Der unheimliche Trend

STADTEXKURSION Heute ist alles Job, selbst das Einkaufen. Zumal wenn es um eine auf Nachhaltigkeit orientierte Warenwelt geht. Ein Spaziergang mit dem Konsumsoziologen Ragnar Karl Willer durch Mitte

Wo man auf Nachhaltigkeit treffen kann, ist erstaunlich – etwa bei Fitnessgeräten

VON BRIGITTE WERNEBURG

Dass zur Stadt ganz wesentlich der Konsum gehört, das wurde uns gerade durch die Unruhen und Plünderungen in London und anderen britischen Metropolen deutlich vor Augen geführt. Doch wir wissen es längst. Schließlich haben wir alle unseren Walter Benjamin gelesen. Allerdings, seitdem er durch Pariser Passagen und Warenhäuser flanierte, hat sich vieles geändert.

Heute gibt es keine Muße mehr. Heute ist alles Job. Deshalb lassen wir uns professionell durch die Stadt und ihren Konsum führen. Flanieren als Job: Das nennt sich dann Trendwalk. Ragnar Karl Willer und seine Agentur Oc Eo bieten solche Spaziergänge durch eine ganze Reihe von internationalen Städten an. Zielgruppe sind reflektierte Marketingleute, denen bewusst ist, wie weit von der Realität entfernt sie oft planen und organisieren. Der Konsumsoziologe und Ostasienspezialist hat an der Humboldt-Universität mit einer Untersuchung zum Konsumverhalten in Indonesien promoviert, am Beispiel eines für verschleierte Musliminnen geschaffenen Shampoos.

Am vergangenen Freitag hatten nun Kati Drescher und Nadine Valencic vom EcoShowroom – Motto: Genügsamkeit und Luxus – seine Expertise angefordert. Ihre Kunden stammen aus dem Bio-Bereich. Knapp zehn Leute machten sich zu einem Streifzug durch die am Gebot der Nachhaltigkeit orientierte Warenwelt in Berlin Mitte auf.

Bio ist Trend. Das ist uns allen klar. Was mir bislang aber nicht klar war und worüber erst der Spaziergang aufklärte: Es herrscht, zugespitzt gesagt, panische Angst vor Bio. Bio steht weiterhin, konkret wie symbolisch, unter dem Verdacht eines Mangels an Geschmack. Wirklich geworben wird mit dem Aspekt von Bio jedenfalls nicht, auch nicht bei „Efa’s Frozen Yogurt“ in der Weinbergstraße. Die kalorienarme Alternativ-Eiskrem besteht aus zertifiziertem Biojoghurt mit minimalem Fettgehalt, der mit Agavensaft gesüßt und in einer Brandenburger Molkerei hergestellt wird. Sämtliche Rohstoffe, etwa die Toppings, stammen aus biologischem Anbau. Trotzdem wird darauf nur im Kleingedruckten hingewiesen, aus Sorge, die Kunden fürchteten einen Geschmacksverlust, wie der Mitbegründer von Ffa’s, Paul Claudius, bekennt.

Ähnlich sieht es bei „Pappa e Ciccia“ aus, einem bio-zertifizierten Restaurant in der Schwedter Straße, das italienische Küche mit Zutaten aus der Region anbietet. Auch hier wird das Bio-Argument eher klein gefahren. Vielleicht liegt das auch daran: „Pappa e Ciccia“ startete zunächst als konventionelles Restaurant, das Konzept von Regionalität und Bioprodukten wurde erst im Lauf der Zeit entwickelt.

Wo man sonst noch auf Nachhaltigkeit treffen kann, ist dann doch erstaunlich. Etwa bei Fitnessgeräten der italienischen Firma TechnoGym, deren Produkte zu über 95 Prozent aus recycelbaren Materialien (Kunststoffe und Metall) gefertigt sind, ohne Chromverzierung auskommen und stattdessen mit lösungsmittelfreien Farben lackiert werden. Dazu sind die Elektro- und Elektronikteile frei von Schwermetallen wie Blei, Quecksilber, Cadmium. Ihre Energie beziehen die Geräte durch das Training des Nutzers an der jeweiligen Maschine. Aber auch „Das Trainingslager“, ein auf Personal Training spezialisiertes Fitnessstudio in der Rosa-Luxemburg-Straße, betont die spezifische Umweltfreundlichkeit ihrer TechnoGym-Geräte nicht. Die Klientel, davon geht man aus, weiß es sowieso.

Trotzdem, ein wenig scheint es schon so, als ob den Trendsettern ihr Anliegen etwas unheimlich wäre, so wenig Aufhebens machen sie darum. Manchmal ist es freilich auch schwer, Aufheben um den Clou an der Sache zu machen. Ganz nebenbei erfährt man dann, dass das merkwürdig schnieke Haus in der Gormann-, Ecke Mulackstraße architektonisch besehen ein kleiner Geniestreich ist. Denn dadurch, dass die Wohneinheiten nach dem Townhausprinzip über alle Stockwerke konzipiert wurden, gibt es für die Bewohner sehr viel mehr Licht und Luft, als es im Fall von Etagenwohnungen auf dem von zwei Brandmauern umstellten Grundstück mit Nordsicht möglich gewesen wäre.

Wer hier wohnt, kann sich es dann auch leisten, seine Inneneinrichtung von „Green Living“ in der Kulturbrauerei planen zu lassen. Um diese Dienstleistung, die Kernkompetenz von „Green Living“, sinnfälliger zu machen, pflegt man den Showroom, in dem der Kunde konkretes Mobiliar finden kann. Ähnlich agiert Stilrad, das seit ein paar Wochen in seinem Berliner Ausstellungsraum in der Rosa-Luxemburg-Straße seine Lifestyle-Fahrräder inszeniert. Hier kann man riemengetriebene Fahrräder aus Magdeburg bewundern und Retrovelos aus Leipzig, die man dann online bei Stilrad ordern kann, auch als Personal Edition, also ganz nach den eigenen Wünschen und Bedürfnissen konzipiert. Dass die Räder aus Deutschland, Italien, Holland und Dänemark stammen, ist Konzept. Kurze Wege als Beitrag zur Nachhaltigkeit.