Berlin Codes

Soll ich nun Prada zur nächsten Vernissage tragen? Mich auf jeder Party Blicken lassen? Oder mich doch lieber hinter meinen BWL-Büchern verkriechen? In Berlin scheinen derartige Fragen natürlich völlig belanglos. Denn gerade das ist doch der Grund, weshalb die halbe Nation und auch das Ausland in das moderne Mekka der grenzenlosen Möglichkeiten pilgert. Oder könnte es sein, dass hier doch ein Irrtum vorliegt, sogar ein grundsätzlicher?

Um als Student an einer Berliner Universität zu überleben, ist es nach Ansicht der beiden diplomierten Studenten der Publizistik, Alexandra und Moritz, ganz entscheidend, wie man sich verhält. Primär wichtig scheint in der hohen Kunst des Unilebens ein klarer Tatendrang – denn wer würde sich nicht mit voller Leidenschaft den Angeboten der Hauptstadt hingeben wollen?

Ganz in diesem Sinne ist es auch äußerst ratsam, möglichst planlos durchs Leben zu laufen, um sich prophylaktisch gegen den Verdacht, etwa nicht „locker“ zu sein, zu wappnen. Kleidungstechnisch gilt nur eine unausgesprochene Regel: Bloß nicht zu teure Klamotten, nicht zu sehr auf Style achten! Immerhin geht es hier um die intellektuelle Elite!

Die hässlichen Klamotten dürfen dafür in der Modebranche im Schrank begraben bleiben. Aber Achtung! Auch hier gilt: „Bitte nicht im Münchner Bonzenstyle mit Lacoste-Hemd und Longchamp-Tasche ankommen“, warnt Roman, passionierter Vintage-Sammler und Mitarbeiter in einem Fashion Store im Modebezirk Mitte.

Im Berliner Modebusiness muss sich der Neuankömmling auf eine gefährliche Gratwanderung zwischen Grunge und Schick begeben, darf dabei aber auch nicht in die Falle des „In Berlin ist alles erlaubt – also jeden Tag Karneval!“ geraten. Das um jeden Preis gewollt Individuelle ist hier mindestens so verpönt wie der Münchner Spießerschick. Faustregel: Geschmackvoll Mut beweisen!

Freiheit der Kunst? Von wegen! Wie auch in den anderen Branchen lauern in der Berliner Kunstbranche Gefahren und Chancen, je nach dem, wie man sie nutzt. Ganz besonders entzücken werden Wahlberliner mit dem unkonventionellen Vorschlag, eine Galerie ganz weit weg vom „Schuss“, zum Beispiel im Wedding, zu eröffnen. Wer dann während des ungezwungenen Dinners im Grill Royal vernehmen lässt, dass er persönlich das Artforum für nicht mehr so wichtig halte, der hat längst alle Herzen für sich gewonnen.

Trotz allem bleibt Vorsicht geboten. Denn die Untat, beim nächsten Vernissagedinner mit Prada-Schühchen zu erscheinen, kann einen ganz schnell wieder auf den Status des Landeis degradieren!

Das erwünschte Verhalten in Berliner Medienkreisen definiert Jo Groebel, Direktor des Deutschen Digital Instituts. Während der Münchner Medienschaffende auffällig teuer gekleidet seinen Status zum Ausdruck bringen muss, der Hamburger hingegen eher durch sein ostentativ zurückhaltendes Auftreten zu bestechen sucht, lässt sich der Berliner Medienmensch in keine Schublade packen.

Gruppenzwänge wie in München oder Hamburg mag Dr. Groebel in der deutschen Hauptstadt nicht erkennen. Den medienschaffenden ZuzüglerInnen kann da nur geraten sein: Bleibt locker! ANNABELLE HIRSCH