Im Abstieg

Er zieht von Dorfplatz zu Dorfplatz, wettert gegen die rechtskonservative Regierung und hat ein eigenes Kabinett aus sechs Ministern und ebenso vielen Ministerinnen zusammengestellt. Außerdem hat Mexikos selbsternannter „rechtmäßiger Präsident“ zum Jahrestag ein Buch veröffentlicht: „Die Mafia hat uns die Präsidentschaft geraubt“. Dort erklärt Andrés Manuel López Obrador, wie er genau vor einem Jahr durch einen Wahlbetrug ums höchste Staatsamt gebracht wurde, wie also eine „groß angelegte Manipulation“ dafür gesorgt habe, dass er seinem rechten Konkurrenten Felipe Calderón unterlag.

Und weil sich der 54-jährige Linkspolitiker bis heute nicht damit abfinden will, dass mit Calderón ein „falscher Präsident“ die Belange des Staates lenkt, hat López Obrador seine Anhänger für Sonntag wieder zur Demonstration nach Mexiko-Stadt gerufen. Wie in den Monaten nach der Wahl vom 2. Juli 2006 zogen seine Sympathiesanten „gegen den Wahlbetrug“ durchs Zentrum der Metropole. Doch an die Zeiten, als sich bis zu einer Million Menschen an den Aktionen beteiligten, kann der „rechtmäßige Präsident“ nicht mehr anknüpfen. Seit dem Amtsantritt von Calderón folgen immer weniger Menschen den Aufrufen von „Amlo“, wie Andrés Manuel López Obrador nach seinen Initialen genannt wird.

Dabei reist der sozialdemokratische Politiker seit sechs Monaten quer durch die Republik, um für die von ihm initiierte außerparlamentarische Nationaldemokratische Konvention CND zu werben. 525 der 2.445 Gemeinden und Stadtbezirke Mexikos hat er bereits besucht. Hat vor mal 50, mal 50.000 Menschen gesprochen. Es sind Männer mit gelben Sombreros, Frauen in traditioneller indigener Kleidung, es sind vor allem die Armen, die López Obrador zuhören. Sein Ziel ist es, mit „friedlichem zivilen Widerstand“ gegen die Privatisierung der Energieindustrie und den „falschen Präsidenten“ zu kämpfen. So etwa vor zwei Wochen, als CND-Aktivisten Staatschef Calderón kurzzeitig daran hinderten, an einer Feier zum 100. Geburtstag der Malerin Frida Kahlo teilzunehmen. „Wenn Frida noch leben würde, wäre sie mit uns,“ riefen die Amlo-Anhänger.

Doch wie viele Mexikaner tatsächlich noch hinter López Obrador stehen, ist umstritten. Bei Mobilisierungen gegen den hohen Maispreis oder für die Freilassung der politischen Gefangenen aus der Unruheprovinz Oaxaca ist er längst nicht mehr die treibende Kraft, sondern bestenfalls noch geduldeter Bündnispartner. Seine Präsenz in den Medien hat deutlich abgenommen, und auch sein zu später Stunde ausgestrahltes Fernsehmagazin „Die Wahrheit wird gesagt“ hat eine niedere Einschaltquote.

Dennoch präsentiert sich das Amlo-Kabinett, das auf einer Kundgebung per Akklamation eingesetzt wurde, als sei es eine rechtlich legitimierte Kraft. So stellte „Finanzminister“ Mario di Constanzo eine eigene Steuerreform vor und kritisierte die jüngst von Präsident Calderón vorgeschlagene als „Projekt des Kapitals“. Selbst in seiner eigenen Partei stößt Amlos Politik auf ein geteiltes Echo. Zwar hat die Partei den „falschen Präsidenten“ bis heute nicht anerkannt. Dennoch setzen die Pragmatiker auf parlamentarische Politik, während die etwa gleich starke Amlo-Fraktion auf den Druck der Straße baut.

Die sozialdemokratische Partei PRD stellt im Bundesparlament und im Senat etwa ein knappes Drittel der Parteienvertreter. „Viele Initiativen liegen auf Eis, weil López Obrador sie intern blockiert, doch niemand stellt sich offen gegen ihn“ berichtet eine Mitarbeiterin der Abgeordnetenfraktion. Der Kommentator Jorge Chabat bestätigt in der Tageszeitung Universal: „López Obrador kontrolliert weiterhin die PRD.“

Die Frage ist nur, wie lange noch? So musste der informelle Parteichef López Obrador mit Argwohn beobachten, wie sich jüngst fast alle sozialdemokratischen Gouverneure mit Calderón trafen, um über dessen Steuerreform zu diskutieren. Manche befürchten, dass sich Amlo lächerlich macht mit seiner „rechtmäßigen Regierung“.

Ob der Linkspolitiker zu alter Stärke zurückfindet? „Dieser Mann wird als politische Figur erst auferstehen, wenn er erneut Wahlkampf führt,“ meint der Politologieprofessor Federico Estévez. Doch von Neuwahlen will López Obrador noch nichts wissen. Noch immer scheint er die Hoffnung zu haben, den Präsidenten stürzen zu können. Anlässlich seiner Buchvorstellung erklärte er letzte Woche siegessicher: „Wir werden die Politikermafia besiegen.“