Gestatten: Stauffenberg

Die Dreharbeiten zu „Valkyrie“ sind angelaufen, und Tom Cruise passt die Wehrmachtsuniform. Jetzt wird nicht mehr diskutiert, sondern gearbeitet: „Berlin bereitet sich auf das Hitler-Attentat vor“

VON MARTIN REICHERT

Florian Henckel von Donnersmarck hat eine nette Mutter – liebevoll berichtete er in seinem FAZ-Artikel „Deutschlands Hoffnung heißt Tom Cruise“, dass sie früher am Esstisch immer in einen Zustand „hysterischer Erregung“ geraten sei, wenn es um Stauffenberg ging. Rote Flecken hätten sich rings um ihre Kehle breitgemacht. So ähnlich war es auch, als sie neulich bei einer privaten Veranstaltung nachfragte, warum denn die taz immer nur Schlechtes über ihren Sohn schreibe – es müssten doch wohl böse Menschen sein, die dort arbeiten.

Wer weiß. Richtig ist, dass der Adel gerne mal sein Fett wegbekommt, obwohl es sich bei ihm genau genommen ja auch um eine Minderheit mit gelegentlicher Tendenz zur Parallelgesellschaftsbildung handelt. Ein schräges Völkchen mit zum Teil bizarren Umgangsformen und knorrigem Habitus: „Da kommt sicher nur Mist raus“, hatte Graf Berthold von Stauffenberg, Sohn des Attentäters, via Süddeutsche Zeitung in Richtung Hollywood geblafft.

Eine der zentralen Kernkompetenzen des Adels ist eben die stets wachsame und auf Nachhaltigkeit bedachte Eigengeschichtsschreibung – wer sich identitär auf die familiären Wurzeln beruft, muss diesen Aspekt stets im Auge haben, sonst gefährdet er womöglich seine persönliche Legitimation.

Jetzt kümmern sich die Amis um die deutsche Geschichte, allen voran geschickt der Militär-Mime Tom Cruise. Früher US Air Force („Top Gun“), jetzt Deutsche Wehrmacht („Valkyrie“). Kaum ist die etwas vertorfte, bis weilen mit roten Flecken am Hals geführte Feuilletondebatte des deutschen Geistesadels zum Thema Stauffenberg-Cruise-Hubbart durch, steppt in der Kulissenstadt Berlin der Bär. Will sagen: „Berlin bereitet sich auf das Hitler-Attentat vor.“ Sämtliche Boulevardmedien von Bild bis B.Z.machen mit dem ersten Foto von Tom Cruise in Wehrmachtsuniform auf. Die Debatte kreist nun um Positivistisches: Die Gürtelschnalle ist falsch, der Kragen auch („Die silbernen Spiegel hätten karmesinrot unterlegt sein müssen“). Und dann wurde auch noch das falsche Flugzeug gecastet: Eine „Heinkel He 111“ wäre die richtige Wahl gewesen, nicht die „Tante Ju“!

Man kann viel falsch machen, wenn es um die deutsche Vergangenheit geht. Das Hakenkreuz auf dem Leitwerk der Junkers 52 muss daher abgedeckt werden, wenn das Flugzeug über dem Himmel Berlins gleiten dürfen soll. Die zahlreichen Touristen wird das schwer enttäuschen.

Kommt Besuch aus Australien oder den Vereinigten Staaten nach Berlin, gibt es regelmäßig traurige Gesichter: Was denn, man kann den „Fuhrerbunker“ gar nicht besichtigen? Warum denn „in god’s name“ nicht? Uniformen gibt es nur am Checkpoint Charlie zu sehen, aber die kennen sie schon. Man muss sie dann zum Olympiastadion oder zum Flughafen Tempelhof schicken – es geht ihnen nun mal um das „Gänsehautgefühl“, wie Wolfgang Petersen richtig bemerkte. Aber die Deutschen sind bezüglich ihrer reichlich durchgeknallten Geschichte keine guten Gastgeber und üben sich in Widerstand. Reißen die Berliner Mauer ab und demontieren den Palast der Republik – dereinst wird man wohl alles wieder aufbauen müssen. In Florida.

In Berlin residiert und regiert derweil das männliche Oberhaupt jener neuen Aristokratie, die sich aus Schauspielern und Prominenten zusammensetzt: Tom Cruise, stets in Jackett und Hemd gekleidet, was in der Bild-Redaktion die Frage aufwarf: „Schwitzt denn Tom Cruise nie?“ Andere Frage: Hat jemand schon mal die Queen mit Schweißrändern unter den Achseln gesehen? Also. Sogar im umliegenden Brandenburg warten Frauen aller Altersklassen stundenlang an den Absperrungen zur „Wolfsschanze“, um einen Blick auf IHN zu erhaschen.

In Berlin selbst ist Alltag, was bedeutet: Drehtag. Egal ob man in einer Seitenstraße Neuköllns oder mitten im Stadtteil Prenzlauer Berg wohnt, die Filmteams sind überall. Sie kommen mit zwanzig Lkws, einem lärmenden Aggregatwagen und der obligaten Cateringbude, an der schlecht gelaunte Schauspielerinnen ihren Café Latte trinken. Und die BerlinerInnen fügen sich. Selbstverständlich verhält man sich leise und geht nicht seiner, sondern anderer Wege, wenn die Aufnahmeleitung einen zurechtweist: Hier wird gedreht! Und wenn die Jungschauspielerin fünf Anläufe braucht, um rote Farbe über einen schwarzen Range Rover zu kippen, dann ist das eben so. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut (siehe Seite 19).

Doch Berlin war eben schon immer Kulisse: Auf dem Prachtboulevard Unter den Linden wurde die preußische Adelsoperette inszeniert, auf der heutigen „Frankfurter Allee sowjetisches Agitproptheater. Die sich nach diversen Systemwechseln durchsetzende Individualisierung hat nun bewirkt, dass der Bürger seine ursprünglich privaten Räume studiotauglich einrichtet – und diese auch als Drehort anbietet. Der Location-Scout Alexander Groh aus Berlin zum Beispiel bietet auf der Homepage seiner Agentur diverse Eigenheime zur filmwirtschaftlichen Nutzung an (www.groh-locations.com). Den Bendlerblock hat er nicht im Angebot, dafür aber das taz-Gebäude.

In Deutschland ist mittlerweile die Besetzung eines Films Teil der nationalen Debatte. Warum auch nicht, das Nachbarland Polen wird sogar von Schauspielern regiert und hat der Welt einen solchen als Papst Johannes Paul II. geschenkt.

Die Bewohner der deutschen Hauptstadt Berlin hingegen nutzen ihre Metropole als Kulisse für die Inszenierung ihres Lebens-Films, in dem sie die Hauptrolle spielen. Und Tom Cruise? Ist nur ein Kollege, der manchmal hinten durchs Bild läuft.