller raunzen sich unverständliche Kommandos zu.

Oben im Hegelsaal ist die Stimmung dagegen prächtig. 1.300 Zuschauer starren gebannt auf die Bildschirme. Wird jemand getroffen und stirbt, geht ein Johlen durch die Menge oder es wird kurz geklatscht. Zwei Kommentatoren sagen Sätze wie: „Oh, da ist schon wieder einer gefallen.“

Im Foyer ist es leer, nur zwei Männer und eine Frau stehen an einem Bistrotisch beim Bier. Die drei wurden von Freunden hierhergeschleppt, sie können mit dem Abendprogramm nichts anfangen. „Wir warten ab, bis es rum ist und rauchen so lange“, sagt einer der beiden Männer. Auch Ashley Dixon langweilt sich. Was hier stattfindet, ist nichts Neues für die 22-jährige Australierin. „So was gibt’s bei uns in Australien auch.“ Nur in Japan, Südkorea und den USA geht es noch professioneller zu, dort gibt es echte Profispieler.

In Stuttgart werden an diesem Freitagabend drei Spiele gespielt: Counter-Strike-Source, Warcraft 3 und Counter Strike 1.6. Für den Laien sind die Unterschiede kaum zu erkennen. Die Spieler touren schon seit Anfang des Jahres durchs Land– Berlin, Frankfurt, Oberhausen, München und so weiter. Finanziert wird das Ganze von Sponsoren, die sich auf den Trikots der Mannschaften beziehungsweise Clans wiederfinden. Die Fangemeinde wächst jedes Jahr, ein Team ist sogar mit einem Bus voller Anhänger angereist. Der Ausrichter, die ESL Pro Series, ist die größte Computerspielliga Europas, und mit beachtlichen 165.000 Euro auch die höchst dotierte.

Jetzt hat sie selber Fans

Dann ist das Spiel zu Ende. Triad hat verloren. Bitter. Langsam pegelt sich Sabrina Burkhardt wieder runter, 45 Minuten hat der Kampf gedauert. „Es geht mir nicht ums Töten“, erklärt sie. „Mich fasziniert das strategische Denken und Handeln.“ Handeln heißt bei Counter Strike killen. Burkhardt ist die einzige Frau, die in der Szene erfolgreich killt, seit fünf Jahren ist die Darmstädterin mit den kunstvoll lackierten Fingernägeln Counterstrikerin. Damals gab es an ihrer Schule eine Projektwoche zum Thema Computer. Schon nach einem Tag hatten alle ihre Rechner vernetzt und spielten den Rest der Woche gegeneinander. Counter Strike. „Schon schräg, dass wir das damals noch in der Schule spielen durften“, sagt sie.

Inzwischen sind ihre Lehrer alles andere als begeistert von ihrem Hobby. Als bekannt wurde, dass sie halbprofessionell spielt, musste sie beim Schulleiter vorstellig werden. Wird sie auf die Amokläufer von Erfurt und Emsdetten angesprochen, deren Taten auch aufs Counter-Strike-Spielen zurückgeführt werden, sagt sie: „In der Schule gemobbt zu werden, keine Freunde zu haben oder Stress in der Familie sind bestimmt eher Auslöser als ein Computerspiel.“ Doch sie räumt ein, dass ein Counterstriker mit angeknackster Psyche vielleicht schneller zur Waffe greifen würde als andere.

An fünf Wochentagen trainiert sie im Netz mit ihrem Team. Jeder wohnt in einer anderen Stadt, einer sogar in Linz in Österreich. „Das ist online ja kein Problem“, erklärt ginGa.

Ihr Nickname bezieht sich auf Gerri Halliwell, alias Ginger Spice, eine Sängerin der Spice Girls. Sabrina Burkhardt war mal Fan. Jetzt hat sie selber welche. Aber auch Feinde. In ihrem Team ist sie zwar voll akzeptiert, doch in der Gamer-Szene werden Frauen kaum als vollwertige Gegnerinnen respektiert. „Oft werde ich online beschimpft“, erzählt sie, „weil ich eben kein Püppchen mit Traummaßen bin. Online ist die Hemmschwelle einfach niedriger. Aber die ganze Szene ist schon ganz schön oberflächlich.“ Frauen wie Anna, die Moderatorin und Ex-„Big Brother“-Bewohnerin, haben ihrer Meinung nach aber auch nichts in der Szene verloren. „Es gibt Frauenteams, die existieren nur, weil sie gut ausschauen. Denen fehlt einfach die Ernsthaftigkeit.“

Es ist kurz vor 22 Uhr, hinter der Bühne stehen die Stars der Szene bereit. Im Gegensatz zu Sabrina Burkhardt spielen sie die ältere Version von Counter Strike, die unter Gamern das höhere Ansehen genießt. Die fünf jungen Männer bekommen noch schnell die Nase gepudert, dann kommen sie auf die Bühne, um die Fragen des Giga-Moderators zu beantworten.

Roman „Rock Lee“ Außerdorfer gehört zum Team Alternate aTTaX. Die Mannschaft führt die Tabelle an. Während bei anderen Wettkampfformen das Gewicht oder vielleicht die Körpergröße eine Rolle spielen, wird bei dem 20-Jährigen erläutert, mit welcher Mouse und mit welchem Mousepad er spielt. Im Anschluss muss er mit seinem Clan hinunter ins Untergeschoss, um sich am PC warm zu spielen. Die Luft dort ist mittlerweile unerträglich. Die Röhrenmonitore tun das Ihrige – Flachbildschirme wären zu langsam, jede Millisekunde zählt.

„Das ist wie VfB live“

Rock Lees Team gewinnt an diesem Abend. Wie so oft. Es ist der letzte Spieltag vorm großen Finale in Köln (siehe Kasten), und für jeden Sieg gibt es eine Prämie. „Das ist schon mehr als ein sehr gutes Taschengeld“, sagt der 20-Jährige und grinst. Neben dem Gamen macht er gerade seine Fachhochschulreife. Die meisten hier gehen zur Schule oder studieren. Die Ältesten sind 25 – die Methusalems unter den Spielern.

Roman Außerdorfers Mutter wollte eigentlich auch zu dem Heimspiel ihres Sohnes nach Stuttgart kommen. „Aber das war mir irgendwie peinlich“, sagt der. Wäre sie gekommen, hätte sie gesehen, wie ihr Sohn wie ein Popstar angehimmelt wird. Eineinhalb Stunden muss er noch Autogramme schreiben.

Die beiden 16-jährigen Stuttgarter Manuel Ziehfreund und Benjamin Hartinger haben dennoch keins mehr bekommen, so lang war die Schlange. Sie finden den Abend trotzdem super. „Das ist, als ob man den VfB live im Stadion sieht“, sagt Manuel. Und das Gefühl, in der Fankurve zu stehen, wird gleich mitgeliefert. Bis zu drei Stunden sitzen die beiden jeden Tag vor dem Computer. „Aber keine Angst“, sagt Benjamin, „wir machen auch noch andere Sachen. Fußballspielen zum Beispiel.“

Die beiden ziehen weiter, schließlich gibt es im Foyer neue Spiele zum Ausprobieren. Die Werbeposter verheißen nichts Gutes: Soldaten mit Gasmasken liegen hinter Sandsäcken, das Maschinengewehr halten sie im Anschlag.