Selbst ist der Versuch

EIGENBEHANDLUNG Dem Stuhlgang lauschen, den Schlaf überwachen, dem Hirn Stromschläge verpassen – immer mehr Menschen therapieren und optimieren sich selbst. Dabei folgen sie dem bewährten Trial-and-Error-Prinzip. Eine Auswahl beliebter Methoden

VON MARIA ROSSBAUER
UND ALEXANDRA STOBER

Menschen, die ihrem Gehirn Stromschläge verpassen, die ihrer Kacke lauschen und jeden kleinsten ihrer Schritte aufzeichnen, wirken auf den ersten Blick wie Spinner. Es sind Menschen, die ihren Körper detailliert untersuchen oder sich um dessen Verbesserung bemühen. Aber Selbstversuche sind so alt wie die Menschen selbst.

Damals vor ein paar Millionen Jahren schob der Mensch Pflanzen, Früchte und Kräuter in sich hinein, jagte kleine und große Tiere und lutschte an Sand herum. Manches war gesundheitlich so suboptimal, dass der Tester starb und die dafür verantwortlich gemachten Kräuter oder Früchte von Experimentbeobachtern gemieden wurden.

Sachen, von denen der Tester Schweißausbrüche, Juckreiz oder Magenprobleme bekam, merkten sich die Menschen ebenfalls, denn ihnen wurde klar, dass sie die Funktionen ihres Körpers beeinflussen können. Nach dem Trial-and-Error-Prinzip wurde so über Jahrtausende hinweg immer mehr gutes Zeug entdeckt: Pflanzen, die beruhigend auf entzündete Haut oder einen geschundenen Magen wirkten und in Form von Wickeln, Cremes oder Aufgüssen noch viel wirksamer waren. Irgendwann wurde das Wissen über Heilendes zusammenzutragen. Eines der ältesten medizinischen Nachschlagewerke, das Papyrus Ebers aus dem 16. Jahrhundert v. Chr., enthielt schon um die 800 medizinische Rezepte.

Doch bei den Selbsttests ging es nie nur um Krankheitsbekämpfung. Es ging immer auch darum, wie man den Körper noch ein wenig aufbrezelt. Die Inkas fanden Pilze, von denen sie schräge Gedanken bekamen, sie aßen sie genauso gern, wie die Menschen in der Gegend des heutigen Äthiopien den Aufguss aus den Kaffeefrüchten tranken. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass beim Kaffee schon die ersten Tierversuche im Spiel waren. Hirten hatten einer Legende nach Ziegen beobachtet, die nach dem Verzehr dieser bunten Kirschen die ganze Nacht herumhüpften.

Die Do-it-yourself-Mentalität riss auch in Zeiten nicht ab, als Ärzte flächendeckend, zumindest in den westlichen Ländern, ständig zur Verfügung standen. 1965 konnte man das noch gut an der Hausapotheke sehen. In diesem Jahr zeigte eine Studie in den USA, dass nur ein Viertel aller Medikamente, die sich Menschen besorgten, von einem Arzt verschrieben wurde.

2014 lässt sich die Zahl derjenigen, die sich selbst behandeln, ohne zum Arzt zu gehen, eher an Gesundheits-Apps, Googles virtueller Sprechstunde oder der Plattform Crowdmed, die Diagnosen für schwierige Fälle erstellt, ablesen. Und warum tun sie das? Der Medizinhistoriker Chauncey D. Leake schrieb dazu in seinem Artikel „The History of Self-Medication“: „Menschen wollten sich schon immer und überall in erster Linie um sich selbst kümmern, wenn es ihnen nicht gut geht.“ MRO