Straßenrand zu Buschland!

WAHLPROGRAMME (4) Die FDP träumt vom Wollen. Sie will Cluster, Gentrifizierung und Studiengebühren. Gleichzeitig will sie keine Vorratsdatenspeicherung, weniger Spielhallen und Umweltzonen, dafür mehr Büsche

■ „Die DKP kämpft Tag und Nacht“ von Jörg Sundermeier (19. 8.): Sie haben die richtigen Argumente, aber Lokalpolitik machen wollen sie nicht.

■ „Die sind allen anderen voraus“ von Detlef Kuhlbrodt (12. 8.) über die CDU: Das 100-Punkte-Programm liest man wie einen Roman und stellt fest, dass die Zeit der Dämonisierungen vorbei ist.

■ „Die Arbeit kommt zuerst“ von Cord Riechelmann (5. 8.) zum SPD-Programm: Die SPD träumt weiter den Traum von der Vollbeschäftigung.

VON DAVID WAGNER

Was dem an die Lektüre des Genre Wahlprogramm nicht gewöhnten Leser sofort auffällt: die penetrante Rhetorik des Wollens. Auf 41 der 48 Seiten der durchgehend mit „Die richtigen Antworten“ untertitelten Flugschrift der FDP findet sich sieben-, acht- oder neunmal das Verb „wollen“. Wir wollen dies, wir wollen das, strampelt der Text immer wieder. In seiner plumpen Indezenz liest sich das wie der Wunschzettel eines Kleinkinds. Bezeichnend allerdings, dass es gerade da, wo es sehr konkret wird, heißt: „Hochschulen sollen die Möglichkeit erhalten, nachgelagerte Studienentgelte bis zu einer Höhe von 500 Euro je Semester zu erheben“ – und nicht „Wir wollen Studiengebühren.“

Über eine sehr ungeschickte Metapher muss man sich im folgenden Satz wundern: „Das langsame Ausbluten der Gymnasien, gerade auch durch unterlassene Unterhaltungs- und Baumaßnahmen, darf nicht weitergehen.“ Das Gymnasium soll also nicht geschächtet werden?

Auch das akademische Modewort Cluster hat Eingang in das Wahlprogramm der FDP gefunden: „Wir wollen Ansiedlungsaktivitäten auf die vorhandenen Cluster Berlins konzentrieren. […] Neue Cluster können nicht beliebig durch ‚die Politik‘ herbeigeredet werden.“ Tatsächlich, da steht „die Politik“ in Anführungszeichen. Hat da Politikverdrossenheit („herbeireden“) in ein Wahlprogramm gefunden? Glauben FDP-Politiker wirklich, etwas anderes als Politik machen zu können?

Überhaupt nicht überraschend: die Position der FDP zu den Unternehmensbeteiligungen des Landes Berlin. Da gilt der Grundsatz, die „öffentliche Hand hat sich nicht als Wettbewerber am Markt unternehmerisch zu betätigen“. Nun brauchten Anhänger dieser Lehre in den letzten Jahren nicht FDP zu wählen, das vielzitierte Berliner Tafelsilber wurde auch ohne Mitwirken der Ex-Pünktchen-Partei großzügig verteilt. „Entschieden abgelehnt“ aber wird die „Re-Kommunalisierung bereits privatisierter Betriebe“. Mit der FDP gäbe es also weiter teuerstes Wasser.

In seiner plumpen Indezenz liest sich das wie der Wunschzettel eines Kleinkinds

„Bau und die Verwaltung von Wohnimmobilien“, sprich sozialer Wohnungsbau, sieht die FDP nicht als „Aufgabe des Staates“. Das verwundert nicht. Stattdessen heißt es unverblümt: „Wir wollen, dass bedeutende und ambitionierte Projekte in Bau und Architektur (z. B. Stadtschloss, Mediaspree, […] als Leuchttürme der Entwicklung einer attraktiven, lebenswerten und zukunftsfähigen Metropole entstehen.“ Ja, die FDP träumt noch den Metropolentraum. Ist die FDP die Welthauptstadtpartei? Jedenfalls will sie ein neues Berlin: „Die Revitalisierung und Aufwertung von Stadtteilen, die manche als ‚Gentrifizierung‘ verunglimpfen, darf nicht verhindert, sondern muss zugelassen und sogar befördert werden.“ Und ja, es finden sich auch geschichtsphilosophische Perlen im Programm: „Aus Stagnation ist noch nie Aufregendes und Neues hervorgegangen.“ Das klingt nicht lediglich antikonservativ, das klingt beleibe schon beinahe revolutionär. Eine nicht unsympathische Forderung lautet: „Wir wollen der in einigen Bereichen unserer Stadt bestehenden Spielhallenhäufung […] entgegenwirken.“ Aber steht nicht gerade dieses Anliegen quer zum liberalen Credo von der Eigenverantwortlichkeit des Bürgers? Ist der nun doch nicht mündig genug, selbst zu entscheiden, ob er eine Spielhalle besucht oder nicht? Heißt es nicht, „liberale Politik bedeute, auf die Verantwortlichkeit und die Initiative des Einzelnen zu setzen“?

„Betrug, Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit und Leistungserschleichung werden wir stärker und konsequenter bekämpfen. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein!“ Ja, schön gepoltert. Da wackelt der Stammtisch vom Ausrufezeichen. Ob dieses Versprechen auch den FDP-Wählern gefällt, deren Daten sich auf Liechtensteiner Steuerhinterziehungs-CDs finden? Immerhin, die FDP lehnt „verdachts- und anlassunabhängige Überwachung“ und die „Vorratsdatenspeicherung“ ab. Richtig lustig wird es dann zum Schluss: „Zur Bekämpfung der Feinstaubbelastung wollen wir Büsche entlang der Straßen pflanzen, die den Feinstaub binden. Dies ist weit sinnvoller als die wirkungslose sogenannte ‚Umweltzone‘.“ Tolle Idee! Und wo bitte sollen diese Büsche angepflanzt werden? Auf den Radwegen vielleicht? Oder den Parkplätzen am Straßenrand? Will die FDP öffentliche Parkplätze zu Grünflächen machen? Straßenrand zu Buschland? Das ist aufregend! So mutig ist keine andere Partei.

■ Im September erscheint im Verbrecher Verlag von David Wagner „Welche Farbe hat Berlin?“