Die gute Cola

GEWISSEN Das amerikanische Coca-Cola-Imperium hat sich nicht nur um den Weihnachtsmann verdient gemacht*, sondern stand lange auch für einen Lebensentwurf**. Heute ist Coca-Cola die Inkarnation des Imperialismus, bewusste Menschen trinken andere Marken – und davon gibt es eine Menge ➤ Schwerpunkt SEITE 43–45

VON SABINE SCHÖNFELDT

Bei uns zu Hause gab es keine Coca-Cola. Auch nicht die Bravo. Die las ich bei meiner Freundin Birgit. Deren Mutter war in keiner Partei und Gastwirtin. Über Cola wusste sie Bescheid. Wenn ich nach der Schule zu Birgit ging, freute ich mich, denn das bedeutete, dass wir in der leeren Gaststätte „Alkohol trinken“ spielen, die Bravo oder die Bild lesen und Dinge essen durften wie Schmorrippchen mit Kartoffelbrei in brauner Soße. Und dazu gab es Cola. Meine Erinnerung sagt mir, dass es Pepsi- und nicht Coca-Cola war. Voller Spannung fragte mich Birgit, ob ich wüsste, was passiert, wenn man über Nacht ein Stück Fleisch in eine Schale mit Cola legen würde. Woher sollte ich das wissen? Zu Hause sprachen meine Eltern über Ulrike Meinhof, den Vietnamkrieg und Willy Brandt, aber nicht über Cola. Am nächsten Morgen sei das Stück Fleisch weg, behauptete Birgit. Wir probierten es aus. Nach drei Tagen lag das Fleischstück immer noch da und hatte eine bräunliche Färbung angenommen.

Meine Eltern lasen die Frankfurter Rundschau und waren in der SPD. Die Grünen gab es noch nicht. Ich habe mich nicht gefragt, warum es bei uns keine Cola gab. Es gab sie einfach nicht. Es gab auch nicht Mars oder Snickers. Ich wusste, dass das nichts mit Gesundheit zu tun hatte. Gesundheit war kein Wert, ganz zu schweigen von Sport, der einen schlechten Ruf genoss, „Trimm dich“ oder „Turnen“ hieß. „Sport ist Mord“, vertrat meine Mutter, Churchill hätte das auch so ähnlich gesagt. Meine Mutter rauchte „Kim“, mein Vater „Rothändle“ oder „Reval“. Ich von eins bis 14 alle Marken „passiv“, ab 14 dann „Schwarzer Krauser“ aktiv. 20 am Tag.

Ich hatte ein komisches Gefühl, wenn ich unter Leuten war, die Cola tranken. Sie schienen mir ungebildet und unpolitisch. War man politisch, trank man keine Cola. Man trank Tee oder Kaffee, aber keine Cola, jedenfalls nicht pur. Cola Whisky war ganz verpönt, Cuba Libre dagegen ging. Wobei ich mich heute frage, ob sich das „libre“ auf die Freiheit durch oder von den USA bezog.

Das Unpolitische war das Böse, das Verachtenswerte. Unpolitisch war man immer zugunsten der Rechten, das sog ich mit der (von Nikotin und Rotwein durchzogenen) Muttermilch auf.

Unpolitisch war auch die Tierliebe. Noch schlimmer der Tierschutz. Tierschutz hatte einen sehr unpolitischen Geruch. Dennoch sahen meine Mutter und ich uns die Unterwasserfilme von Jacques Cousteau an. Möglicherweise, weil Unterwassertiere damals aus irgendeinem, mir noch nicht klarem Grund weniger Tierliebe provozierten. Die Tierliebe muss – wie das Unpolitische – inzwischen stark zugenommen haben, dachte ich, als ich kürzlich wieder einen Cousteau-Film sah. Darin tötet Cousteau einen Wal. Einfach so. Ohne großen Kommentar.

Meine Mutter zog ihre Energie daraus, nicht mit der Zeit zu gehen. Vielleicht entstand auf diese Weise ihre späte Sympathie für Coca-Cola. Ihr verteertes, verächtliches Lachen für all die Neuerungen in Sachen Ernährung ist mir noch gut in den Ohren. Den Kohlehydrate- und Eiweiß-Diskurs verweigerte sie, schwor als alte Dame stattdessen auf einen Ernährungsmix aus Kaffee, Agiolax, Weißmehl, Rotwein und Zigaretten, fuhr gern Auto und qualmte dabei. Im Radio NDR 2, die Lüftung am Anschlag, halb blind und taub verpestete sie mit aufheulendem Motor die Umwelt auf eine Weise, die zeigte, was sie von ihr hielt. Ich glaube, in dieser Zeit fand ich hin und wieder auch eine 0,5-Liter-Plastikflasche Cola in ihrem Kühlschrank oder der Handtasche. Daneben ein angebissenes Wienerwürstchen in gewachstem Papier.

Es muss auch in dieser Zeit gewesen sein, als sie unserem Sohn eine Fanta anbot. Ich erklärte, dass er lieber Bionade (damals noch nicht vom Großkonzern aufgekauft) trinke. Sie fand uns verwöhnt und in der Getränkewahl spitzfindig. Cola und Fanta wurden hier endgültig zu Verbündeten.

Dabei verdankt sich die Ausdifferenzierung der Brausen doch gerade auch einem politischen Bewusstsein. Als in der Grundschule unseres Sohnes Sponsoren für ein Wettrennen der Erst- bis Drittklässler gesucht wurden, schlug eine Mutter auf einer Elternversammlung Fanta und Cola vor. Ja, gute Idee, sagte eine andere Mutter. Geraune im Mehrzweckraum, das ginge gar nicht. Keine Konzerne. Wir sollten die Ansässigen unterstützen. Biozisch. Ich erzählte das meiner Mutter. Aber das verbesserte ihre Beziehung zur Brausenvielfalt nicht. Irgendwas daran fand sie falsch. Was, sagte sie nicht.

Ich glaube, sie hat recht. Aber ich weiß nicht genau, warum. Es ist alles da und alles gut, ja. Nur habe ich kein gutes Gefühl dabei. Erst recht nicht mit unserem Sohn. Aber dann höre ich von der Ali-Cola, die im Nu mein Herz erobert. Das nenne ich eine politische Cola. Eine Integrationscola. Gegen die Sarrazin’sche Vererbungstheorie. Ich würde meiner Mutter zu gern davon erzählen. Aber das geht nicht mehr. Inzwischen ist sie gestorben. Ihre Todesart war in gewisser Weise auch politisch, denke ich, ein Statement gegen die Überbewertung des Lebens. Nach einer Darm-OP bestand sie trotz Warnung auf Kaffee, Zigaretten und Agiolax und kriegte eine Schwester rum. Mit dieser gewissen Haltung, die es albern findet, wenn man der Gesundheit einen Großteil seiner Lebensqualität- und -zeit opfern soll. Was ist schon ein Leben, wenn man nicht mehr darf, was man gern macht? Die OP-Wunde platzte vor lauter Trotz, der wie ein Ausrufungszeichen das Leben meiner Mutter beendete.

Sie hatte recht, oder? Ich bin mir nicht sicher, woher mein tiefes, unartikulierbares Verständnis für ihr Denken rührt. Erziehung? Kinderliebe? Oder gibt es an dieser Verachtung für unsere streng vertretene Brausenvielfalt etwas Richtiges? Was könnte falsch sein an dem Guten, den Fritz-Colas, den Mate-Drinks und Biozischs? Dass sie ein richtiges Leben im falschen suggerieren? Die Brausen haben so schöne Namen, ja, hinter ihnen stehen keine Riesenkonzerne, ja, sie sorgen sich um Nachhaltigkeit, ja. Aber was ist mit dem schönen Bösen? Wo ist es geblie-ieben? Ist es das, was meiner Mutter immer mehr fehlte? Und was vielleicht ihre späte Sympathie für die Coca-Cola-Plastikflasche begründete? Was etwa so lange gedauert hat wie die Einführung der Coca-Cola im sowjetischen Raum. Zu Sowjetzeiten war es nur der Pepsi vergönnt, sich dortauszubreiten. Ein Dorn im Fleisch der Coca-Cola-Geschichte. Aber das macht nichts mehr. Coca-Cola gibt es heute weltweit. Nur zwei Länder sind noch stärker als meine Mutter: Nordkorea und Kuba. Hier darf immer noch keine Cola getrunken werden. Aber vielleicht schafft’s der klebrig süße Sprudel ja auch dort, wenn das kapitalistisch Böse so anachronistisch geworden ist, dass man es vermisst.

Die gute Cola
GEWISSEN Das amerikanische Coca-Cola-Imperium hat sich nicht nur um den Weihnachtsmann verdient gemacht*, sondern stand lange auch für einen Lebensentwurf**. Heute ist Coca-Cola die Inkarnation des Imperialismus, bewusste Menschen trinken andere Marken – und davon gibt es eine Menge ➤ Schwerpunkt SEITE 43–45

VON SABINE SCHÖNFELDT

Bei uns zu Hause gab es keine Coca-Cola. Auch nicht die Bravo. Die las ich bei meiner Freundin Birgit. Deren Mutter war in keiner Partei und Gastwirtin. Über Cola wusste sie Bescheid. Wenn ich nach der Schule zu Birgit ging, freute ich mich, denn das bedeutete, dass wir in der leeren Gaststätte „Alkohol trinken“ spielen, die Bravo oder die Bild lesen und Dinge essen durften wie Schmorrippchen mit Kartoffelbrei in brauner Soße. Und dazu gab es Cola. Meine Erinnerung sagt mir, dass es Pepsi- und nicht Coca-Cola war. Voller Spannung fragte mich Birgit, ob ich wüsste, was passiert, wenn man über Nacht ein Stück Fleisch in eine Schale mit Cola legen würde. Woher sollte ich das wissen? Zu Hause sprachen meine Eltern über Ulrike Meinhof, den Vietnamkrieg und Willy Brandt, aber nicht über Cola. Am nächsten Morgen sei das Stück Fleisch weg, behauptete Birgit. Wir probierten es aus. Nach drei Tagen lag das Fleischstück immer noch da und hatte eine bräunliche Färbung angenommen.

Meine Eltern lasen die Frankfurter Rundschau und waren in der SPD. Die Grünen gab es noch nicht. Ich habe mich nicht gefragt, warum es bei uns keine Cola gab. Es gab sie einfach nicht. Es gab auch nicht Mars oder Snickers. Ich wusste, dass das nichts mit Gesundheit zu tun hatte. Gesundheit war kein Wert, ganz zu schweigen von Sport, der einen schlechten Ruf genoss, „Trimm dich“ oder „Turnen“ hieß. „Sport ist Mord“, vertrat meine Mutter, Churchill hätte das auch so ähnlich gesagt. Meine Mutter rauchte „Kim“, mein Vater „Rothändle“ oder „Reval“. Ich von eins bis 14 alle Marken „passiv“, ab 14 dann „Schwarzer Krauser“ aktiv. 20 am Tag.

Ich hatte ein komisches Gefühl, wenn ich unter Leuten war, die Cola tranken. Sie schienen mir ungebildet und unpolitisch. War man politisch, trank man keine Cola. Man trank Tee oder Kaffee, aber keine Cola, jedenfalls nicht pur. Cola Whisky war ganz verpönt, Cuba Libre dagegen ging. Wobei ich mich heute frage, ob sich das „libre“ auf die Freiheit durch oder von den USA bezog.

Das Unpolitische war das Böse, das Verachtenswerte. Unpolitisch war man immer zugunsten der Rechten, das sog ich mit der (von Nikotin und Rotwein durchzogenen) Muttermilch auf.

Unpolitisch war auch die Tierliebe. Noch schlimmer der Tierschutz. Tierschutz hatte einen sehr unpolitischen Geruch. Dennoch sahen meine Mutter und ich uns die Unterwasserfilme von Jacques Cousteau an. Möglicherweise, weil Unterwassertiere damals aus irgendeinem, mir noch nicht klarem Grund weniger Tierliebe provozierten. Die Tierliebe muss – wie das Unpolitische – inzwischen stark zugenommen haben, dachte ich, als ich kürzlich wieder einen Cousteau-Film sah. Darin tötet Cousteau einen Wal. Einfach so. Ohne großen Kommentar.

Meine Mutter zog ihre Energie daraus, nicht mit der Zeit zu gehen. Vielleicht entstand auf diese Weise ihre späte Sympathie für Coca-Cola. Ihr verteertes, verächtliches Lachen für all die Neuerungen in Sachen Ernährung ist mir noch gut in den Ohren. Den Kohlehydrate- und Eiweiß-Diskurs verweigerte sie, schwor als alte Dame stattdessen auf einen Ernährungsmix aus Kaffee, Agiolax, Weißmehl, Rotwein und Zigaretten, fuhr gern Auto und qualmte dabei. Im Radio NDR 2, die Lüftung am Anschlag, halb blind und taub verpestete sie mit aufheulendem Motor die Umwelt auf eine Weise, die zeigte, was sie von ihr hielt. Ich glaube, in dieser Zeit fand ich hin und wieder auch eine 0,5-Liter-Plastikflasche Cola in ihrem Kühlschrank oder der Handtasche. Daneben ein angebissenes Wienerwürstchen in gewachstem Papier.

Es muss auch in dieser Zeit gewesen sein, als sie unserem Sohn eine Fanta anbot. Ich erklärte, dass er lieber Bionade (damals noch nicht vom Großkonzern aufgekauft) trinke. Sie fand uns verwöhnt und in der Getränkewahl spitzfindig. Cola und Fanta wurden hier endgültig zu Verbündeten.

Dabei verdankt sich die Ausdifferenzierung der Brausen doch gerade auch einem politischen Bewusstsein. Als in der Grundschule unseres Sohnes Sponsoren für ein Wettrennen der Erst- bis Drittklässler gesucht wurden, schlug eine Mutter auf einer Elternversammlung Fanta und Cola vor. Ja, gute Idee, sagte eine andere Mutter. Geraune im Mehrzweckraum, das ginge gar nicht. Keine Konzerne. Wir sollten die Ansässigen unterstützen. Biozisch. Ich erzählte das meiner Mutter. Aber das verbesserte ihre Beziehung zur Brausenvielfalt nicht. Irgendwas daran fand sie falsch. Was, sagte sie nicht.

Ich glaube, sie hat recht. Aber ich weiß nicht genau, warum. Es ist alles da und alles gut, ja. Nur habe ich kein gutes Gefühl dabei. Erst recht nicht mit unserem Sohn. Aber dann höre ich von der Ali-Cola, die im Nu mein Herz erobert. Das nenne ich eine politische Cola. Eine Integrationscola. Gegen die Sarrazin’sche Vererbungstheorie. Ich würde meiner Mutter zu gern davon erzählen. Aber das geht nicht mehr. Inzwischen ist sie gestorben. Ihre Todesart war in gewisser Weise auch politisch, denke ich, ein Statement gegen die Überbewertung des Lebens. Nach einer Darm-OP bestand sie trotz Warnung auf Kaffee, Zigaretten und Agiolax und kriegte eine Schwester rum. Mit dieser gewissen Haltung, die es albern findet, wenn man der Gesundheit einen Großteil seiner Lebensqualität- und -zeit opfern soll. Was ist schon ein Leben, wenn man nicht mehr darf, was man gern macht? Die OP-Wunde platzte vor lauter Trotz, der wie ein Ausrufungszeichen das Leben meiner Mutter beendete.

Sie hatte recht, oder? Ich bin mir nicht sicher, woher mein tiefes, unartikulierbares Verständnis für ihr Denken rührt. Erziehung? Kinderliebe? Oder gibt es an dieser Verachtung für unsere streng vertretene Brausenvielfalt etwas Richtiges? Was könnte falsch sein an dem Guten, den Fritz-Colas, den Mate-Drinks und Biozischs? Dass sie ein richtiges Leben im falschen suggerieren? Die Brausen haben so schöne Namen, ja, hinter ihnen stehen keine Riesenkonzerne, ja, sie sorgen sich um Nachhaltigkeit, ja. Aber was ist mit dem schönen Bösen? Wo ist es geblie-ieben? Ist es das, was meiner Mutter immer mehr fehlte? Und was vielleicht ihre späte Sympathie für die Coca-Cola-Plastikflasche begründete? Was etwa so lange gedauert hat wie die Einführung der Coca-Cola im sowjetischen Raum. Zu Sowjetzeiten war es nur der Pepsi vergönnt, sich dortauszubreiten. Ein Dorn im Fleisch der Coca-Cola-Geschichte. Aber das macht nichts mehr. Coca-Cola gibt es heute weltweit. Nur zwei Länder sind noch stärker als meine Mutter: Nordkorea und Kuba. Hier darf immer noch keine Cola getrunken werden. Aber vielleicht schafft’s der klebrig süße Sprudel ja auch dort, wenn das kapitalistisch Böse so anachronistisch geworden ist, dass man es vermisst.

* Coca-Cola hat den Weihnachtsmann mit rotem Mantel, Mütze und weißem Bart nicht erfunden, aber seit den 1930er-Jahren durch Werbekampagnen populär gemacht. Davor gab es ihn in vielen anderen Ausführungen, etwa mit blauem Gewand oder in Bischofskleidung mit dazugehöriger Mütze.

** Im sogenannten Cola-Krieg kämpften Coca-Cola und Pepsi-Cola um die Vorherrschaft auf dem Weltmarkt. Politisch unterstützte Coca-Cola dabei die Demokraten, die wiederum etwa in Gestalt von Jimmy Carter Coca-Cola bei der Expansion in China halfen. Pepsi dagegen war mit den Republikanern verbandelt. Als der spätere US-Präsident Richard Nixon 1959 die US-amerikanische Nationalausstellung in Moskau besuchte, führte er Kreml-Chef Nikita Chruschtschow an einen Pepsi-Stand, wo Chruschtschow prompt ein Pappbecher mit dem Getränk in die Hand gedrückt wurde.