Sylt von unten

TATORT Sandstrand und Schampus: Manche nennen die norddeutsche Insel „magisch“. Dann, im Mai 2013, stirbt ein japanischer Koch, vermutlich unter den Tritten zweier Handwerker. Eine Spurensuche auf der anderen Seite des Ferienidylls

■ Die Insel: Sylt ist die größte deutsche Nordseeinsel. Der Hindenburgdamm verbindet sie mit dem Festland. Ihr Wattenmeer wurde 2009 von der Unesco als Weltnaturerbe ausgezeichnet. Eine Million Austern ernten Fischer jedes Jahr in der Blidselbucht. Beim Krebsessen in Kampen mit Champagnerempfang erscheinen jedes Jahr Prominente der Klassen A, B, C und D.

■ Die Bewohner: 18.183 Menschen haben ihren Erstwohnsitz auf Sylt. Das ergab die Volkszählung 2011. Mehr als 800.000 Urlauber kommen laut dem Tourismusverband jedes Jahr. Sie können eines von 58.500 Betten auswählen. 12.000 Strandkörbe werden für sie aufgestellt. Und tausende Arbeitskräfte ziehen während der Saison dorthin. Abgesehen davon verliert die Nordseeinsel allerdings eher Einwohner. Eine Grundschule und ein Kindergarten mussten schließen. Auch die einzige Geburtshilfestation hat dichtgemacht.

■ Die Kriminalität: Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2013 des Landes Schleswig-Holstein ging die Kriminalität auf Sylt um 4 Prozent zurück. Schlagzeilen macht im Mai 2013 der gewaltsame Tod des Kochs Miki Nozawa in einem Stripclub.

AUS WESTERLAND GABRIELA M. KELLER

Es ist nach Mitternacht, als Miki Nozawa sich zum letzten Mal in seinem Leben aufmacht ins Zentrum von Westerland. Er lässt das Alte Kurhaus mit seinen Bögen und Türmchen hinter sich und steuert in die Fußgängerzone. Die Strandstraße liegt still im Dunkeln. Nur an einer Klinkerfassade glimmt noch die Leuchtreklame eines Stripclubs.

Nozawa läuft die Treppe hinunter. Auf den Neonschildern blinken Silhouetten nackter Frauen. Die Metalltür im Vorraum, das Linoleum auf den Stufen, sind später das Letzte, was er sehen wird.

Miki Nozawa, 57 Jahre alt, geboren in Japan, stirbt am Mittag des nächsten Tages an einer massiven Gehirnblutung. Ein ruhiger Mensch sei er gewesen, sagt seine Expartnerin, besonnen, gutmütig. Katrin Martone sitzt in einem italienischen Lokal in Berlin. Das ist nicht ihr richtiger Name. Sie will nicht mit ihrem Privatleben in der Öffentlichkeit stehen. Sie erinnert sich: Ein erfolgreicher Koch, Stationen in Venedig, Florenz, Mailand.

In Berlin eröffnet er sein eigenes Restaurant, das Fukagawa, Fusionsküche, japanisch mit italienischem Einschlag, Weinregale aus Kirschholz, der Boden aus Granit. Ende der 90er Jahre baut er mit dem Formel-1-Manager Flavio Briatore in einer alten Villa auf Sardinien den Nobelclub Billionaire auf. Er kocht für Naomi Campbell und Denzel Washington. Zu Hause zeichnet er mit seinem Sohn Mangas, baut Burgen und faltet Origami, einen Zoo aus buntem Papier.

Vor etwa fünf Jahren dann trennen er und Martone sich. Wenig später bekommt er ein Angebot in Kampen, auf Sylt.

Am 12. Mai 2013, gegen 2.39 Uhr geht ein anonymer Notruf bei der Polizei ein. Als die Beamten den Stripclub erreichen, liegt Nozawa leblos am Fuß der Treppe. Unter seinem Kopf eine Blutlache. Noch vor Ort identifizieren Zeugen zwei Verdächtige, die Nozawa in einen Streit verwickelt hatten: Torsten V., 36 Jahre alt, ein gelernter Maurer aus Rostock und Klaus Werner M., 50 Jahre, ein Hausmeister aus Rheinland-Pfalz. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben. Gegen M. wegen versuchter Nötigung, gegen V. wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Der Fall hat Schlagzeilen gemacht, auch international. Solche Gewalt scheint nicht auf eine Insel zu passen, die vor allem für Dünen, Sandstrände und Glamour steht. Es gibt hier sieben Restaurants mit Guide-Michelin-Sternen, einen Dienst, der Maserati samt Chauffeur vermietet und Golfplätze mit Meerblick. Jedes Jahr reisen fast eine Million Urlauber an. Günther Jauch, Wolfgang Joop und Dieter Bohlen sind gern zu Gast. Nach ihrem Ausstieg aus der CSU kandidiert die ehemalige fränkische Landrätin Gabriele Pauli fürs Bürgermeisteramt. Auf ihrer Website steht: „Mich zog es mehrmals an die Nordsee – auf die magische Insel Sylt.“

Der Glanz von Sylt wirkt. Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen leben die Arbeitskräfte, die die Ferienmaschinerie am Laufen halten. Wer sich im Fall Nozawa auf Spurensuche macht, sieht nichts von den weißen Sandstränden oder dem glitzernden Nachtleben am Kampener Strönwai. Die Antworten liegen in der Westerländer Innenstadt, wo die Küste einbetoniert ist, in der Tristesse grauer Apartmenttürme, zwischen billigen Kneipen, die wie Ruhrgebiet wirken, nicht wie Nordseeflair.

Der Nobelkoch lebte in einer engen Kammer

In den kommenden Wochen wird der Prozess gegen V. und M. beginnen. Sie sollen Nozawa getötet haben, weil ihnen sein Essen nicht schmeckte, so stand es in den Zeitungen. Was genau allerdings am 12. Mai 2013 in der Stripbar geschah, kann niemand wirklich sagen.

Westerland, ein trüber Tag in einem Sommer, der noch nicht richtig Herbst werden will. Milchige Wolken treiben über den Bahnhof und den kahlen Vorplatz. Neben einem anderen Restaurant hatte Nozawa dort einen Imbiss betrieben. Der ist nun geschlossen. Die Fenster sind mit Zeitungen verklebt.

„Ich hab ihn da noch öfter besucht“, sagt Volker Pfaff, „abends, nach der Arbeit.“ Er ist ein ehemaliger Kollege Nozawas, 46 Jahre alt, hat einen kräftigen Oberkörper und tiefe Falten um den Mund. Auch er möchte anonym bleiben, denn er kennt nicht nur das Opfer, er kennt auch die mutmaßlichen Täter. Er will keinen Ärger. Pfaff tritt in die Bahnhofshalle. Hinten gibt es eine Gaststätte. Er setzt sich an einen etwas abgelegenen Tisch.

Das Restaurant, in dem er und Miki Nozawa vor etwa vier Jahren zusammengearbeitet haben, nannte eine Gastrozeitschrift „Westerlands Lieblingsitaliener“ und lobte die Spaghetti mit ausgelöstem Hummer. Pfaff hat die Zeitschrift dabei. Er schlägt sie auf.

Auf einem Bild steht Nozawa hinter dem Inhaber, ein schmaler Mann mit spitzem Kinn und Brille. Ringsum weiß eingedeckte Tafeln, Blumengestecke. Der Koch lacht, er wirkt fröhlich. Es ist ein hübsches, elegantes Bild, aber es zeigt nur einen Ausschnitt. Nozawa, sagt Pfaff, lebte damals in einer engen Kammer, mehr konnte er sich nicht leisten. Von dem Inhaber trennte er sich im Streit. Er soll ihm Geld schuldig geblieben sein. Der Gastwirt dagegen sagte der Polizei, dass Nozawa Spielschulden gehabt und immer wieder um Vorschuss gebeten habe.

Er wollte zurück nach Berlin, vor allem wegen seines Sohns, sagt Pfaff, „ich glaub, er hatte Heimweh.“ Pfaff wirkt müde. Er hat zwei Stellen, er arbeitet von 8 Uhr morgens bis 10 Uhr abends. „Das ist in der Saison normal“, sagt er noch. Dann ist seine Pause zu Ende, und er muss weiter. In der Gaststätte schwirren rund ein Dutzend Mitarbeiter, Kellner und Hilfskräfte um ihn herum, Männer, die mit flinken, lautlosen Bewegungen die Tische abräumen.

Der Bedarf an Personal auf Sylt ist gewaltig, und so zieht die Insel nicht nur Urlauber, sondern auch Saisonkräfte an. All diese Leute, die Betten machen, Rasen mähen, Garnelen braten. 5.000 bis 7.000 pendeln allein jeden Tag mit dem Zug vom Festland, Handwerker, Angestellte. Ein Zimmer auf Sylt können sie sich nicht leisten. Viele Insulaner sind aufs Festland gezogen. Die Arbeitskräfte hausen in fensterlosen Kammern, drängen sich in überfüllten WGs oder zelten auf dem Campingplatz.

„Man kann viel Geld verdienen. Aber man kann auch besonders brutal auf der Strecke bleiben“, sagt eine Westerländerin, „vielleicht sind die Fallhöhen größer als anderswo.“

Nozawa hatte noch einmal versucht, neu anzufangen: Am 1. März 2013 eröffnete er sein Schnellrestaurant am Bahnhof: A Taste of Asia to Go, täglich 12 bis 22 Uhr, gebratenes Huhn mit Reis 11,50 Euro. Für ihn war der Imbiss ein Pilotprojekt, aus dem einmal eine europaweite Franchisekette werden sollte.

Am 10. Mai 2013 schickt Klaus Werner M. seinen Sohn Essen holen. Der kauft bei Miki Nozawa zwei Gerichte, zusammen 19 Euro. Als er damit nach Hause kommt, wird M. wütend. Die Portionen kommen ihm zu klein vor und lieblos zubereitet.

Die Tatverdächtigen stammen eher vom unteren Ende der Servicegesellschaft. Klaus Werner M. ist Hausmeister in einem Strandlokal, Torsten V. arbeitet bei einer Gartenbaufirma. Er ist einschlägig wegen Gewaltdelikten vorbestraft.

Bei der Obduktion von Nozawas Leiche stellen die Mediziner Spuren stumpfer Gewalt fest, vor allem an Gesicht und Hals. Im Nacken ist die Haut abgeschürft, ein Profil hat sich eingeprägt. Es passt zu den Schuhsohlen von Torsten V. Offenbar wurde auf Nozawas Kopf Gewalt ausgeübt, als er schon auf dem Boden lag.

In der letzten Nacht seines Lebens hatte er nicht viel bei sich, zwei Euro, eine EC-Karte, eine Mitgliedskarte des Casinos Sylt, dazu ein paar Briefe, eine Kündigung der Telekom, Nozawa hatte seine Handyrechnungen nicht bezahlt. Es sei davon auszugehen, notieren die Ermittler, dass er Kokain und Alkohol in erheblichen Mengen konsumiert hat.

Katrin Martone, die Mutter seines Sohns, bringt die zwei Bilder nicht zusammen: Der Miki Nozawa, mit dem sie 13 Jahre gelebt hat, und der, als der er nach seinem Tod erschien. In was für ein Milieu war er geraten?

Kathrin Martone ist eine ernste Frau mit glatten, schulterlangen Haaren und weißer Bluse. Mit Drogen, sagt sie, habe Nozawa nie etwas zu tun gehabt. Nach seinem Tod ist sie nach Sylt gereist, um seine Habseligkeiten abzuholen. Sie hat keine Hinweise gefunden, dass er zuletzt irgendein Einkommen erhielt. Und keine Belege für die Ausstattung des Imbisses, die er finanziert hatte.

Auch in der Zeit ihrer Trennung hielten sie Kontakt. Aber sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Er veränderte sich, wirkte depressiv, auch arrogant. Zuletzt sprachen sie kaum noch. Selbst bei seinem Sohn meldete er sich nicht mehr.

Die Strandstraße ist rötlich gepflastert, sauber und so kurz, dass man in fünf Minuten vom Anfang bis zum Meer gelaufen ist. Gegen Nachmittag verdichtet sich der Strom der Passanten, der in Richtung Strand walzt, viele Rentner, braungebrannte Herren mit pastellfarbenem Pullis über den Schultern, Damen in Leinenhosen, auch Familien mit prall gepackten Rucksäcken.

„3-Gänge-Menü 3 Euro: Frikadelle, Senf, Brötchen“

Rechts und links Waschbeton, hohe Gebäuderiegel, die sich neben der Straße stapeln wie Tetrisblöcke. Vorn ein blütenweißes Viersternehotel im Landhausstil, sonst nur Klinkerfassaden und Plattenbaugeometrie, Edeka, McDonald’s und Kneipen, die Conny’s und Tränke heißen.

An einer Fassade hängt eine Tafel: „3-Gänge-Menü 3 Euro: Frikadelle, Senf, Brötchen“. Zwei frisierte Cockerspaniel stehen angebunden vor einer Boutique für französische Babykleidung. Porsche-Cayennes und Jaguars kreuzen, fahren aber schnell weiter. Der Luxus von Sylt ist woanders.

Klasse statt Masse, das mag weiter nördlich in Kampen gelten. In Westerland hat die Masse Einzug gehalten. Die Schichten leben eng beieinander und doch klar getrennt. Die Reichen haben Häuser auf Sylt, Villen mit Reetdächern in den teuersten Lagen des Landes, aber sie sind nur zwei, drei Wochen pro Jahr hier, erkennen ihresgleichen an der Barbourjacke oder dem Hermèstuch, trinken eisgekühlten Riesling am Strand oder gehen spazieren im Watt oder in der Heide. Die Arbeitskräfte bleiben auf der Insel, zumindest während der Saison von März bis November. Viele haben zwei, drei Jobs, um ihre Miete zahlen zu können.

„Alkohol und Drogen sind überdurchschnittlich verbreitet“, sagt Edda Willenbrock, Leiterin des Behandlungs- und Beratungszentrums für Suchtkranke auf Sylt, „die Leute arbeiten teilweise sieben Tage pro Woche, 14 Stunden am Tag – das geht häufig nicht ohne Drogen.“

Eine Kokainszene existiert auf Sylt seit den 80er Jahren, in den 90ern wurden jeden Monat 1.000 Heroinspritzen am Suchtzentrum getauscht. Ab und an gibt es spektakuläre Schlagzeilen, mal findet die Polizei Drogen bei einer Razzia in einer Gaststätte, mal nimmt sie einen Hamburger Koksgroßhändler in einer Reethütte fest. Mal muss Nadja abd el Farrag der Polizei erklären, warum sie nach einer Party in Kampen Kokainspuren an den Fingern hat.

Auf den Partys von Sylt gehört der Rausch ohnehin dazu. Was der Suchtpsychologin Sorge macht, sind die Süchtigen, die vor dem Ende ihrer Existenz stehen. 200 bis 300 Konsumenten sind dem Zentrum bekannt, vor allem Alkoholiker, aber auch Kokain- und Heroinabhängige.

Da ist auf der einen Seite die Belastung durch die hohen Mieten, die Anspannung in den Küchen und hinter den Theken. Und da ist auf der anderen der Glamour von Sylt, die irre hohen Trinkgelder, der zur Schau gestellte Reichtum. „Es besteht die Gefahr, dass sich die Realität ein bisschen verzerrt“, sagt Suchtberaterin Willenbrock.

Der Konsum in der Schickeria läuft diskret. „Dieses Milieu schreit ja nicht so nach der Polizei“, sagt ein Sprecher der Polizeidirektion Flensburg. Seine Kollegen auf Sylt müssen sich oft um Delikte kümmern, die im Rausch begangen wurden. Alkohol am Steuer, Diebstähle, Prügeleien: „Es ist so, dass es in Westerland Bewohner gibt, die in einfachen Behausungen leben, eng aufeinander, und schlecht bezahlt werden. Mit denen haben wir es häufig zu tun. Die hauen ihren Frust mit Alkohol und Drogen weg.“

Am 11. Mai 2013 gegen 16 Uhr beschließt Klaus Werner M. nach der Arbeit, etwas trinken zu gehen. Auch Torsten V. hat gerade Feierabend gemacht. Sie treffen sich in einer Kneipe und bestellen Weizenbier. Das Lokal liegt am Anfang der Fußgängerzone.

Jetzt, an diesem Spätnachmittag im Frühherbst, läuft gerade „Happy“ von Pharrell Williams. Eine ältere Frau, die blondierten Haare spröde wie Zuckerwatte, bestellt Gin Tonic. Die zwei Angeklagten sollen Stammgäste sein. Die Frau am Tresen dreht sich abrupt weg: „Kein Kommentar.“

An jenem Abend ziehen M. und V. von Kneipe zu Kneipe. Gegen 2 Uhr morgens treffen sie in der Stripbar ein. 15 bis 30 Minuten später kommt Nozawa herein und setzt sich ans vordere Ende der Bar. Es dauert nicht lange, bis die beiden Männer aufstehen und auf ihn zugehen. M. soll Nozawa bedrängt und geschubst haben, so haben es die Zeugen der Polizei beschrieben: Er schreit, es geht um das Essen von Nozawas Imbiss. Er will Geld zurück, und zwar 10 Euro.

Ein Gast, der wenige Meter weiter am Tresen sitzt, fühlt sich gestört. Also fordert er den Securitymann auf: „Beförder’ die mal nach draußen. Das nervt.“ Der Kunde sagt heute, dass der Konflikt für ihn wie ein Zwist unter Betrunkenen aussah, „wie Kindergarten.“ Aber er hatte gemerkt, dass die Kräfte ungleich verteilt waren: „Der Japaner wirkte total verunsichert. Die beiden anderen sahen sehr aggressiv aus.“ Trotzdem bringt der Securitymann alle drei vor die Tür. Als der Barkeeper Minuten später nachschauen geht, habe Nozawa bereits tödlich verletzt auf der Erde gelegen, sagt der Gast.

In der Stripbar arbeiten Frauen aus Litauen, Tschechien, der Ukraine. Sie ziehen sich nicht nur aus, sagen Kunden und Anwohner, sondern böten inoffiziell auch käuflichen Sex. Sie sind immer nur zwei bis vier Wochen auf Sylt. Eine hat der Polizei gesagt, sie seien unter Druck gesetzt worden, damit sie im Fall Nozawa keine Angaben machen. „Das ist lächerlich“, sagt der Betreiber, „wir haben damit ja nichts zu tun.“ Er sei an dem Abend nicht da gewesen und könne nichts weiter sagen.

V. und M. streiten die Vorwürfe ab.

Am letzten Tag seines Lebens hat Miki Nozawa bis etwa 22 Uhr in seinem Imbiss gearbeitet und dann in einem Restaurant noch ein paar Bier getrunken. Das Lokal ist ein gepflegter Betrieb, in dem es solide, recht günstige Hausmannskost gibt. Nozawa sitzt eine Weile mit einem auf Sylt bekannten Gastronomen zusammen. Auch dessen Partnerin ist dabei; um etwa ein Uhr sagt sie: „Miki, komm, wir fahren.“ Aber er will nicht. Also bricht das Paar ohne ihn auf.

Der Promiwirt hat nicht nur mit Miki Nozawa zusammengearbeitet, sondern ihn auch in einem Zimmer in ihrem Haus wohnen lassen. Jetzt sitzt er mit seiner Freundin in einer Bar im Norden von Westerland, und sie gehen in Gedanken zurück zum 12. Mai 2013. Er, ein großer, hagerer Mann, Anfang 50, mit knochigem Gesicht, das ausgezehrt wirkt. Sie, seine Freundin, mit ihren langen, blondierten Haaren und der Seidenbluse. Der Promiwirt war es, der Nozawa nach Sylt geholt hatte, in das Restaurant in Kampen. Aber dann verkaufte er seine Anteile daran. Ende 2012 suchte Nozawa wieder Arbeit, und der Wirt hatte gerade eine Gaststätte übernommen. Nur hätte er Nozawa als Koch nicht bezahlen können. Also einigten sie sich, dass er stattdessen seinen Imbiss am Bahnhof übernehmen sollte. Zuvor hatte es dort Currywurst gegeben.

War Miki Nozawa bei ihm angestellt, oder hat er das als Selbstständiger gemacht?

Der Wirt zögert, sagt: „Halb, halb. Das war noch in der Entscheidungsfindung.“

Sie wirkt fahrig. Ihre Sätze springen wie Bälle

Nach kurzer Zeit verabschiedet sich der Gastronom. Seine Freundin bleibt sitzen. Sie hat in jenen Monaten viel Zeit mit Nozawa verbracht. Er ging oft mit ihren Hunden spazieren, sagt sie, spielte mit ihrem Kind, „wie ein Familienmitglied“. Sie wirkt fahrig und rastlos, ihre Sätze springen wie Pingpongbälle von Thema zu Thema. Der Tod Nozawas lässt ihr keine Ruhe.

Wenige Wochen vor Nozawas Tod war ihr aufgefallen, dass er bedrückt wirkte; sie sagte: „Miki, du gefällst mir nicht.“ Seine finanzielle Lage habe ihn belastet, und dass er seinen Sohn lange nicht gesehen hatte. Er habe ihm etwas bieten wollen.

Der Eingang zu der Stripbar liegt eingezwängt zwischen einem Spielzeuggeschäft und einem Restaurant. Es geht durch eine Passage, dann die Treppe hinunter. Die Tür ist geschlossen. Der Barkeeper öffnet und will kassieren. Der Eintritt kostet 10 Euro. Recht klein ist der Raum, signalrot gestrichen und leer. Es ist ein Dienstag, gegen halb elf. „Kann sein, dass es später noch voller wird“, sagt der Barmann. Ringsum hocken etwa ein Dutzend junge Frauen in Unterwäsche auf Kunstlederbänken. Eine von ihnen steht auf, streift ihr Top ab und beginnt, um die Stange zu kreisen.

Der Barkeeper sagt, er sei am 12. Mai 2013 nicht hier gewesen. Er dreht an der Musikanlage, auf seinem Gesicht spiegelt sich buntes Licht. Er kennt Torsten V., sagt er, Sylt ist klein, jeder kennt jeden.

Einmal habe er sich mit ihm geprügelt. Warum weiß er nicht. „Wir waren betrunken.“ Er lebt seit acht Jahren auf Sylt. Früher hatte er zwei Jobs, jetzt teile er seine Wohnung mit einem Untermieter.

Dann schweigt er.

Die Musik wummert. Die Stripperin zieht ihren Schlüpfer aus.

Gabriela M. Keller, 39, ist taz- Reporterin