Attentat auf ungarische Journalistin

Iren Karman war einer Ölmafia auf der Spur. Am Freitag wurde sie bei einem Überfall lebensgefährlich verletzt

Schwer verletzt und gefesselt an Händen und Füßen wurde die ungarische Journalistin Iren Karman Freitagabend von einem Fischer am Donauufer in Budapest aufgefunden. Das Attentat durch unbekannte Schläger wird mit den unliebsamen Recherchen der 40-Jährigen in Zusammenhang gebracht.

Mit dem Buch „Gegen die Mafia“ wurde die beherzte Journalistin landesweit bekannt und geriet ins Visier der Mächtigen, gegen die sie anschreibt. Es geht um Betrug mit subventioniertem Heizöl. Schon im vergangenen September war ihr Auto geknackt und eine Sporttasche mit Prozessakten sowie Dokumenten und einem Video über den Ölskandal gestohlen worden.

Anfang der 1990er-Jahre, zur Zeit des politischen Umbruchs, blühte die Wirtschaftskriminalität in Ungarn. Wie in vielen anderen Ländern wurde das Heizöl subventioniert und zur besseren Kenntlichkeit rot eingefärbt. Dadurch unterschied es sich vom farblosen Dieseltreibstoff, der an den Tankstellen weit teurer verkauft wurde. Die ungarische Ölmafia entzog dem billigen Importheizöl, das nur geringfügig verzollt werden musste, die Farbe und verkaufte es als Diesel. Damit sollen Gewinne von rund einer halben Milliarde US-Dollar gemacht worden sein.

Iren Karman war zuletzt den unbekannten Hintermännern der Ölmafia auf der Spur. Dass hohe Zollbeamte, Polizisten und wahrscheinlich auch Politiker in den Skandal verstrickt waren, wurde immer vermutet, aber nicht nachgewiesen. Dem ungarischen Staat erwuchsen damals Verluste in Milliarden-Höhe. Es wurde aber nie Anklage gegen öffentliche Funktionäre erhoben. Stattdessen wurden alle Dokumente, die Aufschluss geben könnten, zum Staatsgeheimnis erklärt und unterliegen einer Sperre von 85 Jahren. Ein wenig Aufklärung könnte Karmans Dokumentarfilm „Geölte Verhältnisse“ bringen, der nach Auskunft der ungarischen Journalistenunion MUOSZ demnächst ausgestrahlt werden sollte.

Karman liegt mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen in einem Budapester Krankenhaus und ist nach Polizeiangaben nicht vernehmungsfähig. Weitere Details über den schwersten Anschlag auf die Meinungsfreiheit im modernen Ungarn wollte der Budapester Polizeisprecher nicht preisgeben.

Ihr Landsmann Miklós Haraszti, Medienbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), verurteilte das Verbrechen scharf. Von der ungarischen Polizei erwarte er entschlossenes Auftreten und die baldige Aufklärung des Anschlags. Dieser wird gemeinhin als Warnung an Karman verstanden. Doch die Mutter dreier Kinder hat sich bislang auch von mehreren Morddrohungen nicht einschüchtern lassen. RALF LEONHARD