Wer hat Angst vor der Farbe Grün

KATHEDRALE VON REIMS Der Düsseldorfer Künstler Imi Knoebel hat sechs Fenster des gotischen Baus neu gestaltet. Seine Autonomie war ihm dabei leider sehr wichtig

Die Fenster lassen eher frösteln denn spirituelle Wärme aufkommen

VON URSULA WÖLL

Als schwerelosen Koloss, der auf 150 Metern Länge geerdet ist und mit seinen Rippen und Pfeilern den Himmel stürmt: so präsentiert sich die gotische Kathedrale zu Reims. Vor 800 Jahren, am 6. Mai 1211, wurde ihr Grundstein gelegt. Ein Brand hatte die romanische Vorläuferkirche vernichtet, so dass kompromisslos im neuen gotischen Stil gebaut werden konnte. Riesenfenster und Rosetten durchbrechen die Wände, ersetzen sie fast. Das göttliche Licht kann einfallen und die Farben der Glasmalereien zum Leuchten bringen. Als glühender Farbenrausch wirken die biblischen Szenen eindringlicher als in den früheren Wandfresken. Die verbliebenen Außenfassaden gleichen einer Lochstickerei aus Stein. Die mittelalterlichen Steinmetze bedeckten sie mit unzähligen Engels-, Apostel- und Königsstatuen, denen sie individuelle Gesichtszüge verliehen. Wer den Portalen zustrebt, hat nur Augen für diese Figurenfülle und übersieht leicht die in den Boden eingelassene Inschrift. Sie erinnert an De Gaulle und Adenauer, die sich hier im Juli 1962 die Hand zur Versöhnung reichten.

Sie wählten diesen im kollektiven Bewusstsein verankerten Ort, an dem 25 französische Könige gesalbt wurden, und der gerade durch sein historisches Gewicht die Zerstörungswut der deutschen Besatzer anstachelte. Im September 1914 setzten sie das Dach in Brand und bombardierten die nationale Reliquie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs mit Granaten. Fast die Hälfte der mit dünnen Bleinetzen überzogenen und bemalten mittelalterlichen Buntglasfenster wurde zerstört. Zwanzig Jahre dauerten die notdürftigsten Reparaturen der Kirche. Danach ließ der französische Staat, dem die Kathedralen gehören, peu à peu die zerstörten Glasmalereien ersetzen. Das geschah durch Annäherung an die historische Substanz, so dass das einheitliche Gesamtbild bewahrt wurde.

Eine Geste der Versöhnung

Vorläufiger Höhepunkt war der Auftrag von 1974 an Marc Chagall, die drei Fenster der mittleren Kapelle hinter dem Chor zu gestalten. Seine Entwürfe ließ der Künstler durch zwei berühmte Glasateliers in Reims und Paris realisieren, denn Glaskunst ist Teamarbeit. Nur mundgeblasenes Glas eignet sich, die Farben müssen gefunden, die Formen der vielen farbigen Teile in Kartonschablonen verwandelt, in Glas geschnitten und eventuell bemalt und gebrannt werden. Durch Bleibändchen werden sie zusammengefügt, schließlich in die Fensteröffnung montiert.

Zum 800-jährigen Jubiläum vergaben die Kulturbehörden erneut einen Auftrag. Einem deutschen Künstler sollte die Ehre zuteil werden, das einst von deutschen Truppen lädierte gotische Weltkulturerbe zu bespielen. Einen besseren Beweis für Versöhnung und nunmehrige Freundschaft lässt sich kaum finden. Schon die Informationsmaterialien zeigen, wie sehr man um gute Nachbarschaft bemüht ist. Nie wird das deutsche Militär als Täter erwähnt, es war „der Krieg“, der so barbarisch wütete.

Zunächst wandte sich die Kulturbehörde an Gerhard Richter. Als dieser absagte und sich für Köln entschied, kam der 1940 geborene Düsseldorfer Künstler Imi Knoebel zum Zuge. Im Gegensatz zu Richter, der das Kölner Domfenster mit kleinen Quadraten in 72 Farben versah und seinen Entwurf schenkte, verzichtete Knoebel nicht auf sein Honorar, so dass Gesamtkosten von 1,3 Mio. Euro anfielen. Die neuen Fenster schmücken im Dreierpack die beiden Kapellen, die links und rechts direkt an die Chagall-Kapelle anschließen. Keine sonderlich geglückte Nachbarschaft.

Imi Knoebel variiert die abstrakten Muster seiner Serie „Messerschnitt/Rot,Gelb,Blau“ von 1978/79, damals als Antwort auf Barnett Newmans Arbeiten „Who’s afraid of Red, Yellow and Blue?“ gedacht. Mit dem Cutter geschnittene, meist spitzwinklige Farbschnipsel sind ohne erkennbares Muster über die Fläche gestreut, wobei sie sich überlagern und explodierende oder kreisende Formen bilden können. Verbunden werden sie bei ihrem Comeback in Glas durch die traditionellen schmalen Bleistege. Die Dissonanzen zum Ambiente resultieren jedoch nicht aus dem Nebeneinander von gegenständlicher und abstrakter Gestaltung, sondern aus der Wahl der Farben und deren Helligkeitswert. Neben Blau verwendet Imi Koebel wiederum die beiden anderen Grundfarben Rot und Gelb, jeweils in wenigen Farbstufungen. Hinzu kommt noch Weiß, so dass seine Palette zehn Farben umfasst. Doch während Chagall 1974 gemeinsam mit dem Glasatelier ein Blau entwickelte, das dem mittelalterlichen Farbton gleicht, wollte Imi Knoebel „auf keinen Fall dasselbe Blau wie Chagall verwenden“, so jedenfalls erinnert sich Marc Nouschi im Begleitbuch des Kerber Verlags an ein Gespräch mit dem Künstler. Es fehlen Grün und warme Naturfarben, so dass die Fenster eher frösteln denn spirituelle Wärme aufkommen lassen. Offenbar ein gewollter Effekt, denn das Reimser Glasstudio präsentierte dem Künstler Muster historischer Farben, doch der blieb bei seinen Leisten.

Greller Lichteinfall

Während alle Buntglasfenster der Kathedrale einschließlich derjenigen Chagalls bemalt sind und das Licht streuen, kann es durch Knoebels unbemaltes Buntglas ungebremst und grell einfallen, sogar durch die eingestreuten sandgestrahlten Glasfelder. Das zeitigt zwar schöne Farbeffekte auf Boden und Pfeilern, wenn die Sonne scheint, verleiht aber den Fenstern eine unangenehme Dominanz, die weit sichtbar in den Kirchenraum ausstrahlt. Auch hier hatte das Studio andere Gläser vorgeschlagen, aber Knoebel entschied sich für glänzendere, weniger sinnlich anmutende, die die Glashütte Lamberts hergestellt hat. Von „einer Symbiose zwischen alt und neu“, wie der Künstler sein Projekt bewarb, ist leider wenig zu spüren. Die alte Frage, wie weit das vorgefundene Umfeld zu berücksichtigen ist, damit eine Kontinuität gewahrt wird, beantwortet er recht kompromisslos. Er beharrte auf seiner Autonomie.

■ Begleitbuch zu Imi Knoebel: „Buntglasfenster für die Kathedrale von Reims“. Kerber Verlag, Bielefeld 2011, 44,80 Euro