Lieber weniger diskutieren

Verlage im Norden (VIII): Der Comic-Kleinverlag „Alligator Farm“ aus Hamburg-Bahrenfeld hat ausgerechnet mit dem langlebigen Weltraumhelden Perry Rhodan einen Retter gefunden – und mit Karl Nagel eine Verlegerpersönlichkeit, die auch unorthodoxe Vorgehensweisen nicht schrecken

VON KATRIN BONNY

Ursprünglich war die „Alligator Farm“ in drei Räumen dieser Wohnung im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld zu Hause. Mittlerweile sind zwei der drei Zimmer untervermietet, und der Comic-Kleinverlag findet nur noch in einem Raum statt. Und in der Küche: Dort sitzt gerade ein zeichnender Praktikant, über der Kaffeemaschine an der Wand hängen einige seiner Arbeiten.

Darauf sind Oberarme zu sehen, blonde Locken, Overalls, Zweiköpfige, Barbusige, Elfenohren und Mausbiber – stehend, fliegend, im Gefecht. „Schundliteratur“ nennt Verleger Karl Nagel das. Und sagt: „Unglaublich, wie die Leute immer alles ernst nehmen. Ich bin inzwischen nicht mehr in der Lage dazu. Die Grenzen zwischen Realität und Nicht-Realität verschwimmen immer mehr.“

Karl Nagel, 46, ist Gründer der Alligator Farm. Einem größeren Publikum aber ist er wohl durch das bekannt, was er vor und neben der Verlagsgründung tat: Der gelernte Kaufmann war lange Mitveranstalter der Chaos-Tage in Hannover und trat als Kandidat der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD) mehrfach für das Amt des Bundeskanzlers an.

Die Alligator Farm gründete Nagel im Januar 2005, als bei ihm im Haus eine Wohnung frei wurde. Das Konzept: Der Verlag sollte als „Brutbecken für Zeichentalente“ den Nachwuchs fördern. Anfangs arbeiteten über 20 Leute bei dem Kleinverlag – ehrenamtlich, kaum überraschend. Mittlerweile sind es nur noch Nagel, der Zeichner Vincent Burmeister und der ein oder andere Praktikant, die unter anderem Perry-Rhodan-Comics veröffentlichen – die nämlich sind das Zugpferd.

Die Alligator Farm ist einer dieser Kleinverlage, deren Arbeit kürzlich dazu führten, dass die Frankfurter Rundschau die „Comic-Metropole Hamburg“ feierte, gegen die Berlin in Sachen Comics „wie eine Einöde“ erscheine. Wobei die Zeiten, als alle Mitarbeiter über Plot und Stil der Geschichten mitdiskutierten, mittlerweile vorbei sind: „Das Ergebnis waren Kopfschmerzen“, sagt Nagel. Und, „neben finanziellen Gründen, die schrittweise Reduktion des Ladens“. Jetzt soll weniger lang nachgedacht werden, dafür umso schneller gezeichnet. Und das auch online: Der Verlag will einen Mitarbeiterstamm aufbauen, der künftig über das Netz zuarbeitet – gegen kleines Geld.

Neben Nagel sitzt der inzwischen einzige feste Zeichner bei Alligator Farm am Zeichenbrett: Vincent Burmeister, ruhig und mit ein wenig roter Farbe in den Haaren. „Zeichnen lernt man nur durch Zeichnen“, sagt er. Hat er den Plot von Nagel bekommen, setzt er ihn um. Und zwar in Handarbeit: „Ohne die Möglichkeit, mit dem risikoscheuen Undo-Tool alles rückgängig zu machen“, sagt Burmeister, „arbeitest du sofort besser.“

Die Bilder zu den Geschichten von „nackten Frauen und charakterlosen Helden“ entwickelt er in ersten Bleistiftskizzen. Die werden dann getuscht und auf dem Leuchttisch koloriert. „Die Farben orientieren sich nostalgisch an den Standardfarben der damaligen Drucktechnik“, erklärt er. Allerdings mische er sie selbst: „Die Computercomics seit Ende der 90er Jahre haben immer zu viele Graustufen.“

Einen Coup landete Alligator Farm mit der Fortführung der Perry-Rhodan-Comics unter dem Titel „Perry – Unser Mann im All“: Waren die Comics ursprünglich in Anlehnung an die langlebige Perry-Rhodan-Romanserie im Moewig-Verlag erschienen, wurden sie 1975, nach dem Erscheinen der 129. Ausgabe, eingestellt. Der Chefredakteur des Moewig-Verlags stellte sich allerdings als alter Freund aus Punktagen heraus, und so setzten Karl Nagel und sein Team, nach einem Lizenzvertrag, die Reihe im April 2006 einfach fort: mit der Nummer 130, „Das Versteck im Hyperraum“. Es folgten „Heißer Tanz auf Terra – Perry im Zentrum des Wahnsinns“ und „Zeig uns die Sterne“. Und Nummer 133, „Perry mit dem Rücken zur Wand“ wird Anfang September erscheinen.

Darin wird es vor allem um die so genannten „Millies“ gehen. Dabei, so erklärt der Vorspann, „handelt es sich um vogelähnliche Wesen aus Heft 38, von massiver, furchteinflößender Gestalt“. Von Zeichner Burmeister haben sie etwas schlankere Hüften gezeichnet bekommen. „Als Perry und Auris von einem Millie angegriffen werden, will der betrunkene Gucky zu Hilfe eilen, scheitert aber vollends: Der Millie beißt Perry einen Arm ab“, beginnt dann die Story.

Neben den Abenteuern unseres Manns im All hat Alligator Farm auch zwei Hefte mit Regionalbezug herausgebracht: „Elbschock“ zeigt die Besiedelung des Hamburger Michels durch Aliens, und auch ein „Kannibale von Rothenburgsort“ bekommt seinen Auftritt. Das Magazin „Alphatier“ dagegen beschreibt Hamburg „im Bann des Superhelden“.

Für diese Hefte hätten sie ja gute Kritiken bekommen, sagt Nagel. „Aber schon beim Vertrieb fingen die Probleme an. Mit neuen Titeln hast du keine Überlebenschance. Heute sind es in Deutschland, anders als in den USA oder Frankreich, nur noch die Mangas, die nicht in die Preiskategorie der Erwachsenencomics fallen.“ Der Plan, einen preiswerten Comic anzubieten, den man irgendwo einfach mitnehmen oder tauschen kann, musste schon nach der ersten Perry-Ausgabe revidiert werden: Eine Preiserhöhung von 1,95 Euro auf 4,95 Euro wurde nötig.

Immerhin: „Wir wollten harten Comic-Schwachsinn produzieren“, sagt Nagel – das sei gut gelungen. „Das ist wertvolle Fluchtliteratur. Denn diese Kunst-Comics werden oftmals so künstlerisch, dass man sie nicht mehr lesen kann. Sie wollen einen Wert darstellen, für dessen Verständnis man dann zu doof ist.“ Dagegen scheint sich Perry Rhodan aus Hamburg-Bahrenfeld zu entwickeln: „Der Held wird langsam demontiert“, sagt Nagel. Im nächsten Band verliere der Held ja einen Arm „und eine neue Figur kratzt an seinem Image“. Doch der Raumfahrer wird auch Alligator Farm überleben. „Perry wird es immer geben“, sagt Nagel. Sein Perry hat derzeit eine Auflage von 10.000 Stück – und ein großes Potenzial, wenn es darum gehen sollte, den Laden finanziell zu retten.

„Der Spaß am Gigantomanischen hält alles zusammen“, sagt Nagel. Er meint damit wohl nicht nur seine Tagesbeschäftigung Alligator Farm, sondern auch den ganzen Rest. „Ich ärgere Leute gerne und arbeite auch gerne mit Leuten zusammen“, sagt er. „Mir ging es um das Ausreizen von Grenzen: Chaos entsteht aus Energien und bedeutet Vielseitigkeit. Aber politisch wurde das zu anstrengend.“