Islamisten von nebenan

Seit der Verhaftung des deutsch-marokkanischen Ex-Studenten Redouane E. H. stehen die Muslime im Kieler Stadtteil Gaarden unter Terror-Verdacht. Am Mittwoch beginnt der Prozess gegen Redouane vor dem Oberlandesgericht in Schleswig. Ein Streifzug durch sein ehemaliges Viertel

Die Gläubigen der Moschee seien von Geheimdienstleuten beschattet worden, berichtet der türkische Sozialarbeiter

AUS KIEL-GAARDEN DANIEL WIESE

Der Vinetaplatz im Kieler Stadtteil Gaarden ist zur Mittagszeit gut besucht, Alkoholiker und Junkies bevölkern die Bänke. Zwei Querstraßen weiter wird es ruhig, das Backsteinpflaster krümmt sich, die Häuser stehen schief. Hier irgendwo muss der Callshop gewesen sein, der Gaarden vor einem Jahr in die Schlagzeilen brachte. Sein Inhaber, der Deutsch-Marrokaner Redouane E.-H., soll Kontakte zu al-Qaida gehabt haben. Am Mittwoch beginnt sein Prozess. Der Vorwurf: Redouane habe von seinem Callshop aus Selbstmordattentäter in den Irak geschleust.

Der Callshop, na klar, sagt der junge Mann aus dem Callshop in der Parallelstraße. „Der war gleich da hinten an der Ecke.“ Jetzt ist in dem Laden ein Wettbüro drin, die Gitter sind heruntergelassen. „Öffnungszeiten“, steht an der Tür, die Uhrzeit fehlt.

Kiel-Gaarden: „Das Kreuzberg Kiels“ nannte es der Spiegel, richtiger wäre wohl „das Kieler Neukölln“. „Die Stadt Kiel hat den Stadtteil aufgegeben“, sagt der Wirt der „Bambule“, einer Kneipe ein Stück die Iltisstraße hoch. Er ist selbst Palästinenser mit deutschem Pass, Redouane hat er gekannt. Ein „ganz normaler junger Mann auf Mädchensuche“ sei das gewesen, bis dann „diese Wandlung“ kam. Jahrelang hatte er ihn nicht mehr gesehen, doch plötzlich stand Redouane bei ihm in der Kneipe, er trug jetzt einen Bart und ein arabisches Gewand. „Ich erkannte ihn zuerst gar nicht wieder.“

Und Redouane war nicht der einzige Fall in Gaarden. Der als „Kofferbomber“ bekannt gewordene Youssef Mohamad al-Hajdibs verkehrte ebenfalls in dem Stadtteil, auch wenn er in einem Studentenwohnheim am anderen Ende Kiels wohnte. Der Spiegel berichtete, dass beide dieselbe Moschee besuchten. Dort habe der Imam dazu aufgerufen, „Gott entgegenzugehen“ und „sich selbst zu opfern“.

Die Moschee liegt am Rand von Gaarden hinter einer Schnellstraße, in einem verlassenen Schulgebäude. Grau ragen die Mauern auf, und ganz oben, im vierten Stock, sitzt der arabische Kulturverein, der die Moschee betreibt. Ein junger Mann kommt die Treppe hoch, sein Gesicht verfinstert sich. „Die Medien lügen und machen uns zum Feind“, sagt er, während er die Schuhe auszieht und die Füße wäscht. „Ich habe keine Lust zu reden, und ich glaube nicht, dass sonst jemand redet.“

Dann will er wissen, ob es eine versteckte Kamera gibt, Pro7 habe das schon versucht. Er fordert eine Leibesvisitation. „Dann verrate ich was“, flüstert er und nennt die Website www.diewahrereligion.de, auf der „die reine Botschaft des Propheten“ gepredigt wird.

Inzwischen sind noch einige andere Männer die Treppe hochgekommen, haben freundlich die Hand gegeben, sind dann aber schnell im Gebetsraum verschwunden. Tatsächlich scheint die Moschee des arabischen Kulturvereins in Kiel islamistisch orientiert zu sein, bestätigt ein christlicher Kenner der Szene. Er berichtet von Vorträgen, in denen zum Islam konvertierte Deutsche „das Christentum widerlegt“ hätten.

Von Aufrufen zu Selbstmord-Attentaten habe er noch nichts gehört, sagt der Kirchenmann. Es sei eine „stärkere Hinwendung zum islamischen Glauben“ zu beobachten, das schon. Und während sich die türkischen Jugendlichen entschieden vom Terrorismus distanzierten, täten das die arabischen jungen Männer nicht immer. Es sei auch eine Frage der Biografie: „Kommen sie aus den palästinensischen Gebieten? Haben sie Familienangehörige verloren?“

In Gaarden erzählt man sich tatsächlich, Redouane habe einen Bruder verloren. Doch ob das stimmt, und wenn ja, unter welchen Umständen es geschah – erschossen von der Polizei? Oder im Einsatz für den Dschihad? – bleibt im Dunkeln wie so vieles. Hört man sich unter arabischen und türkischen Bewohnern des Viertels um, herrscht nicht einmal Klarheit über die Zahl der Moscheen – sind es sieben oder schon acht? Unbestritten ist allerdings, dass sie mehr werden, und dass sich arabische Jugendliche dorthin zurückziehen – dorthin und in die Callshops und Wettbüros, von denen es immer mehr gibt in Gaarden.

Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. „Wo sollen die auch sonst hingehen?“, sagt der türkische Sozialarbeiter und erzählt, dass viele Clubs inzwischen einen „Muslim-Check“ durchführen. Wer aussieht, als sei er einer, darf nicht rein. In den Wettbüros könnten sie „Spaß haben und ein bisschen Geld ausgeben“.

Nach den Verhaftungen der beiden Terror-Verdächtigen, sagt der Mann, sei die Kripo jeden Tag mit demselben Auto durchs Viertel gefahren, nur immer mit einem anderen Kennzeichen, und habe muslimisch aussehende Jugendliche beobachtet. Die Gläubigen von der Moschee des arabischen Kulturvereins seien sogar von Geheimdienstleuten beschattet worden, einigen von ihnen habe man auch Besuche abgestattet. „Die sind in meine Sprechstunde gekommen und wussten gar nicht, an wen sie sich wenden sollten.“ Zur Polizei gehen und sich beschweren war schlecht möglich.

Keine Nachsicht mit den muslimischen Brüdern hat dagegen der Mann in einem Zeitungskiosk, der gerade die Süddeutsche studiert. Die Moscheen würden alle aus demselben Topf finanziert, meint er, der alevitischer Türke ist. Er findet es bedenklich, wie die Kinder in Koranschulen gesteckt werden, wie die jungen Frauen freiwillig das Kopftuch anziehen. „Das ist gegen alles, wofür ich gekämpft habe“, sagt er. Es klingt bitter.

Es ist auch in Kiel-Gaarden so: Man sieht, was man sehen will. An diesem Nachmittag sitzen in den Callshops auch blonde deutsche Mädchen, und in dem türkischen Café drehen tätowierte Deutsche Zigaretten, während am Nachbartisch arabisch geredet wird. Draußen sitzt eine alte Dame, den Kopf aufgestützt, und schaut missmutig auf die Straße, in der sich Callshop an Wettbüro reiht. Wenigstens das Bestattungsinstitut auf der anderen Straßenseite scheint noch in deutscher Hand zu sein.