Schweigekartelle und Seilschaften

Sein neues Enthüllungsbuch stellte Jürgen Roth ausgerechnet in Plauen vor, einem Schwerpunkt der sächsischen Korruptionsaffäre. Auch anderswo ist Justitia oft blind

„Die Staatsanwaltschaft muss nur unser Buch lesen“

DRESDEN taz ■ Der disziplinierte, aber nicht nur defensiv wirkende Hund von Jürgen Roth durfte mit aufs Podium. Ob er nun Symbol für die Bissigkeit seines Herrn war oder Personenschutz für einen bedrohten Enthüllungsjournalisten – die wenigen Attacken auf den Autor im überfüllten Saal eines Hotels in Plauen blieben jedenfalls verbal. Nur einzelne Plauener fühlten ihre Liebe zur vogtländischen Metropole beschmutzt durch Roths neues Buch „Anklage unerwünscht“. Ansonsten stieß am Freitagabend die Deutschlandpremiere dieses Buchs, das wegen der sächsischen Korruptionsaffäre mit besonderer Spannung erwartet worden war, auf breite Zustimmung.

Zu dieser Affäre aber sagten Roth und sein Koautor Rainer Nübel gar nicht so viel, wie von den zahlreich angereisten Journalisten erhofft wurde. „Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik haben Auswertungen des Verfassungsschutzes zu einer solch tiefgehenden Krise geführt“, resümierte Roth sechs Wochen nach den ersten Medienberichten über die Akten, in denen es um Hinweise auf mafiöse Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität, Politik und Justizapparat geht. Sie werden derzeit sukzessive in Form von Dossiers an die Staatsanwaltschaft überstellt.

Roth hat nach eigenen Worten „in einer stillen Stunde über Leute aus der Polizeiabteilung des sächsischen Innenministeriums“ Einsicht in die eigentlich streng geheimen Papiere nehmen können. Seine Erkenntnisse veranlassten ihn erneut zu der Einschätzung, die korrupten Netzwerke in Sachsen hätten im Deutschlandvergleich eine besondere Qualität und erschütterten den Glauben an Rechtsstaat und Gewaltenteilung. Roth kennt weit mehr Fälle in Sachsen, aber das Buch enthält exemplarisch nur eine 45-seitige Recherche über ebenjenes nahe der fränkischen Grenze gelegene Plauen. Die besondere Plauener Komponente in einem Filz von Prostitution, Drogen- und Waffenhandel, Schwarzarbeit, Autoschieberei und Vertuschung von Straftaten bilden nach Erkenntnissen der Autoren ehemalige Kader der Volkspolizei und der Staatssicherheit der DDR. Das „Spinnennetz“ wird komplettiert durch zugereiste westdeutsche Justizbeamte und russische Kleinkriminelle, meist ehemalige Sowjetsoldaten.

Im Zentrum steht ein offenbar stadtbekannter Bauunternehmer Bernd S., nach dessen vollem Namen sich prompt eine Hörerin erkundigt. Nicht namentlich genannt wird der ehemalige Plauener Kripo-Chef Karlheinz Sporer, der sich 1999 erhängte, nachdem Ermittlungen gegen ihn aufgenommen worden waren. Mit Klarnamen erscheint hingegen der frühere Staatssekretär im Bundesbauministerium Joachim Günther (FDP). Ermittlungen gegen ihn im Zusammenhang mit einer Firmeninsolvenz verliefen jedoch ebenso im Sande wie die gegen seinen Mitteilhaber Ralf Oberdorfer (FDP), der sich ausgerechnet am Sonntag der Wiederwahl als Oberbürgermeister stellte. Im teils erregt reagierenden Publikum der Buchvorstellung meldete sich daraufhin ein ehemaliger Bauleiter, der behauptete, nach zwei Anzeigen gegen Oberdorfer überraschend entmündigt und in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert worden zu sein. Andere Redner wiesen auf die mysteriösen Umstände hin, unter denen Lothar Degenkolb, Chefplaner der überteuerten Sprungschanzenarena in Klingenthal und Leiter des Hochbauamts Plauen, sich im August 2006 das Leben nahm.

Ausgerechnet die Plauener Akten gehören zu jenen, deren Originale nicht mehr auffindbar sind und deren Kopien im Landesamt für Verfassungsschutz geschreddert wurden. „Die Staatsanwaltschaft muss nur unser Buch lesen, wir sind gern bereit, ihr weiterzuhelfen“, kommentierte Roth süffisant. Die Bemerkung trifft aber nicht nur auf die Dresdner Chefermittler in der Korruptionsaffäre zu. Unter dem Motto „wegschauen, begünstigen, vertuschen“ listet das Buch weitere Fälle merkwürdiger Passivität von Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik auf. Es geht um Geldwäsche in Spielbanken Baden-Württembergs, um jahrelang nicht verfolgte brutale Kinderpornografie, um die Kaltstellung eines zu konsequenten Stuttgarter Kriminalkommissars. Hochinteressant sind die Hinweise auf nicht verfolgte deutsche Schmiergeldspuren beim Verkauf des ehemaligen ostdeutschen Chemiegiganten Leuna. Ob solche Veröffentlichungen etwas helfen? „Es wird wohl nicht viel herauskommen, aber es hat sich zum Beispiel in Sachsen etwas bewegt“, dämpfte Roth die Erwartungen.

MICHAEL BARTSCH