ZWISCHEN DEN RILLEN
: Dichte Wärme im Schlafzimmer

Kindness: „Otherness“ (Female Energy/Cooperative Music/PIAS)

Verloren blickt der hagere Mann unter den langen braunen Haaren hervor. Adam Bainbridge fühlt sich sichtlich unwohl. Aber was will man von einem auch erwarten, der gerade auf der Bühne eines Stripclubs steht, Metallstange im Rücken, und seine Songs zum Besten geben will, oder besser: muss?

Eine Sneakers-Marke hat Bainbridge für einen exklusiven Werbe-Event gebucht. Die Getränke: aufs Haus. Der Auftritt: gut dotiert. Allein, dort, wo sonst Euro-Scheine aus klebrigen Händen in reiztrockene Tangas gesteckt werden, wirkt der eigene Kontostand akut abstrakt. Sicherheit findet Adam Bainbridge erst, als Kollege Devonté Hynes alias Blood Orange zu ihm stößt, seines Zeichens unter anderem Songwriter für Kylie Minogue und die Beyoncé-Schwester Solange Knowles.

Die beiden Briten sind enge Freunde. Gemeinsam arbeitet man seit einiger Zeit an einer Renaissance des getragenen Schlafzimmer-Funk, bei dem die Bassgitarre als erotischer Puls fungiert. Hynes – Mutter aus Sierra-Leone, Vater aus Guyana – liegt hier zwar ein paar Armlängen vorne, konnte aber immerhin Bainbridge – Vater weiß, Mutter aus Indien – einst eine Rolle in einem Musikvideo von Beyoncé vermitteln, als deren Management das „weiße“ Äquivalent zu Hynes suchte. Bainbridge verschlief seinen Gastauftritt allerdings.

Womit man zum leicht verschlafenen, zweiten Kindness-Album „Otherness“ gelangt. Wie sein Vorgänger „World, You Need A Change Mind“ erscheint es auf Bainbridges eigenem Label Female Energy. Der Enkel der Antiapartheidkämpferin Amina Desai hatte vor zwei Jahren mit einem bandorientierten Sound aufhorchen lassen, der zugleich Funk, Soul und House war. Dazu vertrat man, auf Nachfrage, gerne dezidiert die Positionen eines feminist ally, was die Stripclubszene umso irritierender erscheinen lässt.

Doch damals wie heute steht der zerbrechlich wirkende Bainbridge für eine zarte männliche Sinnlichkeit, die in Kontrast zur muskulös-nackten Sinnlichkeit steht, wie sie der R’n’B-Sänger D’Angelo anno 2000 in dem legendären Musikvideo „Untitled (How Does It Feel)“ exemplarisch vorführte.

Aber um Gefühlsfragen geht es auch auf „Otherness“ sehr oft. Schon der Auftaktsong „World Restart“ entpuppt sich als Etikettenschwindel, ist der besungene Neuanfang doch nur ein gefühlter, ein Traum. Folgerichtig lässt Bainbridge in den folgenden neun Stücken die Welt die Welt sein, um sich stattdessen dem Zwischenmenschlichen zu widmen.

So nachdenklich, wie er jedoch auf dem Albumcover dreinschaut, so schwankt er jetzt hin und her: Mal soll sein Gegenüber sich schnellstmöglich einen anderen suchen, mal fängt er sie selbst dann noch auf, wenn sie ihn bereits vergessen hat, wiederum ein anderes Mal weiß er wieder, dass er der einzig Wahre für sie ist.

House gibt es hier nur noch in der sich vorsichtig anpirschenden Schmuse-Piano-Version, dafür dann aber auch gerne mit Kuhglocke. Die Bassgitarre beherrscht weiterhin den Raum, Bainbridge tritt wieder und wieder hinter ihr zurück, klimpert etwas an der elektronischen Heimorgel, lässt das Rauschen einer flüchtigen Klavieraufnahme einfach als Atmosphäre auf der Platte und ansonsten vor allem seinen zahlreichen Gästen – darunter auch Devonté Hynes – allerhand Platz.

Mag dieses Kindness-Album durch seine lyrische Unentschlossenheit mitunter nerven, insgesamt klingt „Otherness“ doch angenehm unprätentiös und ist von einer derart dichten Wärme, dass es ein Gewinn ist. So bleibt es der schwedischen Sängerin Robyn vorbehalten, dem Irrlichternden im Duett „Who Do You Love“ auch emotional den Weg zu weisen, den er musikalisch längst gefunden hat: „Don’t let the noise confuse you. There’s something else if you listen“ – zum Beispiel die Welt außerhalb des Privaten.

THOMAS VORREYER