Ferienhäuser und Freizeitboote

Die Schären, die kleinen Inseln vor der schwedischen Küste, sind vor allem im Frühjahr und Herbst reizvoll. Dann kann es allerdings sein, dass man – anders als im Sommer – ganz allein in der Wildnis ist. Ein Inselhopping

Die Schären-Fähren fahren täglich mehrmals in der Innenstadt von Stockholm ab, eine Überfahrt kostet zwischen 80 und 120 Kronen. Es gibt auch 5-Tages-Tickets für 300 Kronen. Für Fahrpläne siehe www.waxholmsbolaget.se und www.cinderellabaterna.com. Viele Jugendherbergen haben nur von Juni bis August geöffnet. Andere nehmen von Mai bis September Gäste auf. Nur wenige werden ganzjährig betrieben (www.svif.se). Die Preise liegen zwischen 140 bis 275 Kronen (umgerechnet 15 bis 30 Euro). Jugendherbergsschlafsack mitbringen, Bettwäsche kostet extra. Alle Herbergen haben Selbstversorgerküchen. Immer fragen, ob es auf der Insel einen Laden gibt, der geöffnet hat. Taschenlampe nicht vergessen, da die meisten Jugendherbergen nur ein Plumpsklo haben. Im Herbst Pilzbuch mitnehmen! Bis in den September hinein sind die Zecken aktiv: Jährlich werden in Schweden rund 130 Fälle von Hirnhautentzündung gezählt, 60 Prozent der Patienten infizieren sich im Raum Stockholm. Eine Impfung wird daher empfohlen.

VON ULRIKE HERMANN

„Geh runter zum Strandvägskaj in Stockholm an einem Sommermorgen und sieh nach, ob dort das kleine weiße Schärenboot Saltkrokan I liegt … Punkt zehn Uhr läutet es zur Abfahrt und lässt den Kai hinter sich, denn nun muss es hinaus auf seine übliche Fahrt, die bei den Inseln am äußersten Rand der Schären endet.“

So beginnt Astrid Lindgrens „Ferien auf Saltkrokan“ und Klein- und Groß-Saltkrokan gibt es tatsächlich. Beide Inseln sind jedoch so winzig, dass dort keine siebenjährige Tjorven mit ihrem Bernhardiner Bootsmann wohnen könnte. Aber es gibt genug andere Schären, wo Apfelbäume ein paar rote Holzhäuser mit weißen Fensterrahmen schützen und überall die glatten, runden Felsen lagern. Wasser, Wälder, Felsen, Boote und farbige Ferienhäuser. Die Stockholmer Schären erstrecken sich über eine Länge von ungefähr 140 Kilometer von Nord nach Süd bei einer maximalen Breite von 70 Kilometer. Sie bestehen aus vorwiegend unbewohnten Inseln. Gelegentlich werden die Schären gezählt – beim letzten Mal waren es rund 30.000. Aber es tauchen noch immer neue Inseln auf, denn die Schären steigen in die Höhe und gewinnen pro Jahrhundert 30 bis 40 Zentimeter.

Die Schneemassen der Eiszeit haben die Granitbrocken in den Untergrund gedrückt, die sich nun langsam wieder befreien. Noch zu Römerzeiten war von den Schären nichts zu sehen; erst im Mittelalter wurden einige Inseln groß genug, damit die Wikinger sie besiedeln konnten. Seither sind nur noch zwei große Invasionen zu vermerken: 1719 setzten sich die Russen auf den Schären fest, um Stockholm zu erobern. Diese Expedition endete nass und erfolglos. Nur diverse „Russenöfen“ blieben im Wald zurück, die inzwischen liebevoll beschildert sind. Sonst wäre auch nicht zu erkennen, dass diese unauffälligen Steinhaufen einst dazu dienten, „das schwere russische Militärbrot herzustellen“. Die Wortwahl lässt ahnen, wie sehr es die Schweden schauert, wenn sie versuchen, sich dieses Nahrungsmittel vorzustellen.

Die zweite Invasion begann mit der Dampfschifffahrt und steigerte sich mit der Erfindung des Motorboots: Besonders im Sommer schwärmen die Stockholmer ein. Die Schären-Stiftung hat inzwischen 50.000 Ferienhäuser und 150.000 Freizeitboote gezählt. Der Krach erinnert gelegentlich an eine Autobahn und hat schon vor Jahrzehnten den Schriftsteller Peter Weiss wahnsinnig gemacht.

Man muss im Herbst oder im Frühjahr kommen. „Die Saison beginnt, wenn alle nach Hause fahren“ heißt eine neue Broschüre einer ebenso neuen Initiative, die sich „geöffnete Schären“ nennt. Akribisch wird aufgezählt, auf welcher Insel wann ein Wirtshaus bemannt ist. Es sind nicht viele. Wenn die Stockholmer im August abreisen, brechen viele Schärenbewohner ihre touristische Teilzeitbeschäftigung einfach wieder ab. Sie schließen ihre Läden und Herbergen, die Fähren fahren oft nur noch zweimal täglich. Die „geöffneten Schären sind leider noch keine Wirklichkeit“, muss denn auch die Broschüre einräumen.

Und so beginnt die Wildnis gleich hinter Stockholm, kaum dass der Sommer vorbei ist. Dann wird schon ein Kurzurlaub zur Expedition, weil alle Lebensmittel mitgebracht werden müssen. Allerdings wissen die Schweden, wie sich Einsamkeit luxuriös gestalten lässt. So ist es üblich, dass selbst Jugendherbergen eine eigene Sauna besitzen. Schlafsäle sind sehr selten, stattdessen werden kleine Hütten für zwei oder vier Personen vermietet, die auch als reguläre Ferienhäuser durchgehen könnten. Kühlschrank, Herd und Elektroheizung sind selbstverständlich, oft findet sich sogar eine Mikrowelle. Nur fließendes Wasser fehlt fast immer. In Schweden scheint es definitionsgemäß zum Naturerlebnis zu gehören, dass man nachts mit einer Taschenlampe zum Plumpsklo stolpern muss.

15 Prozent der Inseln gehören bereits der Schären-Stiftung, die immer neue Jugendherbergen eröffnet. Inzwischen lässt sich mühelos von einer Schäre zur nächsten hüpfen. Zum Beispiel nach Grinda, das typisch für die inneren Schären ist: Kiefern, viel Laubwald, flache Felsen und Badestrände. Gegenüber liegt die Insel Viggsö, die zwar eher unauffällig wirkt, aber die Stockholmer wissen, dass hier die Abba-Welthits komponiert wurden.

Allerdings wissen die Schweden, wie sich Einsamkeit luxuriös gestalten lässt

Gemütlich wirkt auch die nächste Insel Gällnö, wo die alte Dorfschule inzwischen als Jugendherberge dient. Ein paar rote Holzhäuser stehen zwischen Hagebutten, im Herbst sprießen überall Pilze. Fast zwei Stunden weiter liegt Möja, das immerhin so groß ist, dass dort noch 300 Menschen leben. Es gibt sogar einen Konsum, der ganzjährig geöffnet hat, aber auch eine Schule, die Kirche und den Schärendoktor. Die Sandwege eignen sich ideal zum Fahrradfahren, denn der einzig denkbare Gegenverkehr sind die Last-Mopeds, mit denen die Inselbewohner ihre Lebensmittel transportieren und die ihre breite Ladefläche direkt vor dem Lenker haben.

Geradezu mondän dagegen ist Finnhamn: Die Jugendherberge ist in einer riesigen Villa untergebracht, die sich einst ein reicher Kohlehändler aus Stockholm hat errichten lassen. Ihm war nur der höchste Felsen gut genug, und so reicht der Blick weit über die Ostsee und die anderen grünen Inseln. Doch die eigentliche Attraktion ist das kleine Wirtshaus am Hafen, das zu den besten der Schären zählt, wie alle Stockholmer versichern. Sonst gibt es nichts auf Finnhamn, nur Strand und Wald. Wer sich langweilt, kann zur Nachbarinsel Ingmarsö übersetzen, wo im Wartehäuschen am Fähranleger eine kleine Bibliothek eingerichtet wurde. Freizeittauglich stehen dort nur Beststeller. Unbewacht. „In Deutschland wären die längst geklaut!“, murmelt eine Schwäbin beeindruckt.

Zurück nach Stockholm braucht das Schiff fast vier Stunden. Genug Zeit, um so eigenwillige Fährspezialitäten wie Frikadellen-Sandwich mit Rote-Beete-Salat zu probieren und die pausbäckige Tjorven zu beneiden, die Saltkrokan nie verlassen wird.