Proteste aus dem Schweinestall

Melanie Gabers, Susanne Trapper und Marieluise Greiwing bei der Lagebesprechung im Bauernhaus. Die Frauen sind für den taz-Pantherpreis nominiert

AUS WALTROP MIRIAM BUNJES

Melanie Gabers geht vom Gas. Mitten auf der Straße steht ein Wachmann. „Eon“ steht auf seiner orangenen Weste. Die Frauen im Bully starren ihm direkt ins Gesicht und versuchen, mit keiner Wimper zu zucken. „Dieses Nummernschild schreibt er nicht mehr auf“, sagt Melanie Gabers. „Unsere Nummer kann er schon im Schlaf identifizieren.“ Dafür spricht der Mann mit dem Baustellenhelm aufgeregt in sein Funkgerät, als die drei Waltroperinnen am Seitenstreifen halten. „Das ist eine öffentliche Straße“, ruft Marieluise Greiwing.

Die 39-jährige Landwirtin kommt fast täglich hierher, meistens zusammen mit ihren Nachbarn. Der Blick auf die Baustelle lässt sie dennoch verstummen. Die Baugrube ist fast 60 Hektar groß, an einer Seite lagert ein gigantischer Berg aus Erde und Schutt, davor stehen mehr als 20 Bagger. Die größten, die jemals in Waltrop gesichtet wurden, sagen die Waltroperinnen. Kein Wunder: Hier, kurz hinter der Stadtgrenze auf dem Gebiet der Nachbarstadt Datteln, entsteht der größte Steinkohle-Kraftwerksblock der Welt: 1100 Megawatt elektrische Leistung, 180 Meter Kühlturm, daneben mindestens 500.000 Tonnen offen gelagerte Kohle.

Diese Kohle ist das letzte, was die Frauen im Bully Eon noch nehmen wollen – und können. Dass das Kraftwerk spätestens 2011 kommt, steht seit Januar fest. Die Eon-Bagger sind schon in der Nacht gerollt, als der Genehmigungsbescheid der Bezirksregierung Münster noch im Postlaster lag. „Einen kurzfristigen Baustopp haben wir noch hingekriegt, weil das zu früh war“, sagt Greiwing. „Diese Verzögerung hat die immerhin ein paar Millionen gekostet“, ergänzt ihre Nachbarin Susanne Trappe.

So viel Ärger wie möglich wollen die Frauen machen. „Wir lassen uns nichts gefallen“, sagt Marieluise Greiwing. „Auch wenn Eon viel mächtiger ist als wir.“ Hinter den Eiche-Rustikal-Türen ihres Wohnzimmerschranks stapeln sich die Aktenordner. Hier am Wohnzimmertisch im Bauernhaus des Waltroper Schweinezüchter-Ehepaars Greiwing arbeiten acht Waltroper Bürger am Widerstand gegen den deutschen Stromriesen. „Eine unserer Waffen“, nennt die 39-jährige Landwirtin die Regalreihe hinter der Schranktür. Ihr Gegner hat andere: Ein großer Teil ihrer landwirtschaftlichen Fläche hatte Marieluise Greiwing bislang von ihrem Bruder gepachtet. Eon bot ihm das Fünffache ihres Preises. Er sagte Ja zum Geld. „Es ist schwer hier eine neue Fläche zu finden“, sagt die Landwirtin. „Und ohne eine neue Fläche müssen wir einen Teil unserer Schweine abgeben.“ Mit ihrem Bruder in Datteln spricht sie noch, „aber nicht mehr so freundlich“.

Machen kann sie dagegen nichts. Eon hat die Fläche für einen Landwirt gepachtet, der durch die Eon-Baustelle sein Land verloren hat. Wie viel der Konzern dafür ausgeben will, ist seine Sache. In der Zeitung dazu Stellung nehmen will er nicht.

„Wir sollen zermürbt werden“, ist die Ansicht der Anwohner, die bewusst keine Bürgerinitiative gegründet haben. „Das wirkt so altlinks“, sagt Leo Pertrat. „Damit können wir hier in der Gegend keinen erreichen.“ Seit sie von den Eon-Plänen wissen, haben sie mehr als 100.000 Flyer entworfen und verteilt, Experten eingeladen, Infostände gebaut, Politiker besucht, sich mit Anwälten beraten. „Bürger informieren Bürger“ haben sie ihren nachbarschaftlichen Zusammenschluss genannt, jede Ratssitzung besucht, zahllose Leserbriefe an die Zeitungen in Waltrop und in Datteln geschrieben. Ihr größtes Problem: Das Kraftwerk entsteht zwar direkt vor ihrer Haustür – von Susanne Trappes Wohnhaus und ihrem Gärtnereibetrieb ist es nicht einmal einen Kilometer entfernt. Es liegt aber in Datteln – die meisten kommunal-demokratischen Protestformen erübrigten sich damit. Fast 900 Einwände an die Bezirksregierung in Münster verfassten die Waltroper Bürger. „In Datteln gab es so gut wie keinen Protest“, sagt Marieluise Greiwing. „Dabei haben wir uns da auch in die Stadt gestellt und tausende Flugblätter verteilt.“

„Bürgerinitiative? Das wirkt so altlinks. Damit können wir hier keinen erreichen.“ „Wenn mich mal Angela Merkel anruft, bleibe ich bestimmt ganz cool.“

Sie argumentieren vor allem lokal: Der Anblick des Riesenkraftwerks, die Schadstoffbelastung, der zusätzliche Verkehr, der Wertverlust der Grundstücke.

„Ohne unsere kritischen Bürger wäre es ein noch schlimmeres Kraftwerk geworden“, sagt Anne Heck-Guthe, SPD-Bürgermeisterin in Waltrop. Tatsächlich sollten ursprünglich Cronocarb und Petrolkoksverfeuert werden. Weil die kämpferischen Anwohner immer wieder auf den hohen Säuregehalt und seine Gesundheitsgefahren hinwiesen und zum Thema auch renommierte Umwelttechniker einluden, überzeugte sie bei der vorgeschriebenen öffentlichen Anhörung der Bezirksregierung auch die Behörde. Seitdem ist nur noch normale Kohle im Gespräch. „Ich bin sehr stolz auf diese Anwohner“, sagt die Bürgermeisterin deshalb. „Leider haben sie und ich viel zu wenig Gehör gefunden. Jetzt kriegen wir den Dreck und die hässliche Aussicht – und Datteln die Gewerbesteuer.“ Wie Marieluise Greiwing und Susanne Trappe will sie sich jetzt für die so genannte „Einhausung“ einsetzen: Eon soll die Kohle nicht offen lagern dürfen, um die Anwohner vor weiteren Feinstäuben zu schützen.

Eine Forderung, die den Konzern noch einmal 50 Millionen Euro für eine riesige Halle kosten würde. Die Chancen, das gerichtlich zu erzwingen, hält Umwelttechniker Peter Gebhardt für „ganz gut“. Er hat schon mehrere Gutachten für die protestierenden Anwohner geschrieben und dabei einige erschreckende Daten über Waltrop aufgedeckt. „Die Arsenwerte in unmittelbarer Umgebung sind schon jetzt fünfmal so hoch wie erlaubt“, sagt der Ingenieur. Das läge an einem Zinkwerk in der Nähe. „Zusatzbelastungen mit diesem Stoff sind den Anwohner nicht zuzumuten.“

Auf die ersten Proteste hat Eon bereits reagiert. Die offene Kohle soll befeuchtet werden, damit sie weniger staubt. Und statt mit normalen Baggern und einem offenen Fließband, wird die Kohle in Kapseln von den Schiffen und Güterwaggons gehoben.

Für Dattelns Bürgermeister Wolfgang Werner (parteilos) ist das Thema damit erledigt. „Eon hat sehr überzeugend am Staubschutz gearbeitet“, sagt er. Für protestierende Anwohner hat er – „in Grenzen“ – Verständnis. „Manche finden das nicht schön. Ich persönlich finde auch die Architektur ästhetisch“, sagt er. „In Datteln gab es aber sowieso keine Probleme mit Anwohnern.“ Waltrop wolle eben um jeden Preis sein Image als „grüne Wohnstadt“ behalten und blockiere dafür auch wirtschaftlich wichtige Projekte. „Aus Umweltsicht ist das Kraftwerk doch sogar besser. Sobald es steht, wird unser altes Kraftwerk abgeschaltet.“ Er freue sich jedenfalls über Gewerbesteuer und Arbeitsplätze. „Fairer Protest ist auch in Ordnung, für manche ist das aber wohl nicht möglich.“ Tatsächlich wurden im Winter mehrere Farbbeutel auf sein Haus geworfen. „Das ist kein schönes Gefühl.“

Sie haben einen mächtigen Gegner: Vor ihrer Haustür baut Eon den weltweit größten Kraftwerksblock. Über den ungleichen Kampf einer Gärtnerin und einer Landwirtin gegen einen Stromriesen

Ob sie für die Einhausung klagen wollen, wissen die Waltroper Kraftwerks-Nachbarn noch nicht. „Irgendwann erreichen wir natürlich unsere finanziellen Grenzen“, sagt Susanne Trappe. „Alles andere machen wir auf jeden Fall dagegen.“ Zu „alles andere“ gehören auch Dinge, die für die Gärtnerin und die Schweine-Aufzieherin vor zwei Jahren undenkbar gewesen sind. Mit Politikern kommunizieren zum Beispiel. Im März sind alle zusammen nach Brüssel gefahren – auf die Einladung von EU-Umweltkommissar Stavros Dimas hin. „Er selbst konnte dann doch nicht, aber sein Stellvertreter hat uns eine Dreiviertelstunde lang zugehört“, sagt Marieluise Greiwing. Im NRW-Umweltministerium waren sie schon mehrmals. „Wenn mich mal Angela Merkel anruft, bleibe ich bestimmt ganz cool“, sagt Greiwing. Auch den Computer ihres 17-jährigen Sohnes beherrscht sie inzwischen. „Ich hab so viel im Internet recherchiert“, sagt sie. „Vor zwei Jahren wusste ich nur theoretisch wie das funktioniert, weil ich das so auch gar nicht brauchte.“

Im Kommunalrecht kannte sie sich allerdings schon vorher aus. Ihre Eltern hatten in den 90er gegen die Schnellstraße B474n protestiert und geklagt. Erfolgreich. „Jetzt soll sie wieder gebaut werden“, sagt Greiwing.. „Direkt vor meiner Haustür.“ „Bürger informieren Bürger“ will auch gegen diese Straße informieren. Und auch der Protest gegen den Newpark, ein ebenfalls von der Stadt Datteln geplanter riesiger Gewerbepark, wird schon organisiert. „Unsere Kinder sind es ja schon gewohnt, dass wir immer zu tun haben“, sagt Susanne Trappe. Ihre jüngste, neunjährige Tochter bastelt sowieso begeistert Kraftwerksattrapen und Protestplakate.

Wie es mit ihrem Gärtnereibetrieb nach 2011 weitergehen soll, weiß Susanne Trappe nicht. Die Stauden und Zierpflanzen stehen auf einem kleinen Feld direkt in Windrichtung des Kraftwerks. „Wir haben ein Kraftwerk in Niederaußem besichtigt, das genauso nah am Wohngebiet gebaut ist wie unser“, sagt die Gärtnerin. „Die Pflanzen in direkter Nachbarschaft waren mit schwarzem Staub bedeckt.“ Den wird sie dann täglich absprühen. „Die Pflanzen werden dadurch aber natürlich geschwächt“, sagt sie. „Ich fürchte mich vor fiesen Pilzbefällen.“