die taz vor zehn jahren
: Der trügerische Aktienboom

Der Dow Jones über 8.000, der Dax über 4.200 Punkte – die Aktienkurse schwingen von einem Hoch zum nächsten. Doch was des einen Freud, ist des anderen Leid. Denn die Aktien-Hausse ist die Kehrseite der Hausse der Arbeitslosenzahlen. Wie hängt das zusammen? Bei hoher Arbeitslosigkeit und niedriger Inflationsrate können die nominellen Zinsen niedrig sein. Dies senkt die Rendite festverzinslicher Werte und läßt die Kurse der Aktien steigen. Außerdem werden die Löhne gedrückt, wenn die „Reservearmee der Arbeitslosen“ die Macht der Gewerkschaften unterminiert. Die Gewinne steigen und mit ihnen die Kurse. Nun könnte man meinen, daß eine Zinsbaisse und eine Gewinnhausse Investitionen und damit neue Arbeitsplätze begünstigen. Doch die Zinsen sind nur nominal niedrig. Wenn man die Inflationsrate berücksichtigt, bleiben Realzinsen, die beträchtlich über der mäßigen Wachstumsrate liegen. Sie werden also aus der Substanz gezahlt, und dies ruiniert viele, die sich nicht schadlos halten können.

Aber auch die Aktienbesitzer werden sich nicht alle und auf Dauer an dem Boom erfreuen können. Der Finanzjongleur George Soros befürchtet, daß sich „die Finanzmärkte zu weit von der Realität entfernt haben“. Wenn aber ein großer Markt zusammenbricht, so Soros, entsteht ein „Dominoeffekt, es kommt zum Crash an den Weltbörsen“. Die Börsen sind nur dann robust, wenn sie wie ein Satellit durch die Schwerkraft der realen Ökonomie in ihrer Bahn gehalten werden. Die Börsen haben aber zu den Sternen abgehoben. Das kann nicht gutgehen.

Elmar Altvater, taz 18. 7. 1997