Handelsplatz der Nazis

KUNSTHEHLER Bern sieht keinen Anlass, die eigene Rolle bei der NS-Kunstpolitik zu thematisieren

BERLIN taz | Das Selbstverständliche in eine eigene, großartige Leistung umzudeklarieren und ansonsten über das Ungeheuerliche des Vorgangs insgesamt hinwegzutäuschen – das versuchte gestern Christoph Schäublin, Stiftungsratpräsident des Kunstmuseums Bern, als er bekannt gab, dass sein Haus dem letzten Willen von Cornelius Gurlitt entsprechen und das Erbe des deutschen Kunstsammlers antreten wird.

Alle Bilder, die unter NS-Raubkunstverdacht stünden, sollten in Deutschland bleiben, bis ihre Herkunft zweifelsfrei geklärt sei, so Schäublin weiter. Ja was denn sonst? Zumal man mit den kritischen Werken auch die teure Provenienzforschung dem deutschen Staat überlässt. Bis sich – schon wegen der Kosten – in absehbarer Zeit vielleicht erfreulicherweise doch noch herausstellt, dass kein Anspruch auf das Bild erhoben werden kann. Und Bern es sich liefern lässt.

Freilich: Nicht NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstaus jüdischem Besitz, sondern sogenannte entartete Kunst macht einen wesentlichen Teil der Sammlung aus. Mit diesen Werken aus deutschen Museen und öffentlichen Sammlungen hat der Vater von Cornelius Gurlitt, der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, im Auftrag des NS-Staates gehandelt. Stücke, die ihm besonders am Herzen lagen, kaufte er ebenso wie solche, die er nicht loswurde und daher sehr günstig erwerben konnte.

Die Schweiz war ein wichtiger Handelsplatz für Hildebrand Gurlitt – und damit für das NS-Regime. Dort hat auch sein Sohn lange nach dem Krieg das ein oder andere Gemälde verkauft, wenn er Geld brauchte. Interessanterweise ging das immer anstandslos über die Bühne. Bis der alte Mann am 22. September 2010 auf der Heimfahrt von Zürich nach München im Zug zwei Zollbeamten auffiel, was zur skandalträchtigen Beschlagnahme seiner Sammlung führte.

Für die Schweiz und ihre Kunstsammler, also die Chemiker in Basel und die Züricher Waffenschmiede, hat sich die Kunsthehlerei gelohnt. So konnte man die eigenen Sammlungen um wirklich schöne Stücke erweitern – und das zu moderaten Preisen. Man wusste um die Situation in Deutschland. Man musste Gurlitt und den anderen Händlern der verfemten Moderne aus dem Nazireich nicht entgegenkommen.

Und jetzt profitiert man noch einmal von den alten Verbrechen. Denn die als entartet diffamierte Kunst geht nach Bern. Für sie gilt das Washingtoner Abkommen nicht, das die Museen international zur Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst verpflichtet. Das weiß das Kunstmuseum Bern – und sieht trotzdem keinen Anlass, die eigene Rolle bei der NS-Kunstpolitik zu thematisieren.

Dass die Sammlung also nicht an die Familie von Cornelius Gurlitt geht, die womöglich schlagzeilenträchtigen Profit aus ihr schlagen möchte, darüber ist man in Deutschland so froh, dass man Bern die Kosten des Erbes erlässt. So, glaubt man, werde man seiner moralischen Verantwortung zur Aufarbeitung des nationalsozialistischen Kunstraubs gerecht, die weit über die rechtliche Dimension hinausgehe, wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters gestern sagte. Was sie nicht sieht: Diese Verantwortung zur Aufarbeitung geht weit über nationale Grenzen hinaus. BRIGITTE WERNEBURG