Lebenslang für Schwänzer

Heute starten SchulabgängerInnen mit einem umstrittenen Zeugnis in die Ferien: Erstmals sind Fehlstunden vermerkt. Für Kritiker unverantwortlich: Den Schülern wird Blaumachen zum Verhängnis

von NATALIE WIESMANN

Warum haben Sie in der Schule so oft gefehlt? Diese Frage könnte BewerberInnen demnächst im Vorstellungsgespräch blühen. Denn ab heute stehen erstmals unentschuldigte Fehlstunden auch in den Abgangszeugnissen. Davon distanziert sich unter anderem der Vorsitzende des Philologen-Verbands in NRW, Peter Silbernagel: „Niemand weiß, warum die Schüler gefehlt haben“, sagt der ansonsten der CDU-Schulpolitik wohlgesonnene Bildungsexperte. „Und das hängt ihnen das ganze Leben nach.“ Die Folgen seien heute „nicht abzumessen“.

Wolfgang Böttcher, Pädagogik-Professor an der Uni Münster, findet die Dokumentation von Fehlzeiten auf den Abgangszeugnissen sogar „skandalös“: „Das ist eine Zumutung für die Schüler“, sagt er. Für ihn zielt der Vorstoß von Schwarz-Gelb in die gleiche Richtung wie die umstrittenen Kopfnoten, die fürs nächste Jahr vorgesehen sind: „Beides sind Versuche, die Schüler zu disziplinieren“, sagt Böttcher.

Kopfnoten gibt es etwa in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen. Doch nur in NRW steht die Bewertung der Mitarbeit und des sozialen Verhaltens demnächst auch im Abiturzeugnis. LehrerInnen in NRW müssen gleich sechs Noten ab 2008 pro Halbjahr vergeben. Sie sollen ihre Zöglinge in den Kategorien Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Sorgfalt sowie Selbstständigkeit bewerten. Zudem müssen sie deren Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit benoten. Die Skala geht von sehr gut bis unbefriedigend.

„Bei einer durchschnittlichen Zahl von 180 Schülern müssen Lehrer demnächst mehr als 1.000 Kopfnoten pro Halbjahr vergeben“, sagt Böttcher. Das überfordere die Lehrer. Dazu seien Psychologen erst nach einem langjährigen Studium befähigt.

Auch der Leiter der Gesamtschule Nettetal, Roland Schiefelbein, lehnt Kategorisierungen in dieser Form ab. „Diese Noten haben keine Aussagekraft“, sagt er. Es seien zu viele Lehrer an der Bewertung beteiligt. Das Ministerium habe zwar angeordnet, keine Mittelwerte zu bilden. Trotzdem glaubt Schiefelbein: „Da steht dann immer die Note drei.“

Die Notenpolitik von Schulministerin Barbara Sommer (CDU) hat aber auch Fürsprecher – nicht nur in den Personalabteilungen. Der Vorsitzende des Realschullehrerverbands in NRW, Heinz Kampermann, sagt: „Die Arbeitgeber müssen doch wissen, ob sie zuverlässige Leute bekommen.“ Es könne nicht angehen, dass Schüler ohne Folgen krank feierten oder ausschliefen. Wenn das jetzt vermerkt würde, seien die Betroffenen „selber schuld.“ Er selbst sei kein guter Schüler gewesen. „Trotzdem bin ich Leiter einer Realschule geworden.“

Der 18-jährige Gymnasiast Horst Wenzel kann das nicht nachvollziehen: Für den Landesschülervertreter sind Kopfnoten und Fehlstundenvermerke „grässliche Instrumente“ : „Lehrer sollen keinen Druck machen, sondern uns motivieren.“