Kunstgenuss in der Pampa

Oper für alle – inmitten der Naturlandschaft. Beispielsweise eine Wagner-Oper in Erl, einem Dorf zwischen Rosenheim und Kufstein. Ein Streifzug durch Klassikfestivals mit Ökotouch in Oberbayern

Bayerisches Staatsballett „Ballett und Wildnis“, Aufführungen am 30. Juni und 1. Juli www.bayerisches.staatsballett.de Openfestival Gut Immling vom 22. Juni bis 5. August www.gut-immling.de Herrenchiemsee-Festspiele vom 11. bis 22. Juli, www.herrenchiemsee-festspiele.de Tiroler Festspiele Erl vom 5. bis 28. Juli www.tiroler-festspiele.at

VON GEORG ETSCHEIT

Ob es wirklich so eine tolle Idee ist, die das Bayerische Staatsballett da ausgebrütet hat? Mit Sack und Pack wird die Compagnie aus München an diesem Samstag in den Nationalpark Berchtesgaden ziehen, um dort auf freiem Feld vor der „großartigen Kulisse des Hirschbichltals“ in Ramsau, wie es schwärmerisch in der Pressemitteilung heißt, ein romantisches Ballett darzubieten. Mehrere Sattelschlepper dürften nötig sein, um das technische Equipment in das Schutzgebiet zu karren, wo eine Bühne mit Dach und Sitzreihen aufgebaut werden müssen (siehe nebenstehendes Interview). Aber glücklicherweise bürgt ja das Bayerische Umweltministerium dafür, dass der Natur hier kein allzu großer Tort angetan wird. Kompetenz in Sachen Wildnis ist vorhanden: Vor fast genau einem Jahr, man erinnert sich, hatte Umweltminister Werner („Schnappi“) Schnappauf dem Bären Bruno, der es wagte, seine wilden Tatzen auf bayerischen Boden zu setzen, nach Wildererart den Garaus gemacht.

Aber es gibt diesen Sommer in Oberbayern sehens- und hörenswerte Darbietungen klassischer Musik in mehr oder weniger freier Natur, die weitaus authentischer daherkommen als der Open-Air-Ballett-Krampf aus München. Etwa das Opernfestival auf Gut Immling im Chiemgau. Das liegt vor allem an dessen Gründer und Intendanten Ludwig Baumann. Von Haus aus ist der gebürtige Rosenheimer Opernsänger. 1994 setzte ein schwerer Bühnenunfall seiner Sängerkarriere ein jähes Ende. Zwei Jahre später, dem Krankenbett entstiegen, pachtete Baumann den Reiterhof Gut Immling im Chiemgau, einen 30-Hektar-Besitz, der malerisch auf einem Hügel unweit des Kurortes Bad Endorf thront und einen weiten Blick über die sanft gewellte Voralpenlandschaft bietet. Hier gründete Baumann 1997 sein eigenes Opernfestival, das längst weit über den Chiemgau hinaus bekannt ist. Von der ungezwungen rustikalen Atmosphäre her vergleichbar mit dem Schleswig-Holstein Musik Festival in seiner Anfangszeit, wenn auch etliche Nummern kleiner – ein Geheimtipp für Kunstfreunde, die Abwechslung suchen vom arrivierten, manchmal etwas steifen Staatsopernbetrieb.

In der illustren Nachbarschaft der Salzburger Festspiele und der Münchner Opernfestspiele bietet das siebenwöchige Festival jedes Jahr zwei bis drei eigene Operninszenierungen nebst Konzerten und Opern für Kinder. Dieses Jahr steht in der zum Opernhaus umgebauten Reithalle Giuseppe Verdis „Ein Maskenball“ und „Der Barbier von Sevilla“ von Gioacchino Rossini auf dem Programm, außerdem ein Open-Air-Konzert der bayerischen Kult-Band Haindling sowie eine „Spanische Nacht“ mit Musik und „tanzenden Pferden“. Baumann setzt auf das populäre Repertoire von Mozart bis Puccini. „Moderne Opern kann ich meinem Publikum hier nicht zumuten.“ Das heißt: „Oper für alle“ – inmitten einer anmutigen Naturlandschaft, in der Mensch und Tier noch (oder wieder) ganz selbstverständlich und friedlich zusammenleben. Denn Gut Immling ist auch ein Gnadenhof für abgeschobene und kranke Huftiere, die als „Sportgeräte“ oder Zirkusattraktion „ausgedient“ haben und dem Schlachter überantwortet werden sollen.

Nur einen Steinwurf entfernt von Immling ist der Chiemsee mit seinen beiden Inseln, Herren- und Frauenchiemsee. Die Eilande sind Schauplatz eines kleinen, aber feinen Festivals, der Herrenchiemsee-Festspiele des Dirigenten und bekennenden Umweltschützers Enoch zu Guttenberg. Der Baron zählt zu den Männern der ersten Stunde in der deutschen Ökobewegung, arbeitete zusammen mit Konrad Lorenz, Bernhard Grzimek und Hubert Weinzierl. Er engagierte sich gegen Atomkraft und Landschaftszerstörung etwa durch den Straßenbau, gehörte zu den Mitgründern des Bundes Naturschutz, Bayerns größtem Umweltverband, und hob die Vereinigung „Artists United for Nature“ mit aus der Taufe. Heute treibt ihn vor allem der Klimawandel um. Wenn der Mensch seinen Lebensstil nicht radikal umstelle, werde das Ökosystem Erde den Klimawandel nicht überleben, sagt Guttenberg. Und ob der Homo sapiens dazu fähig sei, daran hat der ökobewegte Künstler erhebliche Zweifel. „Wir sind die einzige Art, die ihren Kindern nicht beibringt, wie man überlebt, sondern wie man sich selbst ausrottet.“

taz: Herr Liska, was zieht Sie und Ihre Compagnie, das Bayerische Staatsballett, in die Natur?

Ivan Liska: Wissen Sie, das Bayerische Staatsballett tritt das ganze Jahr über vorwiegend im Münchner Nationaltheater auf. Ich wollte die Compagnie einmal aus diesem Elfenbeinturm hinausführen. Ein befreundeter Ballettliebhaber, Naturschützer und Fotograf hat mich dann auf die grandiose Idee gebracht, einmal in freier Natur zu tanzen. Gemeinsam mit dem Bayerischen Umweltministerium, das sich finanziell beteiligt, haben wir das Projekt „Ballett und Wildnis“ entwickelt.

Wie kann man sich so einen Auftritt konkret vorstellen. Wird da zwischen den Bäumen oder auf einer Wiese getanzt?

Nein, natürlich nicht. Da würden sich die Tänzer ja schnell den Knöchel verstauchen. Klar, dass wir eine Bühne brauchen. Aber die ist ganz schlicht, aus Holz und mit braunen Planen verkleidet. Die Lautsprecher für die Musikeinspielungen sind sehr unauffällig. Im Bayerischen Wald vor drei Jahren hatten wir noch nicht mal ein Dach. Das brauchen wir aber jetzt im Nationalpark Berchtesgaden, weil es in den Bergen so oft regnet.

Was tanzen Sie eigentlich?

Bei unserem Auftritt im Rahmen von „Ballett und Wildnis“ tanzen wir im Hirschbichltal in Ramsau das romantische Ballett „Giselle“ von Adolphe Adam. Fast komplett sogar. In dem Stück wird der Wald von von den unglücklichen Seelen der Frauen bevölkert, deren Liebe nicht erfüllt wurde. Um Mitternacht, im Dunkel des Waldes rächen sie sich an den Männern.

Sehr romantisch! Ist die Natur dabei mehr als nur Kulisse?

Unbedingt. Sie wissen gar nicht, wie reizvoll es ist, wenn das Artifizielle des Tanzes mit der Natur zusammentrifft, dem Himmel, der grandiosen Bergkulisse, dem Mond, den Sternen. Wenn die Kostüme im Wind wehen. Es ist dieser Gegensatz, der den besonderen Reiz einer solchen Freiluftveranstaltung ausmacht.

Lieben Sie auch persönlich die Berge?

Ja, durch das Fernglas, von dem Balkon meiner Münchner Hochhauswohnung aus. Zum Wandern habe ich leider keine Zeit.

INTERVIEW: GEORG ETSCHEIT

Ivan Liska ist Direktor des Bayerischen Staatsballetts

Guttenberg bestreitet selbst mit seinem Orchester „KlangVerwaltung“ und der von ihm gegründeten Chorgemeinschaft Neubeuern einen Teil des Festivalprogramms. Unter dem Motto „Maskulin – Feminin“, das unter anderem auf die „homophilen Neigungen“ von Ludwig II. von Bayern anspielt, steht dieses Jahr unter anderem eine szenische Aufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ auf dem Spielplan. Außerdem Claudio Monteverdis „Marienvesper“ mit dem famosen Taverner Consort. Gespielt wird im unvollendeten Treppenhaus von Schloss Herrenchiemsee und im Spiegelsaal, den Ludwig der Spiegelgalerie in Versailles nachempfinden ließ. Außerdem, zum ersten Mal, im romanischen Münster auf Frauenchiemsee. Für Guttenberg war der Märchenkönig, der sich auf der Herreninsel eine „Festung der Einsamkeit“ schaffen wollte, Bayerns erster Umweltschützer: Er bewahrte die Insel vor ihrer Abholzung durch einen Forstunternehmer.

Wer gerne Bergsteigen geht und sich hernach live eine Wagner-Oper gönnen will, der sollte in Erl absteigen, einem Dorf am Inn zwischen Rosenheim und Kufstein. Das sowohl architektonisch wie akustisch bemerkenswerte Erler Passionsspiel inmitten grüner Kuhweiden ist alljährlich Schauplatz der Tiroler Festspiele. Das Festival mit der Kuh als Signet hat sich unter Leitung des Intendanten, Dirigenten und Regisseurs Gustav Kuhn neben Bayreuth mit seinen Wagner-Festspielen zu einem zweiten „grünen Hügel“ gemausert. Furore bei Publikum und Kritik machte der „Erler Ring“, also die komplette Aufführung von Richard Wagners monumentalem Zyklus „Der Ring des Nibelungen“.

Auch für dieses Jahr hat sich Kuhn, der sein Handwerk unter anderem bei Herbert von Karajan lernte, wieder einen musikalischen Kraftakt vorgenommen: Es gibt zwar keine Neuinszenierung, dafür – zum Zehnjährigen – eine große Retrospektive mit den Wagner-Opern „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“, „Götterdämmerung“, „Parsifal“ sowie „Tristan und Isolde“. Die Opern werden „musikhistorisch exakt“ in der chronologischen Reihenfolge ihres Entstehens auf die Bühne gebracht, unterbrochen nur von einer Lesung des Textbuchs der „Meistersinger“. Kuhn versucht, als Regisseur auch die Erler Bevölkerung in die Festspiele einzubinden. So darf die Feuerwehr in der „Götterdämmerung“ in voller Montur die Bahre mit dem ermordeten Siegfried hereintragen und löscht zum Schluss den Weltenbrand.