Bitterer Karneval im Landgericht

Im Prozess gegen einen Berliner Antifaschisten treten Polizeizeugen weiterhin vermummt mit Perücke, dicker Brille und künstlichen Augenbrauen auf

Der Vorhang hebt sich, die Vorstellung beginnt. Mit einer Langhaarperücke, angeklebten Augenbrauen und einer Hornbrille mit lupendicken Gläsern auf der Nase erscheint der Polizeizeuge „56765“ vor Gericht. Begleitet wird er von zwei hünenhaften Kollegen in Zivil, die sich am Rande des Saales postieren und die gut besuchte Zuschauerbank nicht aus den Augen lassen. Zwei weitere Beamte des Landeskriminalamtes sitzen im Zuschauerraum und beobachten die Verhandlung. Auch sie sind in der linken Szene als „Zivis“ bekannt, die bei Demonstrationen eingesetzt werden.

Ort dieser karnevalesken Inszenierung am vergangenen Dienstag ist das Landgericht, hier läuft die Berufungsverhandlung gegen den Berliner Christian S., der im Februar 2005 am Rande eines Naziaufmarsches eine Flasche auf einen Polizisten geworfen haben soll, und Leila R., die ihn dabei unterstützt haben soll (taz berichtete). Die Vernehmung von 56765 wird heute, am dritten Prozesstag, fortgesetzt.

Vor dem Amtsgericht wurde S. Ende 2005 wegen Landfriedensbruchs und versuchter Körperverletzung zu einem Jahr Haft, R. zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sowohl die Beschuldigten als auch die Staatsanwaltschaft gingen in Berufung. Denn die Anklage stützt sich im Wesentlichen auf die Aussagen der beiden Berliner Zivilpolizisten 56765 und 56766. Andere Beweise sind kaum zu finden. In einem Video der Bereitschaftspolizei fehlen die entscheidenden zwei Minuten; auf einem anderen, das Zeuge 56765 gedreht hat, stehen Christian S. und Leila R. in einer Menschenmenge am Rande des Aufmarschs. Von einem Flaschenwurf ist auch hier nichts zu sehen.

Sein Kollege 56766, der am Dienstag ebenfalls mit Perücke vor Gericht erschien, habe ihn von dem Wurf erzählt, gab 56765 zu Protokoll. Er selbst habe nichts gesehen. Sie hätten S. und R. zunächst verfolgt und später Kollegen mit der Festnahme beauftragt. Wie lange die Verfolgung dauerte, wann er was und wo gefilmt hatte – all das wusste 56765 nicht mehr.

Die Vernehmung gestaltete sich wie schon in der ersten Verhandlung auch deshalb zäh, weil 56765 sich die wenigen Bruchstücke Wort für Wort aus der Nase ziehen ließ. Seine Aussagen weichen dabei von dem ab, was Kollege 56766 und auch der an der Festnahme beteiligte Beamte 33018 aussagten. Darauf angesprochen, sagte 56765: „Wenn die das so sagen, wird das so stimmen“, und verwies auf seine fehlende Aussagegenehmigung zu „polizeitaktischen Maßnahmen“.

Schon in der ersten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht waren die Polizeizeugen komplett verkleidet aufgetreten. Der Mummenschanz war damals durch eine „Sperrerklärung“ der Innenverwaltung angeordnet worden. Es ging um den Schutz der Beamten und ihren „Einsatzwert“ als zivile Polizisten. Christian S. klagte deswegen gegen das Land Berlin – und bekam in Teilen Recht. Das Verwaltungsgericht akzeptierte die Codiernummern, die Vermummung sei jedoch rechtlich nicht gedeckt. Das Gericht könne, wenn es darauf Wert lege, die Vermummung vor Gericht untersagen. Nur Beamte, die als „verdeckte Ermittler“ tätig sind, dürfen nach der Strafprozessordnung komplett unkenntlich vor Gericht auftreten. Die Polizisten hier seien jedoch keine verdeckten Ermittler, sondern normale Polizisten, die teilweise auch in Uniform ihren Dienst tun, sagte damals Verteidigerin von S., Silke Studzinsky.

Die Rechtsanwältin kritisiert die Praxis der codierten Polizeizeugen scharf: „Das Problem ist, dass man keine Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit vornehmen kann“, sagt sie der taz. Diese Überprüfung sei jedoch „das A und O der Strafverteidigung“, weil in Strafverfahren oft aufgrund von Zeugenaussagen Verurteilungen zustande kämen. Es könne auch nicht überprüft werden, ob gegen den Zeugen in der Vergangenheit schon ermittelt worden sei, sagt Studzinsky. Dass die Zeugen trotz des Urteils noch immer verkleidet auftreten, nannte sie „nicht rechtmäßig“.

Als 56765 am Dienstag verkleidet im Saal erschien, konnten sich die SchöffInnen ein Grinsen nicht verkneifen. Der Vorsitzende Richter nahm die Sache mit Humor. „Wir erwarten einen Zeugen. Bestimmt wieder ein Langhaariger.“ Die Vermummung abzunehmen, das wollte er aber nicht anordnen. JÖRG MEYER