taz-Thema

Rot-grün-schwarzer Schulkonsens in NRW

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Worin besteht eigentlich der „Kompromiss“ zwischen Rot-Grün und der CDU? Hier wurde doch im Wesentlichen das bereits in den meisten Unions-Ländern favorisierte Modell einer Schulform, die Haupt- und Realschule vereint, übernommen und als weitere Möglichkeit neben das bereits vielgliedrige Schulsystem gestellt.

Dass hierbei die Gemeinschaftsschule, die im Gegensatz zur durchschnittlichen Gesamtschule keine äußere Leistungsdifferenzierung vorsieht, unter die Räder kommt, ist besonders bitter.

Ein klassischer Kompromiss ist demgegenüber die Schulreform in Berlin, wo die Sekundarschule immerhin zum Abitur führt.

Aufschlussreich für das Demokratieverständnis von Rot-Grün ist die Tatsache, dass hier hinter verschlossenen Türen mit der CDU gekungelt wurde. Von der ursprünglichen Wahlfreiheit seitens der Kommunen ist offenbar nichts mehr übrig.

Stattdessen hat sich anscheinend das bürgerliche Credo „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“, das viele Grünen-AnhängerInnen praktizieren aber niemals öffentlich zugeben würden, durchgesetzt. Dies spricht allen Sonntagsreden zum Stellenwert der Integration Hohn. MARTIN SCHULZE, taz.de

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Sehr geehrte Frau Winkelmann, es muss ihnen hart aufstoßen, dass das Abi auch jetzt unter Rot-Grün noch nicht wie sauer Bier unter den Schülern verteilt wird. Ihr Motto lautet wahrscheinlich: Abi, Studium, Doktortitel für alle. Alles andere ist Ausgrenzerei. Übrigens – falls Sie Kinder haben: Schicken Sie diese einfach nicht aufs Gymnasium. Denn die Ideologie darf bei einem persönlich nicht halt machen. WOLFGANG WEINMANN, taz.de

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Ich habe sechs Kinder, bin Akademiker, höherer Staatsangestellter im Bildungsmanagement und stimme Frau Winkelmann hundertprozentig zu. Mir ist nicht begreiflich, wie sich die Grünen zu so einer, die vorjahrhundertlichen Zustände stabilisierenden „Reform“ haben hinreißen lassen. Von den Sozialdemokraten konnte man so etwas erwarten. Was ist der Grund? Machterhaltungsmotivation? koeckinger, taz.de

■ betr.: „Rot-Grün kippt die Schule für alle“, taz vom 20. 7. 11

Das Problem der rot-grünen Minderheitsregierung ist, dass sie sich anbiedern muss, um Gesetze durchzubekommen. Bin mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden. Allerdings zeigt es wieder, dass die NRW-Regierung extrem ergebnisorientiert arbeitet und lieber auf eine mäßige Verbesserung setzt als auf gar keine (gegenteilig verhält sich die Linkspartei, die gegen eine Aufhebung der Studiengebühren zum nächsten Semester gestimmt hatte, da sie diese schon in diesem wollte). Vielleicht ermöglicht sich Rot-Grün so auch die ein oder andere Stimme der CDU, wenn sich die Linke wegen Haarspaltereien und utopischen Vorstellung verweigert. Übrigens halte ich Röttgen für einen der besseren schwarzen Politiker. LUTZ MOCK, taz.de

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

ich bin nach lesen der ganzen „gesamtschule ist schlimme gleichmacherei“-kommentare auf taz.de der meinung: es muss dringend das neungliedrige schulsystem eingeführt werden. damit meine kinder weder mit den kindern dieses wildgewordenen kleinbürgertums in berührung kommen – noch mit den eltern (als mögliche lehrer) selbst. „Das Schulsystem so lange anpassen bis auch der letzte ‚Trottel‘ ein Abitur bekommt?“, heißt es im taz.de-Kommentar. Oder: „Wenn ich ein Glas Wein und ein Glas Wasser mische, habe ich zwar mehr Wein, aber ist er besser geworden? So ist das auch mit den Doofis und den Schlauis.“

sie kapieren es einfach nicht in ihrem elitären dünkel (der dabei doch so unschwer als halbgebildet erkennbar ist): dass deutschland mieseste werte in der sozialen durchlässigkeit des bildungssystems gerade wegen der frühdifferenzierung hat. das sagen studien der oecd und des studentenwerks, und zunehmend auch konservativ-liberale politiker und pädagogen. die „ungleichmacher“ kontern mit kommentaren, die nur ihre antisozialität unter beweis stellen. aber schon klar: „ideologisch“ – das sind immer die andern … spin, taz.de

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Ich finde die Lösung gar nicht schlecht, erspart sie NRW doch einen „Schulkrieg“ und wir haben hier einen Wettbewerb der Schulformen der unter Umständen echte Innovationsschübe auslösen könnte. Die Gemeinde vor Ort mit einzubeziehen, finde ich super.

Oft unterstützen CDU Bürgermeister dort neuerdings Gemeinschafts- und Gesamtschulen. Wäre noch vor 10 Jahren undenkbar gewesen! Der Schulwirrwar wird sich auch noch lichten. Die meisten Eltern werden ihre Kinder ohnehin aufs Gymnasium schicken wollen. Sollte das nicht gehen, werden die Eltern ihre Kinder auf eine Gesamtschule oder eine Gemeinschafts- oder demnächst eine Sekundarschule, die oberstufenmäßig mit einem „echten“ Gymnasium kooperiert, schicken. Ist doch vernünftig! Waage, taz.de

■ betr.: „Gelb-roter Protest gegen Schulreform“, taz vom 21. 7. 11

In einem irren der Autor Pascal Beucker und Gunhild Böth von der Linken: Bereits die gegenwärtige nordrhein-westfälische Landesverfassung erwähnt in Artikel 10 ein gegliedertes Schulsystem. Daran wird nichts geändert, es entfällt nur die Erwähnung der Hauptschule in der Verfassung, ohne dass die Hauptschule deshalb abgeschafft würde.

Die CDU demonstriert mit diesem „Konsens“, wie man mit der Androhung eines gesellschaftlichen Konflikts um Schulpolitik real einen Einfluss erlangen kann, als würde man das Land regieren. Das ist ein echtes Lehrstück für Realpolitik aus der Opposition heraus! Davon könnten SPD und Grüne in NRW eine Menge lernen. Doch diesen Mut zum Konflikt bringen die angeblich realpolitischen Schulpolitikerinnen bei Grünen und SPD in NRW leider nicht auf.

WILHELM ACHELPÖHLER, taz.de

■ betr.: „Rot-Grün kippt die Schule für alle“, „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Natürlich haben Ihre Autoren Pascal Beucker und Ulrike Winkelmann in der Sache recht. Als Gesamtschullehrer der ersten Stunde in NRW und mit über 30 Jahren Unterricht dort auf dem Buckel muss ich dazu aber doch mal ein paar Takte sagen:

Nach den euphorischen ersten Jahren nach 1969 hat die SPD sehr schnell das Interesse an dieser „Schule für alle“, ihrem ureigensten Kind, verloren. Es wurde zwar als Regelschule legitimiert, aber angesichts des konservativen Gegenangriffs, vorgetragen in immer neuen ideologisch aufgepeitschten Wellen von Philologenverband, CDU, FDP und den konservativen Medien der Republik wurde es zum „Kellerkind“, von dem man besser nicht zu viel redete. Auch die GEW hat sich bei der Verteidigung der Gesamtschule nicht gerade mit Ruhm bekleckert, nur die „Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule“ hielt unverdrossen ihr Fähnchen aufrecht.

Nachdem die CDU in Düsseldorf an die Macht kam, hat sie, wie auch in Niedersachsen, die Gemeinden mit allen Mitteln daran zu hindern versucht, neue Gesamtschulen zu gründen, bis der Stadt Bonn angesichts der Schikanen der Kragen platzte und sie ihre vierte Gesamtschule vor dem Verwaltungsgericht durchsetzte. Die Unterstützung bei SPD und Grünen war bestenfalls lau, man mied den Begriff Gesamtschule und ersetzte ihn durch wolkige Formulierungen wie „Gemeinschaftsschule“.

Auch bei vielen Lehrern scheinen die alten und immer wieder verstärkten Vorurteile gegen die Gesamtschule unausrottbar fortzubestehen, keine gute Voraussetzung dafür, eine „Schule für alle“ nun flächendeckend einzuführen. Deren Protagonisten wissen zwar, was sie wollen und warum. Aber wenn nicht genug Lehrer da sind, die das auch wollen und dazu noch wissen, wie man es macht, sind Misserfolge vorprogrammiert, die dann auch wieder die Antipropaganda beflügeln. Daher halte ich es für einen klugen Schachzug von Schulministerin Löhrmann (Grüne) und Ministerpräsidenten Kraft (SPD), dass sie nun genau den Lümmel aus der Antigesamtschulfront herausgebrochen haben, der den Schulfrieden in der Vergangenheit am meisten gestört hat. Stört er nun trotzdem weiter, wird man ihn nicht mehr ernst nehmen.

Trotz des Propagandatrommelfeuers und trotz aller Schikanen blieb der Trend der Eltern zur Gesamtschule ungebrochen: Zwar besuchten in diesem Schuljahr noch 339.000 SchülerInnen ein Gymnasium in NRW, aber mit 192.800 haben die Gesamtschulen kräftig aufgeholt. Pädagogische Vernunft scheint sich durchzusetzen, das lässt hoffen. WOLFGANG WIEMERS, Münster

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Dieser Kommentar ist ein Licht in der Dunkelheit mittelständischer Selbstzufriedenheit. „Was habt ihr Parteien uns alle zufriedengestellt“, jubelte die Boulevardpresse mit den Realschullehrern auch der grünen Partei, öffentlich somit Wasser für die Pöbelkinder predigend und heimlich auf die eigenen Kinder Wein trinkend. Der teutsche Michel kennt eben keine Parteien mehr, er kennt nur noch Reiche. Denn er gehört ja dazu.

Inklusion, Menschenrechte? Ja klar, kommen in unseren Predigten vor, aber doch nicht zu Lasten der Aufstiegschancen von Kleinlörrach. Warum diese Selbstzufriedenheit und Pflichtvergessenheit sogar reicher Grüner? „Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.“ Das Ende ist ein langfristiger dramatischer gesamtgesellschaftlicher Verlust an Bildung und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Wir senken das Bruttoinlandsprodukt. Warum sehen das unsere grünen Eliten nicht, warum schlucken sie die Bildungskröte? Weil sie reiche Idioten sind, die den Wein mit den Eliten der CDU und SPD und den meisten FDPlern trinken, und nicht mit den Armen, die ihr Wasser ja mit denen von der Linken trinken können. HANNES KÜPER, Horneburg

■ betr.: „Kein Abi für den Pöbel“, taz vom 20. 7. 11

Wenn das dreigliedrige System so gut wäre wie hochgelobt, dann hätten wir in Pisa-Studie und Ländervergleichen besser abgeschnitten. Wenn ein dreigliedriges Schulsystem durch ein zweigliedriges „reformiert“ werden soll, dann werden nach wie vor Kinder abgeschoben statt gefördert.

Wenn Kinder weiterhin nicht gefördert werden, schiebt man den Eltern einfach die Schuld in die Schuhe, wo ein System versagt. Wenn ein System weiterhin versagt, gibt es keine leistungsfähigen Steuerzahler. Wenn es keine leistungsfähigen Träger der entstehenden Altersheimstrukturen in Deutschland gibt – was dann?

Wir müssen diese Ausländerkinder fördern, unsere Altersheime zu tragen, denn es gibt nicht genug andere – deutsche – Kinder. So ist es ganz einfach, und nun lasst euch was einfallen an den Schulen, und vor allem in der Politik. Genau das hier sind die Kinder, Ausländer, Deutsche, Dicke, Dünne, Kluge und praktisch Veranlagte, Neugierige und Freche, Mädchen und Jungs … nun macht! Errami, taz.de

Sommerpause. Kaum Leserbriefe. Kaum Anmerkungen zu taz-Online-Artikeln.

Nur in einem Winkel von taz.de streiten Leserinnen und Leser miteinander. Das Thema: Die rot-grüne Regierung von Nordrhein-Westfalen hat sich mit der CDU darauf verständigt, das Schulsystem um eine fünfte Schulform zu erweitern. Neben Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Gesamtschule soll es jetzt noch eine Sekundarschule geben. Diese wird keine Oberstufe haben. Die Schülerinnen oder Schüler der Sekundarschule müssen, um das Abitur zu machen, zu einem Gymnasium wechseln.

Ist das vernünftige Realpolitik? Ein Schritt hin zu einer „Schule für alle“? Oder ein Kotau vor der CDU? Grüne Politik mit elitärem Dünkel? Antisoziale sozialdemokratische Politik? Lesen Sie selbst.