Basisarbeit gegen Rassismus

In Marzahn marschieren Rechte gegen Flüchtlingsunterkünfte. Was tun außer Blockade? Menschen mit eigener Migrationserfahrung können hier besonders viel bewirken

■ Hellersdorf hilft e. V. Die Initiative kann man auch im Ladenlokal LaLoka in der Schneeberger Straße 17 besuchen hellersdorfhilft.wordpress.com

■ Polis*Bezirkliche Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf. Telefon: (0 30) 99 27 50 96 polis@stiftung-spi.de

■ Babel e. V.Bildung, Beratung, Begegnung. Stephan-Born-Straße 4 haus-babylon.de

Die jüngsten Aufmärsche gegen den Zuzug Geflüchteter in Marzahn-Hellersdorf reihen sich ein in eine bundesweite Welle rassistischer Hetze unter dem Deckmantel von „Bürgerbewegungen“. Das brisante an der Situation #MaHe ist, dass dem Bezirk sein Ruf vorauseilt. „In den 90ern das war schlimm“, erinnert sich eine Anwohnerin und Mutter Schwarzer Kinder. „Damals haben wir uns von unserem Ersparten ein Auto gekauft, einfach um sicherer zu sein. Aber heute – das macht mir mehr Angst.“ Die Rassisten seien nicht nur organisierter, sie fänden auch mehr Verständnis in der sogenannten Mitte.

Vor Ort haben sich spontan Strukturen gebildet um dem entgegenzutreten. Aber genügen diese? „Ohne die Antifa aus Rest-Berlin wären hier keine Straßenblockaden möglich“, erzählt die Mutter, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will.

Die aktuellen Soli-Initiativen sind ad hoc entstanden. Das Problem: viele der Akteure sind selbst nicht sensibilisiert. Dann zeige sich bei Meetings und Aktionen der rassistische Sprachgebrauch und die unreflektierte Denke der Mehrheitsgesellschaft, erzählt eine aktive Anwohnerin, die ebenfalls anonym bleiben will. Nicht selten ginge es vor allem um die Rehabilitierung des Bezirksimages und um das eigene Selbstbild. So würde die eigene Toleranzfähigkeit bei Kundgebungen mit Bockwurst gefeiert, ohne dabei in die Verlegenheit geraten zu müssen, die eigenen Rassismen zu testen. Den Akteuren, die direkt mit den Geflüchteten arbeiten, hingegen fehlt es an Geldern und Rückhalt. Die Anwohnerin resümiert: um in dieser Situation wirklich produktiv sein zu können, hätte man viel eher aktiv werden müssen.

Die zwei größten neuen Initiativen sind „Hellersdorf hilft“ und das „Bündnis für Demokratie und Toleranz am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf“. Letzteres ist ein Bündnis aus Politik und Zivilgesellschaft, das sich alle 6 Wochen trifft – so sind zumindest alle Akteure auf dem gleichen Informationsstand. Außerdem hat man am Dialog mit den Bürgern gearbeitet: Anfang November wurde eine spezielle Bürgersprechstunde eingerichtet. Die bezirkliche Koordinierungsstelle Polis* hat einen Antwortkatalog zusammengestellt, der den häufigsten Fragen und Vorurteilen begegnen soll.

Es gibt in Hellersdorf vier Migrantenselbstorganisationen. Eine davon ist auf Antidiskriminierungsarbeit spezialisiert. Der Verein Babel ist seit 1990 in Hellersdorf aktiv. Anfeindungen und Marginalisierung in der politischen Landschaft vor Ort ist man hier gewohnt. 2005 gab es sogar einen Brandanschlag auf den Sitz des Vereins. Babel wendet sich an die gesamte Bevölkerung Marzahn-Hellersdorfs: Kinder, Eltern, Erwachsene und Senioren – mit und ohne Migrationserfahrung.

Trotz der langjährigen Expertise wurde der Verein kaum in die aktuellen Initiativen eingebunden. Mit der Unterkunft in der Carola-Neher-Straße hat Babel einen Kooperationsvertrag geschlossen. Zusätzliche Gelder bekommen sie dafür allerdings kaum. Daher fehlt es an Vielem. Nicht zuletzt an kompetenten Ehrenamtlichen, die sich selbstständig einbringen können, zum Beispiel um Familienbegegnungen zwischen den alten und neuen Anwohnern zu organisieren. Damit hat man bisher gute Erfahrungen gemacht. Besonders gerne gesehen werden dabei Freiwillige, die Arabisch sprechen, und Menschen mit Migrationserfahrung.

Wenig hält man hingegen von Sachspenden nach dem Vorbild Dritter-Welt-Hilfsaktionen. Das sei herabwürdigend, wenn die Leute meinen, der Situation sei mit abgelegenen Schuhen und Kuscheltieren geholfen. Was man hier braucht, ist Basisarbeit, und zwar langfristig und ernsthaft. Begegnung, Sensibilisierung und Empowerment. Wer helfen möchte, in Marzahn-Hellersdorf nachhaltig etwas zu verändern, fragt am besten bei den Aktiven selbst nach, woran es fehlt. Auch im Büro der Integrationsbeauftragten Elena Marburg werden Hilfsangebote von Bürger*innen koordiniert.

Das Problem jedoch auf MaHe zu reduzieren wäre fatal. Jede weitere Stigmatisierung des Bezirks führt zu einer Verfestigung der vorhandenen Abwehrmechanismen. Auf Seiten der Hetzer fördert das die Radikalisierung und auf der anderen Seite werden so gutgemeinte, aber schlecht durchdachte Solidaritätsaktionen angestiftet, die letztendlich nur dem Ego der Organisatoren zugutekommen. #MaHe ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Man muss die Entwicklungen jetzt ernst nehmen.

Die AfD hat in Hellersdorf trotz niedriger Wahlbeteiligung 10 Prozent erreicht. Rassistische Hetze steht ganz selbstbewusst auf bürgerlich-demokratischem Boden, und zwar bundesweit.

SYBILLE BIERMANN