Der WAAhnsinn kehrt zurück

AUS DER TAZ Wer waren die Helden auf dem taz-Titelfoto zum Atomausstieg? Eine Leserin entdeckte einen

Mission erfüllt. „So sehen Sieger aus!“, titelte die taz am 30. Juni 2011 auf Seite eins, als der Bundestag den Atomausstieg beschloss. Darunter ein Foto aus dem Dezember 1985, geschossen in der Oberpfalz: Atomkraftgegner haben im Wald eine Sitzblockade gebildet. Sie wollen den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage, kurz WAA, in Wackersdorf verhindern. In der Kälte haken sich die Männer unter, im Hintergrund rücken Polizisten an.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahme des Fotografen Martin Storz fand die Redaktion im Bildarchiv der taz. Wer die Männer sind, war dort nicht dokumentiert. Doch dann meldete sich die taz-Leserin Ina Zagst. Sie hatte einen der Männer erkannt – nach 25 Jahren, trotz schulterlanger Haare und Vollbart. Es ist Wolfgang Köpf, auf dem Foto trägt er einen Norwegerpulli, ein Palituch schützt ihn vor der Kälte. Als das Foto gemacht wurde, studierte er auf Lehramt. Ina Zagst und er engagierten sich gemeinsam gegen den Bau der WAA, wo aus alten Brennelementen Uran und Plutonium gewonnen werden sollte.

Der taz-Titel muss für einen kurzen Augenblick wie eine kleine Zeitreise auf die beiden gewirkt haben. Ein „unheimlicher Idealismus“ habe geherrscht, erinnert sich Köpf: „Man hat vieles in Kauf genommen, um den Bau der Anlage zu verhindern.“ Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein, es gab Hunderte Verletzte, drei Menschen starben. Erst 1989 gab die Politik das Bauvorhaben auf.

Wolfgang Köpf geht weiter auf Demonstrationen, im März protestierte er vor dem Kraftwerk Isar 1. „Immer wieder treffe ich Weggefährten von damals“, sagt er, „man muss konkret was auf der Straße tun.“ Köpf hat inzwischen einen Kurzhaarschnitt, statt Norwegerpulli trägt er Hemden. Wackersdorf hat sein Leben geprägt – viel mehr, als ihm lieb sein konnte. Köpf wurde vorgeworfen, den Freistaat Bayern verunglimpft und zu Straftaten aufgefordert zu haben; die Prozesse gegen den angeblichen Staatsfeind zogen sich drei Jahre hin. Erst nach dem Freispruch 1990 konnte der heute 50-Jährige seine Laufbahn starten, er lehrt Mathe und Physik an einem Gymnasium und hat auch Ina Zagsts Tochter unterrichtet. Der Atomausstieg erfüllt ihn mit „großer Genugtuung“, trotzdem bleibt er skeptisch: „Gefeiert wird erst 2022.“ TIMO KATHER