Ein wahrer Portugiese

ARCHITEKTUR Auf der Museumsinsel Hombroich ist das Werk Álvaro Sizas zu sehen. Der Architekt arbeitet derzeit an einem neuen Zugangskomplex für die Alhambra

Sizas Linien tasten sich an die gebaute oder natürliche Umgebung heran

VON KLAUS ENGLERT

Álvaro Siza ist ein begeisterter Leser des Dichters Fernando Pessoa. Der im südafrikanischen Durban aufgewachsene Pessoa sagte einmal, ein Portugiese, der ausschließlich Portugiese sei, könne kein wahrer Portugiese sein. Diese Meinung teilt auch der in Porto lebende 77-jährige Architekt Siza. Denn er weiß, dass die Seefahrernation Portugal seit Jahrhunderten eine hybride Kultur ausgebildet hat, die es verbietet, nach dem Autochthonen oder Authentischen zu suchen. Und so lobt Siza den italienischen Baumeister Niccolò Nasoni, der Mitte des 18. Jahrhunderts in Porto nicht nur den berühmten Glockenturm, sondern sämtliche Barockgebäude errichtete.

Álvaro Siza, der in seinem Atelier hoch über dem Río Duero zur Eisenbrücke aus der Werkstatt Gustave Eiffels hinüberschaut, ist davon überzeugt, dass seine Heimatstadt von dieser Tradition enorm profitiert hat: „Unsere Kultur besitzt viele Dinge, die von ganz anderen Gegenden stammen. Das ist begrüßenswert, denn ohne Wandel stirbt eine Kultur. In ihrer geschichtlichen Entwicklung wurden die europäischen Städte ständig von Neuerungen geprägt, die von außen kamen. Die Tradition ist von diesen Neuerungen nicht abzulösen, denn wirkliche Tradition ist Innovation und Wandel.“

Das sagt ein Architekt, der auf Projekte in Deutschland und Holland, in Brasilien und Südkorea zurückblicken kann. Vor allem seine Beschäftigung mit der maurischen Alhambra in Granada jedoch zeugt von seiner Bewunderung für den Kulturimport, durch den die spanische Architektur, der Städtebau und das Kunsthandwerk enorm profitierten. Erst kürzlich gewann der Pritzker-Preisträger einen Wettbewerb, der vorsieht, einen neuen Zugangsbereich für den Nasridenpalast aus dem 14. Jahrhundert zu schaffen. Das ist eine gewaltige Herausforderung.

Denn Álvaro Siza muss eine Architektur schaffen, die sich auf den völlig fremdartigen Baustil der Alhambra mit ihrer regelmäßigen Komposition aus geschlossenen Räumen und Patios einlässt. Und ebenso auf den Renaissancepalast des Habsburger Kaisers Karl V., der sich neidvoll neben dem arabischen Prachtbau verewigt hat. Nicht zuletzt galt es, einen Zugangskomplex zu entwerfen, der die Topografie der Hanglage berücksichtigt.

Da dieses Projekt Álvaro Siza sehr am Herzen liegt, wählte er es für die Ausstellung „Von der Linie zum Raum“ aus, die in dem neuen Siza-Pavillon auf der Museumsinsel Hombroich gezeigt wird. Der Backsteinflachbau, dessen Form und Materialität von Mies van der Rohes Villenarchitektur beeinflusst ist, steht direkt neben Tadao Andos Museum für die Langen Foundation.

Die von den Architekten Wilfried Wang und Rudolf Finsterwalder für die Ausstellung ausgewählten zehn Werke aus den letzten zwanzig Jahren repräsentieren zwar nur einen kleinen Ausschnitt von Sizas Oeuvre, aber sie verdeutlichen seinen tastenden Entwurfsprozess, der sich nicht selten über viele Jahre hinziehen kann.

Wilfried Wang und Rudolf Finsterwalder, die zusammen mit Siza an dem langfristigen Projekt „Raumortlabor“ in Hombroich arbeiten, schwebte offenbar eine Ausstellung als Schule des Sehens vor. In den Zeiten multimedialer Präsentationstechniken ist das ein altehrwürdig klassisches Konzept. Dennoch kann es den aufmerksamen Betrachter für das Entwerfen von Architektur sensibilisieren. Er vermag, Siza beim Entwurfsprozess über die Schulter zu schauen und dabei zu beobachten, wie sich seine Linien an die gebaute oder natürliche Umgebung herantasten.

Diese heutzutage anachronistische Sensibilität ist typisch für Álvaro Siza: „Ich habe immer darauf geachtet, den Ort zu betrachten und zuallererst eine Zeichnung anzufertigen. Mir kommt es auf die ständige, geduldige Suche an, die langsame Annäherung des Entwurfs an die komplexen Ziele und Verhältnisse. Nicht der endgültige Entwurf, sondern die Zeugnisse dieser Suche sind mir wichtig: der alltägliche Zweifel, die kleinen Fortschritte und Irrtümer, das Ablassen von einer Idee und die Entdeckung von etwas, das sich von dieser Idee unterscheidet.“

Dieser langsame Prozess hin zur endgültigen Formgebung wird besonders deutlich an einem Pyrenäenhotel, das bei Siza den Verlauf eines Berghangs aufzunehmen scheint. Aber auch an einem südkoreanischen Pavillon, der Zwiesprache mit der bewaldeten Hügellandschaft hält. Nicht zu vergessen die großartige Kirche Santa María in Marco de Canaveses, von dem Siza unzählige Entwürfe zeichnete, um sich dem Wesen der Kirche jenseits der katholischen Kultgegenstände anzunähern.

Ringen um die Form

Beim vergleichenden Betrachten der Fotos, der Pläne, Modelle und Zeichnungen verblüfft Sizas Sensibilität, die sogar an den weniger bekannten Projekten hervorsticht. Das Ringen um die plastische Form, um die zum Raum drängende Linie lässt sich in der bemerkenswerten Kabinettausstellung auf Hombroich gut nachvollziehen. Allerdings verlangt sie einen Betrachter, der vor der Schule des Sehens nicht zurückschreckt. Denn Wilfried Wang und Rudolf Finsterwalder haben eine Ausstellung von Architekten für Architekten geschaffen. Das ist weniger ein Manko als ein Risiko. Herausgekommen ist eine unprätentiöse Ausstellung, die auf den Glamour der Highlights verzichtet. Das mag viele enttäuschen. Doch gerade dieses Konzept passt am besten zu Álvaro Sizas unprätentiösem Hombroicher Pavillon.

■  Bis 4. März 2012, Siza-Pavillon, Raketenstation Hombroich. Katalog (Springer Verlag) 24,27 Euro