G36 im Killer-Arsenal

MEXIKO Die mutmaßlichen Mörder der 43 Studenten in Guerrero hatten deutsche G36-Gewehre, die illegal geliefert wurden

Von den 97 beschlagnahmten Gewehren sind 36 vom Typ G36 von Heckler & Koch

VON WOLF-DIETER VOGEL

BERLIN taz | Haben Polizisten mit Waffen auf Studenten im mexikanischen Bundesstaat Guerrero geschossen, die illegal aus Deutschland in die Region gelangten? Eine Liste der Strafverfolger, die der taz vorliegt, bestätigt: Nach dem Angriff von Polizisten und Mafiakillern auf die jungen Männer in der Stadt Iguala beschlagnahmten die Ermittler 36 Gewehre der Oberndorfer Rüstungsschmiede Heckler & Koch (H & K). Diese hätten laut Exportgenehmigung nie nach Guerrero gelangen dürfen.

Bei der Attacke am 26. September starben sechs Personen, nachdem Polizeibeamte und Mitglieder der Bande „Guerreros Unidos“ (Vereinigte Krieger) Busse gestoppt und mehrfach auf eine Menschenmenge geschossen hatten. Später übergaben die Polizisten 43 festgenommene Lehramtsanwärter den Kriminellen. Wahrscheinlich wurden alle hingerichtet. Den Befehl zu dem Einsatz gab der Bürgermeister von Iguala, José Luis Abarca, dessen Frau selbst zu den Vereinigten Kriegern zählte. Geleitet hat die Aktion der örtliche Polizeichef Felipe Flores Velázquez. Während Abarca und dessen Gattin Anfang November verhaftet wurden, befindet sich Velázquez auf der Flucht. Nach Angaben von Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam hat allein die Polizei monatlich umgerechnet über 50.000 Euro von den Guerreros Unidos bekommen, eine ähnliche Summe erhielt demnach Abarca.

Am Tag nach dem Angriff wurden 19 lokale Polizisten verhaftet, deren Haut oder Kleindung Schmauchspuren aufwiesen und die folglich in der Nacht geschossen hatten. Mittlerweile sitzen 80 mutmaßliche Mittäter im Gefängnis. Die Strafverfolger beschlagnahmten 228 Schusswaffen aus dem Lager von Polizeichef Velázquez, darunter 97 Gewehre. Unter den drei Gewehrtypen befanden sich 36 des Typs G36 von H & K, wie aus einer Liste der sichergestellten Gegenstände der Staatsanwaltschaft hervorgeht. „Ob und wie viele der G36 in der Nacht benutzt wurden, wissen wir nicht“, erklärte ein Menschenrechtsverteidiger der taz. Laut den Ermittlern kamen 30 Waffen zum Einsatz. Alle drei Gewehrtypen haben dasselbe Kaliber, sodass der Nachweis anhand der Patronenhülsen schwer fällt.

Klar ist aber: Der korrupte Bürgermeister Abarca und sein Polizeichef verfügten über G36-Gewehre, die illegal in die Region geliefert wurden. H & K hatte für vier Bundesstaaten, unter ihnen Guerrero, wegen der schwierigen Menschenrechtslage explizit keine Exportgenehmigung. Warum dennoch allein 1.924 der Gewehre in Polizeibehörden dieses Bundeslandes landeten, sollte eigentlich die Stuttgarter Staatsanwaltschaft klären. Denn schon im April 2010 hatte der Pazifist Jürgen Grässlin Anzeige gegen das Unternehmen gestellt. Doch bis heute haben die Strafverfolger keine Anklage erhoben. Aussagen aus einem anderen Verfahren verweisen darauf, dass H & K-Mitarbeiter Exportpapiere gefälscht haben, um einen widerrechtlichen Verbleib zu vertuschen. Für Grässlins Anwalt, Holger Rothbauer, sind die jetzt aufgetauchten G36 ein „weiterer trauriger Beweis“ dafür, dass H & K gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen hat. „Ich erwarte, dass nun bald das Strafverfahren beim Stuttgarter Landgericht eröffnet wird.“

Schon 2011 trugen Polizisten in Guerrero die G36 im Einsatz gegen Studenten derselben pädagogischen Fachschule. Damals töteten Polizeikugeln zwei Lehramtsanwärter. Mit welcher Waffe geschossen wurde, ist bis heute nicht geklärt.