Beiläufig bemerkenswert

Doris Luckes Sammelband „Jugend in Szenen“ lässt einiges aus – und vermittelt seine Erkenntnisse so eher nebenbei

VON CLAUDIA WENTE

Punks hängen sich Mercedes-Sterne an den Gürtel, um ihren Hass aufs Kapital zu demonstrieren, und gehen mit buntem Schiefschnitt gegen geschniegelte Berufsköpfe an. Graffitisprayer hinterlassen auf grauen Wänden ihre Namens-Tags als Reviermarkierung in Augenhöhe. Hiphopper führen Wortschlachten gegeneinander und gegen das Establishment. Technofans inszenieren ihren Körper als Symbolmix zwischen Girlie-Look und Cyberspace.

Sie alle gehören ihrer eigenen „Szene“ an. Jede einzelne dieser Szenen beansprucht für sich, cool und hip zu sein, und unterscheidet deutlich, wer dazugehört und wer nicht. Sie äußert sich in bestimmten Symbolen, einer gemeinsamen Protesthaltung, musikalischen Vorlieben oder einem Styling, das kreativ und ungewöhnlich und doch innerhalb eines festen Rahmens kodiert ist.

Zwölf junge Soziologen haben sich mitten hineinbegeben in solche Szenen, um sie aus nächster Nähe zu analysieren. Die Ergebnisse hat Doris Lucke in ihrem Band „Jugend in Szenen“ zusammengestellt. Die interessanten Erkenntnisse, die dem Buch gelingen, muss der Leser sich jedoch selbst zusammensetzen – aus dem Wechselspiel der einzelnen Aufsätze.

Die elf Beiträge spiegeln dabei eher die Interessenlage einer Generation mit Geburtsjahr 1975–80 als ein breites Szenenspektrum wider. Es überrascht zunächst, dass sich unter der Rubrik „Lebens-Kampf“ sowohl ein Aufsatz über Alltagserfahrungen junger Arbeitsloser findet als auch einer über Einstellungen der jungen Generation zu Europa. Auch wenn diese Themen für die Bestimmung des Lebensgefühls der „Jugend“ relevant sein mögen, sind ihre Protagonisten doch kaum als einheitliche Szene zu begreifen. Sie bilden eher ein Szenarium, vor dem sich die Subkulturen als Momentaufnahmen artikulieren. Wie Doris Lucke feststellt, verläuft das Leben der Jugendlichen statt in vorgezeichneten Karrieren als „Gastspiele in diversen Szenen“ ab: „In aller Regel bedarf es erheblichen rekonstruktiven Aufwands, um die mäandrierenden Schlangenkurven zu einer in sich schlüssigen und als solche mitteilbaren ‚biographischen Illusion‘ (Pierre Bourdieu) zusammenzufügen und zumindest im Rückblick zu einem Projekt dessen zu machen, was wir mit dem Autor der ‚Erlebnisgesellschaft‘ Gerhard Schulze gemeinhin ein mehr oder weniger ‚geglücktes Leben‘ nennen.“

Ob geglückt oder nicht, vor allem bunt und vielfältig sind die Szenen, und da machen sich in dem Band vor allem die weitgehend fehlenden Bilder schmerzhaft bemerkbar. Zudem liegt der Schwerpunkt mit gleich drei Aufsätzen auf Punk, einer Bewegung, die schon seit den Achtzigern für tot gehalten wird. Während zurzeit eher der Punk in China interessiert, weil ihm noch ein Hauch der Rebellion anhaftet, sind die Leute mit den Irokesenschnitten hierzulande längst zu Postkartenmotiven und dekorativen Farbtupfern in Großstädten degradiert.

Da muten die Techno-, Hiphop- und die Streetartszene aktueller an. In Daniela Roths Artikel über die zahlreichen besprühten und getaggten Paketaufkleber der Streetart- und Graffitiszene erfahren wir jedoch nicht viel mehr, als dass die Sprayer und Kleber aus ganz unterschiedlichen Szenen kommen und insofern kaum mit diesem Begriff zu fassen sind. Die Menschen, die dahinterstehen, bleiben nebulös im Dunkeln, hinterlassen ihre Spur im Straßenbild und verschwinden wieder.

Viele Szenen fehlen gänzlich, wie Grunge und Gothic, auch Rechtsradikale oder Autonome, die Homosexuellen-szene wird im Technoartikel nur am Rande gestreift. Ein Aufsatz über Live-Rollenspieler ist der Schere des Verlags zum Opfer gefallen, wie Doris Lucke bemerkt. Die Migranten kommen immerhin im Artikel über die „Turkish Power Boys“ zu Wort. Doch löste sich die Gruppe Junkrimineller in Frankfurt am Main schon 1992 wieder auf, zwei Jahre nach Gründung. Das Medienecho sorgte für ihre Berühmtheit, doch die Mitglieder der Gang sitzen heute entweder im Gefängnis oder sind Familienväter.

Sieht man von den Mängeln und Auslassungen ab, bietet das Buch eine komprimierte Einführung in die Geschichte von Bewegungen wie Punk und Rave und in die Selbstwahrnehmung der verschiedenen Szenegänger, die in zahlreichen Interviews zu Wort kommen. Die Wurzeln von Punk und Techno in den Aufsätzen von Bärbel Schomers und Farid Gardizi aus Sicht derer erläutert zu bekommen, die von den Initiatoren der ersten Stunde aufgrund ihrer späten Geburt als Nachahmer belächelt oder gar abgelehnt werden, ist durchaus lesenswert. Nicht nur, weil ihr Blick auf die Wurzeln der Szene angenehm sachlich ist, sondern auch, weil sie den Übergang von der „authentischen“ Subkultur zum profitabel vermarkteten Lifestyle ohne resignierten Unterton beschreiben.

Aufsatz für Aufsatz wird so ganz nebenbei ein Phänomen anschaulich, das in seiner reinen Formulierung aus soziologischer oder ökonomischer Perspektive oft ungreifbar bleibt. Eindringlich vermittelt sich die Angst der Angehörige einiger Szenen vor der Vereinnahmung ihrer selbstkreierten Orte durch den Markt. Im Gegensatz dazu steht die vollkommene Selbstvermarktung der Technoszene. Deren Mitglieder haben sich von Anfang an der Aufnahme in den Mainstream gegenüber zugänglich gezeigt und den Hype um sich selbst zunächst für noch größere Partys genutzt, um irgendwann eher altersbedingt auszusteigen und die Neubesetzung ihrer Symbole den nachfolgenden Generationen zu überlassen.

Etwas pflichtbewusst werden in nahezu jedem Artikel die Drogen- und die Frauenfrage abgehakt. Immerhin ist das für Spätgeborene zum Beispiel im Hinblick auf den Punk interessant, der sich als einzige Szene herausstellt, in der traditionelle Rollenverteilungen zumindest eine Zeit lang aktiv angegriffen wurden. Überhaupt: Punk. Zu erfahren, dass es dabei einmal um die Zurschaustellung von Verletzlichkeit ging, was genau mit der leer gewordenen Floskel der Ästhetisierung des Hässlichen intendiert war, woher jene seltsamen Überreste einer Punkromantik kommen, frischt tatsächlich den Blickwinkel auf die Szene auf.

Ein anderes Thema, das immer wieder aufgegriffen wird, ist das des eigenen Körpers als letzte Bastion der Bestimmungshoheit und Kontinuität. Wie dieser als Ort des Zusammenfalls von Subjekt, in Szene gesetztem Objekt und bedeutungstransportierendem Medium empfunden und gestaltet wird, vermittelt sich wiederum eher nebenbei, als dass es explizit diskutiert würde. Der Eindruck einer (Jugend-)Gesellschaft in Szenen entsteht erst nach und nach, durch die wechselseitige Bezugnahmen der Beiträge, durch die Einsicht in die Nähe und Ferne der Szenen zueinander und durch die einander ähnelnden Aussagen der befragten SzenegängerInnen, dank derer es gelingt, Strukturen der „inszenierten“ Jugendkultur aufzudecken, ohne sie vordergründig zu formulieren oder zu verwissenschaftlichen. Doris Luckes Einführung erscheint nach der Lektüre der Aufsätze umso verzichtbarer, weil ihr Blick von außen eben jene allgemeinen Feststellungen tradiert, bei denen man das Gefühl hat, sie schon oft gelesen und selten wirklich begriffen zu haben.

Doris Lucke (Hrsg.): „Jugend in Szenen. Lebenszeichen aus flüchtigen Welten“. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, 268 Seiten, 24,90 Euro