Heß nicht mehr in Wunsiedel

HITLERS STELLVERTRETER Das Grab von Rudolf Heß in Oberfranken war lange Pilgerstätte für Neonazis. Nun ist es aufgelöst – Gebeine werden verbrannt, Asche wird im Meer verstreut

Der Vizebürgermeister von Wunsiedel meint: „Man kann nur sagen: Gott sei Dank“

VON STEFFI DOBMEIER

BERLIN taz | Das Grab ist leer, die Gebeine sind bereits eingeäschert. Damit hat Wunsiedel ein Problem weniger. Das Grab von Rudolf Heß, dem früheren Stellvertreter von Adolf Hitler, wurde aufgelöst. Und die Einwohner von Wunsiedel hoffen, dass den Nazis jetzt der Grund fehlt, nach Oberfranken zu pilgern.

Der stellvertretende Bürgermeister Roland Schöffel von den Freien Wählern ist froh. „Man kann nur sagen: Gott sei Dank“, sagte er der taz. Das werde der Stadt guttun. „Wo es keine Grabstätte gibt, gibt es auch keine Pilger.“ Die Stadt war in der Vergangenheit immer wieder zum Mekka für Nationalsozialisten geworden, die zum Grab des Hitler-Stellvertreters pilgerten. Fast jedes Jahr am 17. August, an dem Tag, an dem sich Heß vor 24 Jahren das Leben nahm.

Es sei am Ende der Wunsch der Familie gewesen, das Grab aufzulösen, so Schöffel. Seit Mittwoch in den frühen Morgenstunden existiert es nicht mehr. „Der Grabnutzungsvertrag mit den Erben lief aus“, erklärt Hans-Jürgen Buchta, der zuständige Dekan der Kirchgemeinde.

Und weil sich der Kirchenvorstand wegen der regelmäßigen Nazi-Aufmärsche dagegen entschieden hatte, den Vertrag über den 5. Oktober dieses Jahres hinaus zu verlängern, bekam die Enkelin von Rudolf Heß einen entsprechenden Bescheid. Sie legte zwar Klage ein. Aber, und das betont Buchta, nur um die Frist zu wahren. „Es gab längst einen Termin für ein Gespräch mit ihr“, sagte der Dekan der taz. Dieses Gespräch fand vor wenigen Tagen statt – am Ende einigten sich Buchta und die Heß-Enkelin darauf, die Gebeine aus dem Grab zu nehmen und zu verbrennen. Ganz ohne Streit, sagt der Dekan. Auch habe es – anders als Medien zunächst berichtet hatten – keine Exhumierung gegeben. „Es gab ja keine Leiche mehr, nur die Gebeine“, so die Erklärung. Und die sind inzwischen schon eingeäschert und sollen auf See bestattet werden.

Offenbar wollte die Enkelin verhindern, dass das Familiengrab auf dem evangelischen Friedhof als Pilgerstätte von Nazis missbraucht wird. Hans-Jürgen Buchta ist das nur recht, „ich hoffe, Wunsiedel kommt endlich zur Ruhe“.

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Aufmärsche 2005 zwar untersagt. Zuvor waren jedoch jährlich bis zu 4.500 rechte Demonstranten durch die Straßen von Wunsiedel gelaufen. „Ich hab das 13 Jahre lang miterlebt“, erzählt Buchta, das sei genug.

In Wunsiedel war jahrelang über das Grab diskutiert worden. Rudolf Heß hatte sich in seinem Testament gewünscht, dort begraben zu werden. Die Familie hatte im Ort ein Ferienhaus. Der Vorstand der evangelischen Kirchengemeinde war dem Wunsch nach seinem Tod im Jahr 1987 nachgekommen – und hat seine Meinung nun geändert.

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