die taz vor 14 jahren über die den hungerstreik der kalikumpel in der ex-ddr
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Wer im Westen immer noch meint, beim Hungerstreik der Eichsfelder Bergleute gehe es lediglich um einen lokalen Konflikt und um das sture Beharren auf Arbeitsplätze, die wegökologisiert gehören, soll endlich aufwachen. Wut und Verzweiflung der Kalikumpel drücken deren gesamte Erfahrung seit der Wende aus. Viele Kollegen in der ehemaligen DDR wurden belogen und betrogen. Sie wollen weder Mitleid noch Almosen, sondern eine Perspektive für sich, ihre Familien und die Region. Strukturumbrüche wie im Ruhrgebiet, die im Westen über Jahrzehnte gingen und mit den Mitteln regionaler Entwicklungspolitik gesteuert wurden, schlagen hier binnen kürzester Zeit auf den größten Teil der arbeitenden Bevölkerung nieder. Es ist einfach eine Lüge, daß dieser Prozeß unabwendbar und für alle Beteiligten gleichermaßen belastend sei. Die Treuhand entzieht sich weiterhin jeder demokratischen Kontrolle und ist auf eine Weise organisiert, die zu Mißbrauch und krimineller Bereicherung geradezu einlädt. Kampagnen wie die „Rettung der industriellen Kerne“ zeigen ihren Schlagwortcharakter und ihre Kurzatmigkeit, weil sie ohne ein langfristiges finanz- und industriepolitisches Konzept nicht greifen können. Ein solches Konzept aber müßte mit den Einschnitten in das Einflußgeflecht der Vereinigungsgewinner ernst machen und würde an die Substanz des westdeutschen Vorsprungs gehen. Die Dramatik der Vorgänge in Bischofferode ist auf diesem Hintergrund zu sehen. Einer Landesregierung, die man in Abhängigkeit von Bonn sieht, traut man nicht zu, die eigenen Vorschläge nach Jahresfrist noch durchzuhalten, und einer Gewerkschaft, die sich vor der mühsamen Interessenvertretung versteckt, werden die letzten Mitgliedsbücher um die Ohren fliegen. Was sich in Bischofferode zeigt, sind nicht die „Gespenster der Vergangenheit“, sondern ein Vorschein auf die Härte künftiger Auseinandersetzungen.

Wolfgang Templin, Mitglied

von Bündnis 90, taz 19. 7. 1993