Der unermüdliche Einradsenior

Jan Logemann aus Remscheid ist Profi im Einradfahren. Seit Jahren fährt er zu jeder Weltmeisterschaft. Was er liebt an der Sportart, ist vor allem ihre Vielseitigkeit: Man kann damit Hockey spielen, Marathon fahren oder auch Downhill und Cross Country, Gliding und Coasting und vieles mehr

VON LUTZ DEBUS

Es sieht aus, als wäre er mit seinem Sportgerät auf die Welt gekommen, als gehöre es zu seinem Körper wie seine Arme und Beine. Jan Logemann fährt Einrad. Außer einem Maschinenbaustudium macht er sonst nicht mehr viel. Viele Stunden verbringt er täglich auf dem geschwungenen Sattel. „Einradfahren fasziniert, weil es so vielseitig ist“, erklärt der 24-Jährige, während er seine Runden dreht. Marathon fährt er. Hockey spielt er. Auch für Downhill und Cross Country, Gliding und Coasting, Hochsprung und Weitsprung und noch einige andere Disziplinen trainiert er. Und jedes Jahr kommen noch einige neue Möglichkeiten dazu, sich auf einem Einrad vorwärts zu bewegen, schwärmt der hochgewachsene junge Mann.

Wenn Jan Logemann von seinem Sport erzählt, schwelgt er kurioser Weise zunächst in Zahlen. Den Düsseldorfer Marathon im Mai gewann er in der Raddurchmesser-Klasse von 28 Zoll und wurde mit der Zielzeit 1:51:59 Deutscher Meister. Mit einem Durchschnittstempo von über 20 km/h ist er schneller als ein Profiläufer. „Einradfahren ist nicht so anstrengend wie Laufen“, gibt Logemann schmunzelnd zu. Aus Neugier ist er auch einmal zu Fuß einen Marathon gelaufen. Aber die Pedale sind eher was für ihn.

Für den Düsseldorf-Marathon musste er täglich eine Stunde zur Vorbereitung in der örtlichen Sporthalle im Kreis fahren. Denn draußen auf der Straße sind die Voraussetzungen für das Training in seiner Heimatstadt nicht gerade ideal. Jan Logemann wohnt in Remscheid-Lennep. Der kleine malerische Ort liegt mitten im Bergischen Land. Das hat seinen Namen zwar nicht wegen der Topographie, sondern ist nach dem Fürstengeschlecht von Berg benannt – aber in der Tat ist es dort sehr hügelig. Bei gutem Wetter fährt Logemann seine Strecken auf dem Sportplatz. Eines seiner Räder hat vom Tartanbelag bereits dunkelrote Laufflächen bekommen.

Ein anderes seiner insgesamt sechs Einräder ist mit den Abmessungen eines Rettungsringes ausgestattet. Zur Demonstration hüpft er, sich kunstvoll auf dem Sattel balancierend, auf und ab. Sein persönlicher Rekord im Hochsprung liegt bei etwa 90 Zentimetern. Im Weitsprung schafft er 2,10 Meter. Das Staunen seiner Zuschauer quittiert er mit der Bemerkung, dass der Weltrekord schließlich bei 280 Zentimetern liege. Auch bei den anderen etwas absonderlichen Disziplinen gehört er nicht zur Weltspitze, stellt Logemann bedauernd fest.

Fast wie Ballett sieht es aus, wenn er mit winzigen Trippelschritten sein Rad direkt antreibt anstatt die Pedale zu benutzen. Radlauf nennt sich diese Balancenummer. Dann lässt er, nachdem er ordentlich Anlauf genommen hat, einen Fuß auf dem Rad schleifen. „Gliding“, erklärt er knapp. Der Weltrekordhalter aus Japan hat so über 105 Meter bewältigt.

Logemanns Lieblingssportart aber bleibt Hockey. Nachdem er einige Jahre in Düsseldorf gespielt hat, ist er nun wieder fester Feldspieler bei den „Red Devils“. Die Einradhockey-Abteilung des örtlichen Sportvereins „Frischauf Lennep“ hat in der Deutschen Einradhockeyliga zur Zeit den 14. Platz belegt, bei über 50 teilnehmenden Mannschaften.

Angefangen hat Jan Logemann, als er 13 Jahre alt war. Bei einem Workshop in einem kleinen dunklen Kellerraum machte er die ersten wackligen Versuche. Im Nachhinein war es seiner Meinung nach gut, von einem erfahrenen Fahrer eingewiesen zu werden. „Man kann das Fahren auch autodidaktisch lernen, aber mit Hilfe geht es schneller. Einrad ist eben doch nicht so einfach wie Rollschuhfahren.“ Schon zwei Jahre später nahm der Junge an der Deutschen Meisterschaft in Bottrop teil. „Bottrop ist das El Dorado der Einradfahrer!“, sagt der Maniac. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es so viele Fahrer und Vereine. Ein Jahr wurde auch die Weltmeisterschaft in der Ruhrgebietsstadt veranstaltet. Dort hat Logemann der Sport endgültig gepackt. Bis auf China im Jahr 2000 trat er sonst bei jeder WM an, in Seattle, Tokio und in der Schweiz. Im kommenden Jahr geht es nach Kopenhagen.

Dabei ist Logemann mit seinen 24 Jahren inzwischen ein Einradsenior. Die meisten Aktiven sind jünger – und Frauen. Ob die physiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern und die damit verbundene Verletzungsgefahr Ursache dafür sind, dass viel mehr Frauen und Mädchen diesen Sport ausüben? Der Einradkenner aus Remscheid schüttelt den Kopf. Er glaubt, der Frauenüberschuss liegt er daran, dass es bei vielen der Disziplinen um Ästhetik, Anmut und Tanz geht. Es gibt, erzählt er, eine Disziplin, in der Männer regelrecht Mangelware seien. Im Freestyle, einer Art Eiskunstlauf auf einem Rad, gibt es fast nur Fahrerinnen. Auch er persönlich bevorzugt statt Freestyle das Einrad-Trial – weil man dabei die bösesten Phantasien Kraftfahrzeug geplagter Radfahrer ausleben kann. Beim Trial springt man nicht nur über Holzpaletten und Fahrradständer, sondern hüpft auch auf Motorhauben von Autos herum. „Natürlich nur Schrottautos“, schränkt er ein. Mit solchen Stuntshows bessert er sich auch sein Lebensunterhalt auf.

Vom Einradfahren leben möchte er aber später einmal nicht. „Das schaffen in Deutschland vielleicht drei Fahrer. Und die treten im Zirkus oder im Varietee auf.“ Als Clown, als „Dummer August“, aber will der junge Mann nicht enden. „Die können weniger als wir Sportler, können es halt nur besser präsentieren.“ Aber ganz ernst und nüchtern werden die semiprofessionellen Einradsportler wohl auch nicht genommen. Jan Logemann lacht: „Jeder Einradfahrer, so wurde irgendwo mal behauptet, hat einen Knick im Kopf.“

Infos: www.einradfahren.de www.einradhockeyliga.de