Schwindelfrei durch den Wald

Wie fühlt es sich an, zehn Meter über dem Erdboden über Holzpfähle zu balancieren und Baumkronen von oben zu betrachten? Ein Selbstversuch auf dem Waldkletterpfad „TreeTrek“, beaufsichtigt von einem freundlichen Rentner mit Spazierstock

von KARIN CHRISTMANN

Schon nach dem ersten Streckenabschnitt fühle ich mich wie ein glückliches Kind auf dem Abenteuerspielplatz. Auf einem „TreeTrek“ hangele ich mich in luftiger Höhe von Baum zu Baum. Ich balanciere auf schaukelnden Holzpfählen, versuche mit meinen Füßen Steigbügel zu erwischen, krieche durch eine Holzröhre und stürze mich mit einem Springseil in bester Tarzanmanier von einer Plattform hinab in das nächste Kletternetz.

Der TreeTrek ist ein Waldkletterpfad im niedersächsischen Bad Bevensen, zwischen Lüneburg und Uelzen. Auf fünf Abschnitten klettern die Besucher über verschiedene Hindernisse von Baum zu Baum – am Anfang nur einige Meter über dem Erdboden, später immer höher. Nach jedem Abschnitt sause ich auf einer 100 Meter langen Seilbahn zurück zum Waldboden, einmal muss ich in mehr als zehn Metern Höhe abspringen. „Nicht in Richtung Erdboden sehen“, hat mir mein Trainer bei der Einweisung geraten. Wie ich dann die Pfähle und Holzboden sehen soll, auf denen ich im Parcours balancieren muss, hat er nicht verraten. Aber für die Seilbahn ist das genau der richtige Tipp. Statt nach unten schaue ich lieber nach vorne in die grünen Baumkronen, die mir immer schneller entgegenkommen. Dann visiere ich die Landezone an, in der ich in uneleganter Manier auch diesmal wieder durch vollen Körpereinsatz statt durch lässiges Auslaufen abbremse. Nach mir kommt Ingrid Meyer herabgesaust, die sich gerade noch lässig mit dem Tarzanseil in das Kletternetz geschwungen hat.

Zur Hauptzielgruppe von TreeTrek, den jungen Erwachsenen, gehört sie mit ihren 62 Jahren nicht. Und hergekommen ist sie auch hauptsächlich wegen ihrer Enkelinnen Franziska und Patricia. Die Besucher müssen aber weder jung noch durchtrainiert sein. Eine gewisse Grundfitness, versichern die Betreiber, genügt völlig – auch deshalb, weil die Kletterer oft zwischen einer schwierigeren Strecke und einer leichter zu bezwingenden Abkürzung wählen können. Schon während der Gruppeneinweisung hatte mich der Anblick leicht übergewichtiger kleiner Jungen und der offensichtlich fitten, aber über 60-jährigen Ingrid Meyer hoffen lassen, dass ich nicht einsam hinter der Gruppe herhecheln würde.

Und tatsächlich: Auch ich, des übermäßigen Sporttreibens völlig unverdächtig, komme ohne größere Schwierigkeiten durch den Parcours, stelle mich allen schwarz gekennzeichneten, besonders schwierigen Abschnitten und bin danach angenehm erschöpft.

Auch meine bangen Überlegungen, wie hoch meine Chance sein würde, von einem Baum zu plumpsen, sind bald verschwunden: Das Sicherungssystem mit Karabinerhaken ist kinderleicht zu verstehen. Die schlimmste Verletzung, die es unter den bisher rund 40.000 Besuchern gegeben habe, sei eine herausgesprungene Kniescheibe gewesen, erzählt mir Betreiberin Nicola Haase nachher. Die Besucherin habe trotz ihres schon vorher kaputten Knies den Waldkletterpfad ausprobieren wollen. Schwindelfrei sollte allerdings sein, wer sich zehn Meter über dem Waldboden auf die Haken verlassen und sich in seinen Sicherheitsgurt setzen muss, wenn seine Kräfte schwinden. Außerdem müssen Besucher des Waldkletterpfads mindestens zehn Jahre alt und mindestens 1,40 Meter groß sein.

Schnell sind meine Sorgen also vergessen und stattdessen genieße ich den Anblick des Waldes von oben. Da bin ich nicht die Einzige: „Jetzt habe ich keine Angst mehr. Man ist ja gesichert“, sagt ein kleiner Junge, nachdem die ersten Hindernisse überwunden sind. Auf dem Waldboden einige Meter unter uns, auf dem Trimm-Dich-Pfad des Kurörtchens Bad Bevensen, taucht derweil ein freundlich lächelnder Rentner mit Spazierstock auf, der uns staunend bei unseren Kletterbemühungen zusieht.

An anderen Tagen könnte er noch mehr zu sehen kriegen, zum Beispiel am 30. September. Dann nämlich müssen die Teilnehmer des „TreeAthlon“ zunächst Flüssigkeiten über den Parcours transportieren und danach im Flüsschen Ilmenau Kanu fahren sowie – im Bad Bevensener Kurpark – einen Mountainbike-Parcours absolvieren.

TreeTrek in Bad Bevensen hat noch bis zum 31. Oktober täglich außer montags und im November nur noch bei guter Witterung geöffnet. Besucher müssen sich anmelden! Erwachsene zahlen 20, Kinder 15 Euro; für Familien, Gruppen und Schulklassen gibt es Ermäßigungen. Mehr Infos auf www.treetrek.de.