Ringen um EU-Vertrag

Bewegung in festgefahrenen Verhandlungen beim EU-Gipfel. Polen zeigt sich ein wenig kompromissbereit

BRÜSSEL taz ■ Beim EU-Verfassungsgipfel zeichneten sich am Freitagnachmittag erste Kompromisslinien ab. So zeigte sich der polnische Staatspräsident Lech Kaczyński bereit, das bisher abgelehnte Stimmrechtssystem der doppelten Mehrheit, bei der 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten und 65 Prozent der Bevölkerung für eine EU-Entscheidung notwendig sind, zu akzeptieren – gelten soll es allerdings erst ab 2020.

Vorausgegangen waren drei rund einstündige Gespräche von EU-Ratspräsidentin Angela Merkel mit Kaczyński. Ziel der Bundeskanzlerin ist es, bei dem seit Donnerstag andauernden Gipfeltreffen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs ein konkretes Verhandlungsmandat für eine neue Regierungskonferenz zu bekommen. Diese Konferenz soll die wichtigsten Bestandteile der gescheiterten EU-Verfassung in einen neuen „Reform“- oder Änderungsvertrag hinüberretten.

Im Gespräch ist nun außerdem der „Ioannina-Mechanismus“, den die EU-Außenminister schon 1994 in der gleichnamigen griechischen Stadt erfanden. Er besagt, dass Mitgliedstaaten, die die Sperrminorität zur Verhinderung einer EU-Entscheidung nur knapp verfehlen, eine erneute Möglichkeit zur Beratung des Problems erhalten sollen. Auf diese Weise könnte man Polen, das vor allem eine Überstimmung durch große Mitgliedstaaten wie Deutschland fürchtet, entgegenkommen.

Umstritten war am Freitag weiterhin die rechtsverbindliche Verankerung der Grundrechtecharta, gegen die sich vor allem Großbritannien wehrt. Der am 27. Juni aus dem Amt scheidende Premierminister Tony Blair steht nicht nur unter dem Druck der Boulevardpresse und der konservativen Opposition seines Landes. Zugleich haben über 50 Labour-Abgeordnete angekündigt, die Forderung nach einem Referendum über den künftigen EU-Reformvertrag zu unterstützen. Schon wenn 34 Abgeordnete der Arbeiterpartei nicht für den Vertrag stimmen, wäre dieser im britischen Parlament gescheitert.

Unterdessen ist es Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gelungen, bei der deutschen Ratspräsidentschaft durchzusetzen, einen Hinweis auf die „freie und unverfälschte Konkurrenz“ für europäische Unternehmen aus dem Verfassungsvertrag zu entfernen. Beobachter bewerteten die rechtlichen Konsequenzen dieser Streichung jedoch als unbedeutend. Vielmehr wolle der konservative Sarkozy damit linken Verfassungsgegnern in Frankreich entgegenkommen.

Die Verhandlungen sollten am Freitagabend mit bilateralen Gesprächen fortgesetzt werden. Mit einer Einigung wurde nicht vor Samstagmorgen gerechnet. HER