Annäherung, aber noch keine Einigung

STREIK Bei den Verhandlungen über einen Tarifvertrag für tausende Zeitungsredakteure gibt es erste Kompromisse

AUS TÜBINGEN KETY QUADRINO

Die Angst sitzt ihr im Nacken. Was, wenn immer mehr Leser ihr Zeitungsabo stornieren? Wenn sie es leid sind, dass sie seit nunmehr 29 Tagen nur noch einen Abklatsch ihres Schwäbischen Tagblatts erhalten. Denn vor allem Agenturmeldungen füllen die Seiten. Eigentlich sollte Ulla Steuernagel jetzt in der Redaktion sein, recherchieren und schreiben. Stattdessen sitzt sie mit anderen Kollegen auf der Treppe des Tübinger Holzmarkts und streikt, mal wieder. „Ich fühle mich wie das Kaninchen vor der Schlange“, sagt sie, denn das Letzte, was sie wolle, sei, ihrer Zeitung schaden. „Doch hier geht es um die Zukunft unseres Berufsstands.“

Verbitterung und Wut

Hinter ihrem Rücken prangt ein riesiges Banner: „Journalisten gegen Lohnkürzung“ steht da. Drei Worte für viel Wut und Verbitterung, denn der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) wollte neu eingestellten Redakteuren in Tageszeitungen den Lohn um rund 25 Prozent, ihren Altkollegen um 5 Prozent kürzen. Die neunte Tarifverhandlung am Dienstag in Hamburg brachte für die rund 14.000 Redakteure an Tageszeitungen endlich einen Durchbruch, der Dumpingtarifvertrag für Berufseinsteiger scheint vom Tisch. „Plötzlich ist Bewegung in die Verhandlung reingekommen, die Verleger sind von ihren Forderungen nach radikal abgesenkten Gehältern abgewichen“, freut sich Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Es lohne sich jetzt, die Verhandlungen weiterzuführen. Die Vertreter des BDZV, des DJV und der Gewerkschaft Ver.di einigten sich auch darauf, den Manteltarifvertrag in seiner bestehenden Form bis Ende 2013 wieder in Kraft zu setzen. Eine Kündigung der Altersversorgung soll bis Ende 2013 ausgeschlossen werden.

Eine grundsätzliche Übereinstimmung gibt es, dass Verlage in wirtschaftlicher Not die Möglichkeit erhalten, unter genau umrissenen Bedingungen zeitweilig Urlaubs- und Weihnachtsgeld abzusenken. Über Erhöhungen von Gehältern und Honoraren muss nun in einer weiteren Tarifrunde zeitnah verhandelt werden. „Die Gremien müssen jetzt tagen, so lange geht der Streik weiter“, sagt Zörner. Eine überwältigende Mehrheit in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern hatte bei einer Urabstimmung vor knapp zwei Wochen für einen unbefristeten Streik gestimmt.

Seitdem sind die Zeitungen merklich dünner. Auch die des Schwäbischen Tagblatts in Tübingen, dessen Mitarbeiter normalerweise den Lokal- und Regionalteil gestalten, der überregionale Mantelteil wird von der in Ulm ansässigen Südwest Presse zugeliefert. Eine sogenannte Notausgabe sei das, erklärt Redaktionsleiter Eckhard Ströbel seinen Lesern in einem Kommentar. Zusammen mit anderen Redaktionsleitern hält er am Neckar die Stellung – sehr zum Missfallen der streikenden Fraktion. Zwar finden auch sie die Verzichtsforderungen der Arbeitgeber unangemessen, doch anders als ihre streikenden Kollegen meinen sie jedoch, dass durch ganz ausfallende Ausgaben den Lesern ein Schaden entstünde und die Zeitung einen Imageverlust erleiden würde, der schwerer wiegt als der Druck, der gleichzeitig auf die Verlegerseite ausgeübt werden soll. „Denn nichts wäre schädlicher für unser Gewerbe als eine Öffentlichkeit, die auf Zeitungen verzichten kann“, kommentiert Ströbel.

„Lieber keine Zeitung als eine Notzeitung!“, ärgert sich Sepp Wais. Der 58-jährige Lokalredakteur ist ein Urgestein des Schwäbischen Tagblatts. Seit 31 Jahren treibt er sich schreiberisch in der 88.000-Einwohner-Stadt um. Er hängt zusammen mit seinen Kollegen eine Wäscheleine auf, an der Porträtfotos der Journalisten baumeln. Sie müssten immer mehr leisten in weniger Zeit, mit weniger Personal – und jetzt auch noch für weniger Geld. Dennoch, als Streikbrecher mag Sepp Wais die arbeitenden Kollegen nicht beschimpfen, er weiß, dass die Chefs sich den Verlagsspitzen gegenüber zu Loyalität verpflichtet fühlen. Aber er merkt, wie die Journalisten selbst immer mehr in eine Parallelwelt abdriften.

Da sind die streikenden Redakteure, die seit Wochen ihre Arbeitsplätze in den Redaktionen verlassen haben, Flugblätter verteilen, Kundgebungen organisieren und Streikzeitungen verfassen. Und dann gibt es die Redakteure, die in leeren Redaktionsräumen arbeiten und die Aufgaben der Streikenden mit übernehmen. Wais zeigt auf die Volontäre des Schwäbischen Tagblatts, die den Passanten auf dem Holzmarkt eine Suppe anbieten, von „Billigjournalisten zusammengerührt“. „Ich streike vor allem für den Nachwuchs“, sagt er. Die Verlage würden das überhaupt nicht verstehen. „Die sagen, was geht das euch alte Säcke überhaupt an, ihr steht doch mit eurem alten Tarifvertrag gut da.“

Sparen am Nachwuchs

Mit Infotafeln erklären die jungen Journalisten, was den Passanten blüht, wenn sich der Billigjournalismus breit macht: Content ohne Kontext, Instant News statt Nachrichten, Oberfläche statt Tiefgang, Kommerz statt Fakten. Der Streik geht sie besonders an, denn der BDZV will vor allem beim Nachwuchs sparen. Deswegen verteilen die Jungen einen offenen Brief, in dem sie die hohen Anforderungen der Verlage den schlechten Arbeitsbedingungen entgegenstellen: „Mit rund 4.000 Euro Uni-Schulden starten wir in die Ausbildung. Wir haben jahrelang als Freiberufler geschrieben und recherchiert. Vor allem an Wochenenden und Feiertagen. Ohne Zuschläge. Umgerechnet sprangen in dieser Zeit anfangs 2,60 Euro, später 5,50 Euro pro Stunde heraus.“

Ulla Steuernagel schaut dem Treiben ihrer Kollegen auf dem Tübinger Holzmarkt zu. „Ich will wieder arbeiten“, sagt sie. Dieser Streik geht einfach schon zu lange. Immerhin, der Durchbruch am Dienstag ist für sie ein Erfolg. Ihr Kampf war nicht umsonst.