Lego-Baukasten für Biologen

Zuerst ging es nur um die genetische Optimierung von Mikroben, Pflanzen und Tieren. Mit der synthetischen Biologie wird jetzt versucht, Lebewesen neu zu konstruieren. Sie sollen zur kostengünstigen Produktion von Wirkstoffen eingesetzt werden

„Wir arbeiten jetzt an einer Programmiersprache für die Biologie“

VON KARL HÜBNER

Die lebende Natur lediglich beschreiben? Das war gestern. Inzwischen arbeitet die Biologie auch an der gezielten Herstellung von Leben. Synthetische Biologie heißt die Disziplin, die manches verheißt, aber auch Kritiker hat. Es geht dabei nicht – jedenfalls noch nicht – um die maßgeschneiderte Konstruktion höherer Lebewesen. Im Fokus stehen derzeit allenfalls Einzeller, die man mit ganz bestimmten Eigenschaften ausstatten möchte.

Ein Beispiel dafür sind etwa Mikroben, die Pharmawirkstoffe nach Maß herstellen. Damit sie das tun, versucht man, das Erbgut der Einzeller so zu verändern, dass sie die gewünschte Substanz produzieren.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich das noch nicht von dem, was auch die klassische Gentechnik antreibt. Doch während Gentechnik bestimmte Gene in bestehende Organismen einschleust, geht es der synthetischen Biologie um etwas viel Fundamentaleres: um „das Entwerfen und Konstruieren (neuer) biologischer Bauteile, Bauteilgruppen und Systeme sowie um das Überarbeiten (Redesign) existierender natürlicher biologischer Systeme für nützliche Zwecke“. So lautet die Definition jener US-Wissenschaftler aus Berkeley, Harvard und vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), die vor einigen Jahren die synthetische Biologie namentlich aus der Taufe hoben und 2004 auch einen ersten Kongress ausrichteten.

Zu den Gründern zählt der Computerwissenschaftler Tom Knight vom MIT, der in den 90er-Jahren nach neuen Herausforderungen Ausschau hielt, „weil im Umfeld elektronischer Schaltungen ein Ende der Weiterentwicklung absehbar war“, wie er sagt. Knight suchte nach anderen Schaltkreisen mit mehr Entwicklungspotenzial – und entdeckte die lebende Zelle. Heute arbeitet er an einem Baukasten der Biologie. Ziel ist es, Leben auf standardisierte Bauteile zu reduzieren, aus denen es sich dann wiederum neu und auch anders konstruieren lässt. Ähnlich wie ein Elektrotüftler aus standardisierten Kondensatoren, Widerständen oder Transistoren komplexe und immer wieder neue Schaltkreise konstruiert.

Drew Endy, ebenfalls vom MIT, formuliert es so: „Es gibt viele Menschen, die Computerprogramme schreiben, aber nur wenige, die neue Programmiersprachen entwickeln. Wir arbeiten jetzt an einer Programmiersprache für die Biologie.“ Am MIT hat man bereits einen Katalog standardisierter Lebensbauteile angelegt, sogenannter „BioBricks“ (parts.mit.edu). Rund 1.400 Bioteile mit klar zugewiesener Funktionalität sind bereits verfügbar, darunter Gene für einzelne Eiweiße oder bestimmte Bindungsstellen innerhalb der Zelle. Ein „Lego-Baukasten“ für Biologen.

Eine spannende Frage, die die Bioingenieure derzeit umtreibt, ist die nach dem „minimalen Genom“. Wie viele Gene benötigt eine Zelle, um lebensfähig zu sein? Wenn das bekannt wäre, könnte man genau dieses Minimum an Erbmaterial zugrunde legen, bei Bedarf auch synthetisch hergestellt, und dann gezielt bestimmte Zusatzfunktionen einbauen, etwa Gene, die dafür sorgen, dass die Zellen den Energieträger Wasserstoff produzieren. Einmal mit diesem Erbgut ausgerüstet, könnten resultierende Design-Mikroben beliebig vermehrt werden und in Bioreaktoren ihre Arbeit verrichten.

Dieses Ziel verfolgt auch Craig Venter an seinem J. Craig Venter Institute (JCVI) im US-Bundesstaat Maryland. Erst kürzlich machten seine Forscher gleich zweifach Furore: zunächst mit dem Patentantrag für ein synthetisches Bakterium und Ende Juni dann mit einer Publikation im Fachblatt Science. Nach dieser war es gelungen, nackte, also von allen Helferproteinen befreite DNA einer Bakterienart in die Zellen einer verwandten Art einzuschleusen, woraufhin Letztere sich vermehrten und dabei die Eigenschaften der eingeschleusten Gene zeigten.

Die erfolgreiche Umprogrammierung könnte bedeuten, dass künftig das Synthetisieren einer Wunsch-DNA genügt, um diese dann in geeigneten Wirtszellen in definiertes Leben zu übersetzen. Die Produktion von DNA-Sequenzen jedenfalls ist heute schon Routine und wird kommerziell angeboten. Doch noch ist es nicht so weit. Konkrete Zwischenerfolge gibt es beim gezielten Verändern bestehender biologischer Systeme. Ein prominentes Beispiel dazu sind die Arbeiten von Jay Keasling, der an der Universität von Kalifornien in Berkeley Hefezellen durch den Einbau von insgesamt neun Genen dazu brachte, eine Vorstufe des Anti-Malaria-Wirkstoffs Artemisinin herzustellen.

Weil diese therapeutisch nützliche Substanz in der Natur nur begrenzt verfügbar und damit auch teuer ist, hat die Idee, sie in quasi beliebigen Mengen im Bioreaktor produzieren zu können, einen gewissen Charme. Solche plakativen Erfolgsmeldungen sind derzeit jedoch die Ausnahme, und Drew Endy vom MIT empfiehlt dann auch: „Wir brauchen im Moment mehr Grundlagenforschung.“

Massive Bedenken gegen die synthetische Biologie hegt die kanadische „Action Group on Erosion, Technology and Concentration“ (ETC Group). Sie mahnt an, dass eine öffentliche Diskussion des Gefahrenpotenzials überhaupt noch nicht stattfinde, und befürchtet zugleich, dass die Bedrohungen der synthetischen Biologie für Gesellschaft und Umwelt noch größer seien als die Gefahren und der mögliche Missbrauch bisheriger Biotechnologie.

Dass die Forscher selbst sich durchaus mit Sicherheits- und Ethikaspekten ihrer Disziplin befassen, wie jüngst auf dem Kongress Synthetic Biology 3.0 in Zürich zu erleben war, geht der ETC Group nicht weit genug. Weil Selbstkritik naturgemäß nur begrenzt möglich sei, fordern die Kritiker eine breiter angelegte Debatte und eine Regulierung von außen.