Die Kippot steckten noch am Zoll

Es ist die erste neu erbaute Synagoge in Schleswig-Holstein: Am Sonntag weiht die liberale jüdische Gemeinde von Bad Segeberg „Mischkan HaZafon“, die Synagoge des Nordens, ein. Die soll für Liberale und Orthodoxe gleichermaßen offen sein

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Der Gemeindevorsteher ist unter den Bauarbeitern schwer zu erkennen, weil er verkleckste Hosen und ein altes Sweatshirt trägt. Die neue Synagoge in Bad Segeberg soll am Sonntag eingeweiht werden, die erste neu erbaute in Schleswig Holstein und noch ist nicht alles abgehakt, was auf der Liste am Eingang steht: „Geländer reinigen, Stufen lackieren, Rotsteine sortieren“.

Walter Blanker, der Gemeindevorsitzende ist hauptberuflich Kriminalhauptkommissar und vermutlich braucht er seinen Optimismus an beiden Orten. Die jüdische Gemeinde in Bad Segeberg ist jung mit ihren fünf Jahren und sie ist klein mit ihren 150 Mitgliedern, von denen die meisten aus der Sowjetunion zugewandert sind. Andernorts hört man vor allem von den Schwierigkeiten der Integration, während Walter Blanker vom Stolz spricht, drei Jahre gemeinsam auf der Baustelle gestanden zu haben. „Viele der Zuwanderer waren dort Akademiker und hier finden sie gerade mal Arbeit in einer Wäscherei“, sagt er. „Dieser Ort ist wie ein Wohnzimmer für sie geworden“.

Währenddessen laufen ununterscheidbar Handwerker und Gemeindemitglieder in der früheren Lohmühle herum, vorbei an den frisch gepflanzten Rosen in den Vorraum, wo schon der Segensspruch hängt in einem silbernen Rahmen, dessen Verpackung noch neben der Tür liegt: „Silver tray“ steht darauf.

Zuwanderer im Vorstand

„Wir haben die Zuwanderer sofort bei uns aufgenommen, sie auch in den Gemeindevorstand geholt und in unseren Sportverein“, sagt Blanker und stoppt zur Bestätigung eine Frau mit weißem Kopftuch, die an ihm vorüber will. „Haben wir nicht eine Trauerfeier ausgerichtet, als dein Vater starb?“ fragt er und man glaubt zu verstehen, wie ein Einzelner so überzeugend sein kann, dass 45 Jahre nach dem Abriss der Überreste der alten Synagoge eine neue entsteht.

„Ja, ich fühlte mich nicht so einsam in diesem Moment“, sagt Irina Zelenowa, was Walter Blanker zum Anlass nimmt, von ihrem Ehemann zu erzählen. „Valeri wird am Sonntag dem Rabbiner die Mesusa, den Haussegen, reichen“, sagt er. Das ist alles andere als selbstverständlich: Valeri ist Nicht-Jude, in einer orthodoxen Gemeinde könnte er nicht am Gemeindeleben teilnehmen. In Bad Segeberg ist das anders: Nicht nur Blenders Vater, auch viele andere nicht-jüdische Ehepartner oder Elternteile nehmen selbstverständlich teil an dem neu erwachten jüdischen Leben.

Das begann bescheiden: 2002, als sich die Gemeinde gründete, kam sie in den Räumen der Versöhnungskirche unter, anschließend mietete sie eine frühere Diskothek an. 2005 kaufte sie für 3.500 Euro die ehemalige Lohmühle, in die sie bereits vor einem Monat eingezogen ist. „Damit sparen wir 1.000 Euro Miete“, sagt Stephan Weckwerth vom Vorstand der Gemeinde. „Das ist schon ein Fenster.“

Hilfe vom Staatsanwalt

Sparen konnten sie dank Walter Blankers Kontakten auch beim Werkzeug. Blanker erinnerte sich rechtzeitig vor den Abbrucharbeiten an die Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft mit ihrem beschlagnahmten Einbruchswerkzeug. Das wurde der Gemeinde geschenkt, ebenso wie ein Metallfabrikant den Davidstern stiftete, ein Londoner Ehepaar das ewige Licht und ein Pfarrer aus Bad Segeberg dafür sorgte, dass ehemalige Schulbänke nun als Gemeindebänke dienen. „Manche redeten und taten etwas, manche redeten auch nur“, sagt Blanker, aber als er die frisch angebrachte Danktafel im Eingang sieht, wird er nahezu euphorisch.

Da kommt die Nachricht, dass die 350 bestellten Kippot, die Kopfbedeckung für Männer, am Zoll in Lübeck angekommen sind. „I am your friend, don‘t worry“, sagt Blanker in fernöstlichem Englisch. „Trau‘ nie einem Israeli“, fährt er fort und sagt, dass sie ohne das ewige Nachbohren immer noch in Israel steckten.

Auch Stephan Weckwert, Vorstandsmitglied der Gemeinde, wurde während des Umbaus immer wieder überrascht: „Ich hätte auch nicht gedacht, dass sich man stundenlang über die Mikwa unterhalten kann“. Wenn das rituelle Bad auch orthodoxen Vorschriften genügen soll, darf an keiner Stelle Luft zwischen Wasser und Körper gelangen – was bedeutete, dass ein Experte aus London kam, um die richtige Bauweise zu überprüfen.

Kein Zaun, kein Alarm

Neben der Mikwa gibt es eine Küche, die eigentlich aus zweien besteht, einer blauen für das milchige und einer roten für das fleischige Essen, so dass koscher gekocht werden kann. Und ebenso gibt es eine – noch unfertige – Empore, auf der die Frauen nach orthodoxer Tradition beim Gottesdienst sitzen könnten. Könnten, denn die Bad Segeberger Gemeinde gilt als liberale Gemeinde, auch wenn Walter Blanker lieber von einer „toleranten“ Gemeinde spricht, die sowohl liberalen als auch konservativen Gläubigen Raum lässt.

In Bad Segeberg ist eine Frau im Gemeindevorstand, im Juli werden zwei Mädchen ihre Bar Mizwah feiern – all das ist in orthodoxen Gemeinden nicht üblich. Und führte dazu, dass die orthodoxe jüdische Gemeinde in Hamburg, die die Gelder für die fünf Gemeinden in Schleswig-Holstein mitbetreut, die Bad Segeberger für nicht wirklich jüdisch erklärte und ihr die Mittel verweigerte. Die Bad Segeberger gingen vor Gericht, erhielten Recht und beteuern, dass das Verhältnis nun bereinigt sei – zumindest soweit, dass der Hamburger Gemeindevorsitzende am Sonntag kommen wird. Mittlerweile ist Blanker Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Schleswig Holstein und die Gemeinde Mitglied in der Union progressiver Juden.

In der Tür taucht unterdessen ein weißhaariger Mann auf. „Ein ehemaliger Kollege“, sagt Blanker. Derjenige, der bis zu seiner Pensionierung für die Sicherheit von Synagogen in Schleswig-Holstein zuständig war. In Bad Segeberg, sagen Blanker und Weckwerth, wurden sie noch nicht angefeindet. „Vielleicht“, sagt Blanker, „weil die Leute gesehen haben, dass wir hier selber arbeiten“. Sicher ist eines: Dass die Gemeinde keinen Zaun will und keine Alarmanlage.