Nicht nur ein bisschen Rasen auf dem Dach

UMWELT „Berlin baut Zukunft“ – eine Ausstellung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stellt „ökologische Gebäudekonzepte“ vor. Modellhaft wird in der Schau urbane Nachhaltigkeit vorgestellt, dabei behandelt der Senat in der Praxis das Thema eher stiefmütterlich

Da ginge noch viel mehr Öko: grüne Fassaden sucht man heute fast vergeblich

VON CLAUDIUS PRÖSSER

Vom Berliner „Tomatenfisch“ hat inzwischen fast jeder schon mal gehört. Gemeint sind damit nicht Dosen voll roter Tunke, sondern das „Aquaponik“-Verfahren, das Treibhäuser mit Fischtanks kombiniert. Vom gemeinsamen Wasser- und Nährstoffkreislauf sollen beide Produkte – Tomaten und Barsche – profitieren, und der urbane Raum wird zur agrarischen Zone. Ein Prototyp der Firma ECF steht in Tempelhof-Schöneberg auf dem Gelände der zum Nachhaltigkeits-Standort umgemodelten Malzfabrik. Dort soll dann auch bald die „größte innerstädtische Fisch- und Gemüsefarm Europas“ in Betrieb gehen.

Das ECF-Projekt ist ein Beispiel für ökologische Gebäudekonzepte in Berlin, die eine Ausstellung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung noch bis zum 27. November präsentiert. Das Spektrum reicht dabei von der bepflanzten „Living Wall“ bis zum blockweiten Nutzung von „Grauwasser“, also gering verschmutztes und fäkalienfreies Abwasser. Die Senatsverwaltung unterstützt diese Projekte durch Beratung, Vernetzung und Dokumentation, Erfahrungen werden in Leitfäden und Arbeitshilfen gebündelt.

Zauberwort Vernetzung

Dabei reicht ein bisschen Rasen auf dem Dach noch nicht, um urbane Nachhaltigkeit zu generieren. Das Zauberwort heißt „vernetztes Handeln“. Baustoffe, Energie, Wasser, Grün und Abfall – aus Sicht der Senatsverwaltung sollten immer mehrere dieser Elemente kombiniert werden. Im besten Fall kommt dann so etwas heraus wie das 2003 fertiggestellte Physik-Gebäude der HU in Adlershof. An diesem „stadtökologischen Modellvorhaben“ – mit einem System zur Regenwasserbewirtschaftung und einer begrünten Fassade – beteiligte sich das Land insbesondere durch jahrelanges Monitoring.

Auf einen Anschluss an die Regenwasserkanalisation kann das Physik-Institut verzichten. Die Niederschläge werden in mehreren Zisternen aufgefangen, Überschüsse – etwa bei einem Sommergewitter – fließen in einen Teich. Dieses Wasser erzeugt in der Klimaanlage des Instituts Verdunstungskälte, es versorgt aber auch die rund 450 Rank- und Kletterpflanzen an der Fassade. Nicht von ungefähr handelt es sich dabei um sommergrüne Arten. Die schirmen in der heißen Jahreszeit die Sonnenstrahlung ab und lassen sie in der kalten durch. Fazit des Monitorings: ein Modell, das Wasser, Energie und Betriebskosten in nennenswertem Umfang einspart.

Solche Win-win-Modelle sind faszinierend, spielen aber offenbar in der Denke von Bauherren und Architekten immer noch kaum eine Rolle. Bezeichnenderweise haben etliche der Projekte, die in der Schau präsentiert werden, schon etliche Jahre auf dem Buckel, etwa die begrünten Dächer der Tempelhofer Ufafabrik oder der Kreuzberger „Block 6“ in der Nähe des Potsdamer Platzes: eine Anlage zum Regen- und Abwassermanagement, die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1987 entstand. Grüne Fassaden sucht man heute fast vergeblich – selbst die taz setzt bei ihrem geplanten Neubau lediglich auf Glas und Stahl.

Dass bei diesem Thema so wenig passiert, liegt natürlich auch daran, dass die Berliner Landesregierungen es seit besagter IBA aus den Augen verloren haben. Die Stadtreparatur stand im Vordergrund, und über das Umweltentlastungsprogramm des Senats werden hauptsächlich Projekte zur energetischen Optimierung bezuschusst – ein eigener Fördertopf für mehrdimensionale ökologische Gebäudekonzepte fehlt, wie Brigitte Reichmann vom Fachbereich Ökologischer Städtebau in der Senatsverwaltung bestätigt. Reichmann, die auch die Ausstellung konzipiert hat, findet, dass der Vernetzungsgedanke aktuell zu kurz kommt: „Nachhaltigkeit heißt nicht, einfach jedem Haus eine Pudelmütze aufzusetzen.“

Und, so möchte man nach dem Besuch der Ausstellung hinzufügen, nicht alles, wo Pflanzen und Tiere vorkommen, ist automatisch öko. In den Tomatenfisch-Farmen etwa werden Fische in sterilen Plastikwannen gemästet und Gemüse auf künstlichem Substrat gezogen, ohne Erde und Mikroorganismen. Polemisch formuliert: Eines der Lieblingsprojekte der vermeintlich urbanen Nachhaltigkeit basiert auf Massenhaltung und Laborzucht.

■ „Berlin baut Zukunft – Ökologische Gebäudekonzepte“, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Lichthof am Köllnischen Park 3, bis 27. November, Mo.–Sa. 10–18 Uhr