Selbsthilfe gegen das Chaos in Peru

Die Versorgung der Erdbebenopfer in Peru mit dem Nötigsten geht zäh voran. Kritik an der Regierung wächst

PORTO ALEGRE taz ■ Weinend sitzt Carmen Vargas mit ihren drei kleinen Kindern vor den Resten ihres zusammengestürzten Lehmhauses. „Sie haben Fieber, aber hier gibt es keine Medikamente, nichts“, klagt die Bäuerin aus Pilar Nores. „Man hat uns vergessen.“ Da hilft es wenig, dass die kleine Siedlung in der erdbebengeschädigten peruanischen Küstenprovinz Ica den Namen der First Lady trägt.

Deren Ehemann ging jetzt wegen der immer lauter werdenden Kritik an den Behörden in die Offensive: Die NGOs könnten „zehnmal mehr“ leisten als bisher, sagte Alan García, man müsse die staatlichen Ressourcen auf die Sammelunterkünfte und die Ausgabestellen der Nothilfe konzentrieren. „Der Staat ist nicht in der Lage, zu den 50.000 zerstörten Häusern zu kommen.“

Der Ingenieur Carlos Suárez, der das Desaster von Lima aus verfolgt, kritisiert: „Diese Mischung aus Improvisation, Pressegeilheit und verlogenen Reden ist zum Verzweifeln. Ich weiß nicht, was größer ist: die Hilfsbereitschaft der Leute oder die Unfähigkeit unserer Politiker. Ständig gibt es hier Erdbeben oder Überschwemmungen, aber die Reaktion ist immer die gleiche.“

Das Beben vom vergangenen Mittwoch forderte mindestens 540 Todesopfer, über 200.000 Menschen wurden obdachlos. Seismologen des peruanischen Instituts für Geophysik hatten bereits vor zwei Jahren das Epizentrum des Bebens vorhergesagt und den Zivilschutzbehörden einen ausführlichen Bericht zugestellt. „Die Methode der ‚seismischen Lücken‘ erlaubt Angaben über den Ort, aber nicht über den Zeitpunkt solcher Beben“, erklärt der Experte Hernando Tavera. „Für Präventivmaßnahmen reicht das allemal.“

Michael Jordan von der Diakonie Katastrophenhilfe zeigte sich erstaunt über die Kritik des Präsidenten. „Klar, auch die privaten Hilfsorganisationen arbeiten oft aneinander vorbei, aber die Kritik der Betroffenen an den Behörden ist vollkommen berechtigt“, meint Jordan. „Viele Dörfer wären ganz leicht zu erreichen, aber es gibt keine regionale Zivilverteidigungsstruktur. Das Wichtigste ist jetzt, dass die Opfer nicht an einem Ort bleiben“.

Jürgen Schübelin pflichtet ihm bei. Der Lateinamerika-Referent der Kindernothilfe hat erlebt, wie bewaffnete Jugendliche Lastwagen ausraubten und welch „schwunghafter Schwarzhandel“ mit Decken oder Trinkwasser betrieben wurde.

Die Hilfslieferungen aus dem In- und Ausland konzentrieren sich auf die zerstörte Hafenstadt Pisco, ebenso das Medieninteresse. „Im Zentrum von Pisco stehen sich 40 Fernsehteams auf den Füßen“, sagte Schübelin der taz, „manch eine Organisation denkt nur an die eigene Profilierung. Die Regierung ist sichtlich überfordert.“ Beeindruckt ist er hingegen von der großen Solidarität vieler Menschen vor Ort. „Unser Konzept, vor allem mit Frauengruppen zusammenzuarbeiten, hat sich bewährt“, so Schübelin. „Die Frauen haben über Nacht eine funktionierende Struktur aus dem Boden gestampft und Gemeinschaftsküchen organisiert. Diese Art der Selbsthilfe ist am effektivsten.“ Die beiden deutschen Hilfswerke konzentrieren ihre Aktivitäten auf ländliche Gegenden, wo der Staat nicht präsent ist.

Hinzu kommt der strenge Winter, der die nächtlichen Temperaturen auf bis zu 7 Grad sinken lässt. Viele Kinder leiden an Erkrankungen der Atemwege, können jedoch nicht behandelt werden, weil immer noch nicht genug Ärzte vor Ort sind. Neben der Versorgung mit Decken, Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten sei jetzt aber auch die psychosoziale Betreuung der Überlebenden wichtig, sagt Michael Jordan. Zehntausende fürchten sich nun vor einem Dach über dem Kopf – es könnte bei Nachbeben einstürzen.

GERHARD DILGER